Es ist historisch heiß, die Redaktionen überschlagen sich mit Tipps zu angeblich richtigem Essen bei Hitze. Dabei kommt immer dasselbe heraus: viel Obst, kalte Suppen und Salate, nur „Leichtes“. Wissenschaftlich ist das nicht belegt – es könnte sogar schaden.
Langsam geht Quarkundso.de die Geduld aus. Wirklich.
Nach jahrelanger Arbeit, schlüssiger Argumentation und schlagenden Beweisen kommt wieder und wieder derselbe Mist: Tipps zum „richtigen Essen bei Hitze“.
2015, im ersten richtig heißen Sommer des vergangenen Jahrzehnts, haben wir darüber schon berichtet, 2018 aktualisiert – schon damals kam nichts Neues: viel Obst, leichte Salate, kalte Suppen, überhaupt kaltes Essen, das „erfrischt“. Und bloß nichts Fettes, oder Fleisch, warm Gekochtes, das belastet angeblich den Kreislauf.
Dass das alles Kokolores und wissenschaftlich nicht begründbar, nirgendwo belegt und in den wirklich heißen Ländern völlig anders ist, haben wir 2015 schon niedergelegt. Bitte nachlesen, wird, wie immer, abgefragt, Link steht auch am Ende dieses Beitrags.
Angebliche Tipps zum Essen bei Hitze: immer dasselbe
Jetzt, 2022, kommt alles zurück. Rekordhitze in ganz Europa, schnell legen die Redaktionen den alten Müll auf, so fragt das ARD-Buffet:
„Es ist richtig Hochsommer und die heißen oder zumindest warmen Temperaturen setzen uns ganz schön zu. Wie können wir mit dem richtigen Essen und Trinken dem Körper helfen, die Hitze besser zu verkraften? Was schmeckt und belastet den Körper und unser Kreislaufsystem nicht noch zusätzlich?“
Herrgott nochmal. Wenn es arg heiß ist, bleibt man drinnen, so gut es geht, strengt sich möglichst nicht an und trinkt viel, nämlich Wasser, und zwar kein kaltes.
Essen kann man, was man mag, Ende.
Gut, wer auf dem Bau oder im Garten arbeitet, der sollte natürlich mehr trinken und in der prallen Mittagssonne nicht raus müssen.
Viele Branchen verlegen den Arbeitsbeginn deshalb jetzt in den frühen Morgen, von Gemüsebauern bis Dachdeckern. Das ist sinnvoll.
Alle weiteren angeblichen Tipps zum „richtigen Essen bei Hitze“ sind das nicht – selbst wenn sie von Experten kommen.
Ernährungsexperte Dr. Stephan Lück im ARD-Buffet
Denn inzwischen ist klar: Die Redaktionen und Journalisten denken sich das nicht alleine aus. Das Zeug kommt von den angeblichen Experten, die sie befragen – telegene Hausärzte, Ernährungsberaterinnen und Ökotrophologen.
Im Fall dieser Woche ist damit sogar ein richtiger Fachmann im ARD-Buffet aufgetreten, ein Ernährungswissenschaftler mit Doktortitel: Dr. Stephan Lück.
Der ist kein Nobody. Er gehört zu den umtriebigsten Ernährungsexperten des deutschen Fernsehens, deshalb hat er sogar einen Wikipedia-Eintrag. Dort steht zu lesen, dass Lück eine Kochschule und Ernährungswerkstatt betreibt, außerdem tritt er im Fernsehen auf und vertreibt ein eigenes Fastenkonzept.
Im ARD-Buffet hat er am 18.7.2022 in einem Fünfminutenbeitrag seine Tipps zum heißen Wetter abgegeben, und sich dabei so arg verfranst, dass sich eigentlich die Berufsverbände einschalten müssten.
Ernst gemeint, Herr Doktor?
Zu „richtigem Essen bei Hitze“ notieren wir bei Herrn Dr. Lück:
– „Bitte keine Cremesuppe, wo viel Sahne und viel Fett drin ist, das belastet eher“
– „Die Suppe soll kalt oder lauwarm sein – sie darf nicht heiß sein, das ist ein bisschen blöd“
– „Ein Smoothie mit zerstoßenem Eis kann den Körper relativ schnell abkühlen, das kühlt so richtig schön ab, ein schöner Refresher“
– „Ingwer rein, das hemmt ein bisschen das Schwitzen“
– „Viel trinken, aber Wasser ist irgendwann langweilig, schön ist es, wenn man ein bisschen Geschmack reinbringt“
– Bei Proteinen aufpassen – die Leber ist wie eine Heizung, wenn die ganz viel Stoffwechsel machen muss, dann heizt die auf, dann kriegen wir von innen auch noch Hitze, das wollen wir ja nicht“.
– „Fett runter, Eiweiß runter, mächtige Speisen runter“
– Zucker wird verbrannt und zwar sehr schnell – und immer wenn wir etwas verbrennen, entstehen zwei Drittel der Energie als Wärme.“
Wir lassen das erstmal so stehen und richten fragende Blicke auf die Moderatorin.
„Der Bier ist isotonisch“
Doch von Fatma Mittler-Solak ist keine Hilfe zu erwarten. Sie lässt nur geskriptete Fragen vom Stapel, in denen sie die Antwort vorwegnimmt, dabei verhaspelt sie sich in Aussprache („Kur-kuuhma“) ebenso wie in der deutschen Grammatik:
„Da hast Du auch Bier, was mich sehr gewundert hat, auch wenn er alkoholfrei ist, warum nimmst Du den?“
Ihr fällt nichts auf.
Dem Doktor der Ernährungswissenschaften fällt auch nichts auf.
Er macht weiter:
„Alkoholfreier Bier hat, wie die anderen auch, Mineralien … die brauchen wir ja auch, deshalb sagt man auch dazu „isotonisch“…“
Mal abgesehen von der Grammatik: Klar, es wäre der Traum der Normaltrinker, wenn sie mit ihren Feierabendbierchen den täglichen Bedarf an Mineralien decken könnte.
Aber das ungefiltert zu suggerieren, ist für einen Fachmann eher seltsam.
Wasser reicht
Noch dazu gehört die Vorstellung, dass Bier, da isotonisch, dem Körper im Sommer zuzuführen ist, ins Reich der Mythen.
Die Studienlage dazu ist dünn, von der Legende profitieren nur die Brauereien, die auf Sportwettkämpfen ihre Biere anpreisen.
Wenn überhaupt, kann diese letzte Rettung nur für Extremsportler und Marathonläufer nach dem Zieleinlauf gelten: also nach großer Anstrengung mit starkem Schwitzen und schwerem Flüssigkeitsverlust.
Wer bei Sommerwetter im Büro sitzt, braucht weder Bier noch isotonische Fitnessdrinks – sondern schlicht Wasser. Für Sportler reicht sogar eine Apfelschorle nach dem Wettkampf.
Das ganze Internet ist voll von kritischen Artikeln dazu, von der Süddeutschen Zeitung und dem Stern über den WDR bis zu Apotheker- und Sportmagazinen: Alle haben den Mythos schon mal aufgeklärt.
Dass ein Doktor der Ernährungswissenschaften jetzt zu Bier bei Hitze rät, kann nur eine Auswirkung der Klimakatastrophe sein.
Wir fragen nach
Natürlich muss hier für Ordnung gesorgt werden.
Quarkundso.de bleibt dabei: Für die Tipps aus dem Schwitzkasten des Dr. Lück gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Bestenfalls sind sie irreführend formuliert, schlimmstenfalls aber wirr.
Hier unsere Fragen, vielleicht können mitlesende Fachleute die Dinge aufklären:
– Suppe muss kalt sein, darf nicht heiß sein? Warum? Eher ist die angeblich gute kalte Suppe der Fehler, denn kalte Flüssigkeiten muss der Körper aufheizen, auf Temperatur bringen. Das kostet Energie, genau das will man doch angeblich vermeiden – dem Körper, wenn er belastet ist, zusätzlich Energie abfordern. So sagt es Dr. Lück an anderer Stelle selbst. Was er über kalte Suppe verzapft, ist daher irritierend. Und generell gilt: Warmes Essen ist bekömmlicher und leichter verdaulich.
– Ingwer hemmt das Schwitzen, deshalb Ingwer in den Smoothie? Dann doch bitte gar keinen Ingwer! Schwitzen ist die Klimaanlage des Körpers, wir müssen im Sommer schwitzen, um uns zu kühlen. Wer nicht schwitzt, also seine Haut zwecks Kühlung mit Wassertropfen benetzt, bekommt einen Hitzschlag. Was soll das?
– Wasser muss Geschmack haben? Millionen von Eltern versuchen, ihre Kinder vom Nuckeln an Limoflaschen abzubringen, alle Ernährungsberater empfehlen Wasser – Herr Dr. Lück steuert gegen und hilft damit der Saftindustrie. Aber genau das Gegenteil ist doch für eine gute Ernährung richtig: Wasser, einfach nur reines, gutes Wasser. Oder nicht?
– Smoothie mit Eis kühlt den Körper? Nein, es heizt ihn auf, siehe oben. Kann man auch im Physiologiebuch nachlesen, Dr. Lück sagt es auch selbst über die Suppe und über kalte Getränke. Wie sollen wir das also verstehen?
– Die Leber heizt den Körper von innen auf, wenn Eiweiß reinkommt? Was meint Dr. Lück? Vielleicht den normalen physiologischen Ablauf der Verdauung, bei dem die Körpertemperatur durch die Arbeit der Organe steigt. Ja, das ist normal. Das heißt aber nicht, dass man deshalb bei Hitze nicht oder weniger oder anders essen sollte. Denn egal, was man isst, die Körpertemperatur steigt. Bei proteinreichen Mahlzeiten steigt sie mehr und länger – aber dafür halten die auch länger satt, und Achtung: Der Körper verbrennt mit Protein mehr Kalorien, ein willkommener Nebeneffekt, gerade bei Übergewicht. Sollte man wirklich von Protein abraten, bei Hitze?
– Zucker wird verbrannt und zwar besonders schnell, das heizt den Körper auf? Da stellt sich mehr als eine Frage. Raffinierter Zucker oder Haushaltszucker der hier gemeint ist, geht bekanntlich besonders leicht ins Blut. Das liegt daran, dass er eben nicht „verbrennt“ oder aufwändig verdaut werden muss. Was also meint Dr. Lück hier? Außerdem steigt die Körpertemperatur beim schnellen Übergang von Zucker ins Blut eher weniger stark an als beim Verdauen von komplexen Kohlenhydraten. Vorsicht, Falle
– Fett, Sahne, Cremesuppen „belasten“? Auch hier widerspricht Herr Lück mutig der herrschenden Lehrmeinung. Denn Fett belastet den Körper, was die aufgewendete Verdauungsenergie angeht, am allerwenigsten. Das kann man daran messen, dass Fett die Körpertemperatur und den Stoffwechsel der Leber nur gering ansteigen lässt, und zwar mit weitem Abstand. Ist auch nachzulesen in der einschlägigen Fachliteratur – wir sind verwirrt.
Nur Schonkostbrei und Obst?
Was laut Dr. Lück zum Essen übrig bleibt, ist öde: Zucchini, Tomaten, Gurken und Wassermelonen.
Alles ohne Fett und Sahne, dafür breiartig püriert: Die Rezeptliste der Sendung liest sich wie der Speisezettel einer Abnehmklinik, und zwar einer für Vegetarier.
Es ist kein einziges Fleischgericht dabei.
Grillfans, die im Sommer zu Millionen an die Metzgertheken rennen, sind sicher begeistert.
Aber vegetarische Kost unter dem Deckmantel der Gesundheit – diesmal wegen der Hitze – anzupreisen, ist zu plump, als dass man es nicht merken würde.
Der schlagende Gegenbeweis dazu ist nach wie vor in allen heißen Ländern der Welt zu finden, ob Afrika, Südamerika, Indien oder Thailand: Dort isst man warm – und zwar überall auch Protein, also Fleisch und Fisch oder üppige Teller mit Reis und Hülsenfrüchten.
Gerade in den heißesten Regionen der Erde, in den Wüsten, grillen Beduinen Lämmer und Ziegen über Holzkohle – nichts da mit wenig Protein und Fett. Da trieft und raucht es nur so, die Evolution lässt grüßen.
Aber wir wollen uns nicht wiederholen, das steht im Grunde schon im alten Beitrag von 2015.
Senioren und Kranke: nicht am Essen sparen
Dafür möchten wir einen anderen Aspekt in den Blick rücken: Wenn Dr. Lück als Ernährungswissenschaftler behauptet, proteinreiche Kost heize die Leber auf, Fett und Fleisch gehörten nicht in eine Ernährung „bei Hitze“ oder fleischfreies Essen sei bei Hitze gesünder, dann muss man sich fragen, was in Altenheimen und Krankenhäusern passieren soll.
Bekommen die Bewohner und Patienten dort auch im Sommer auch nur noch Smoothies und Wassermelonen?
An dieser Stelle wird es kritisch, Ältere und Kranke brauchen Protein, Fett und nahrhafte Kost – bei jedem Wetter.
Denn in Heimen sind eklatant viele alte Menschen mangelernährt, auch in Kliniken und geriatrischen Stationen kennt man das Problem.
Schon treiben in Seniorenheimen angebliche Ernährungsberaterinnen ihr Unwesen und wollen ohnehin schlecht ernährten Menschen veganes Essen aufschwatzen oder sie zu „weniger tierischen Fetten“ überreden, der Gesundheit zuliebe.
Das kann gefährlich werden.
Nicht Hochsommer, sondern Klimakatastrophe
Die Menschen in Europa müssen sich jetzt nämlich auf extreme Temperaturen im Sommer einrichten. Und ihre Ernährung muss dazu passen, wenn sie die Menschen gesund und leistungsfähig halten soll, und zwar dauerhaft.
So zu tun, als ob Smoothies, Obst und Salat dafür optimal und aus medizinischen Gründen notwendig sind, ist falsch bis fatal, besonders für Kranke, Kinder und Alte.
Übrigens fällt dabei auf, dass viele der angeblichen Tipps für die „richtige Ernährung bei Hitze“ sich lesen wie ein Diätplan für Übergewichtige, die ohnehin Probleme mit Kreislauf und Verdauung haben.
Das ist kaum Zufall.
Übergewicht ist ein Problem, besonders bei Hitze
So ist wohl auch Herrn Dr. Lück der innere Fastendoktor durchgegangen, man sieht es an der Liste von Gerichten, die Lück bei Hitze für geeignet hält und wenn er darauf herumreitet, dass unbedingt Schweres und „Mächtiges“ einzusparen seien.
Übergewicht bei Hitze ist wirklich ein Problem.
Anders gesagt: Übergewicht ist immer ein Problem, und besonders bei Hitze. Normalgewicht hilft dem Körper, Hitze auszuhalten, sich zu kühlen und den Kreislauf stabil zu halten
Da in Deutschland aber sehr viele Menschen, nämlich weit über die Hälfte, zu dick sind, liegt die Wurzel für die albernen Schonkost-Rezepte vielleicht hier: in der Klientel, die Ernährungsexperten in ihrer Praxis haben.
Mit Blick auf sie gehen die angefragten Experten dann in die Fernsehsendungen.
Leben in der Hitze – die Thesen von Quarkundso.de
Angesichts dieser Lage stellen wir jetzt unsere ultimativen Thesen zum Leben in der Hitze öffentlich zu Diskussion. Mit Essen haben wir dabei praktisch nichts am Hut – es geht um Wichtigeres:
- Zuerst die gute Nachricht: Der Mensch ist an Hitze angepasst – schließlich sind wir von Natur aus alle Afrikaner.
- Es gibt sehr simple Tricks für Kleidung, Ernährung, Arbeiten in großer Hitze. Bei den Völkern des Südens kann man sich diese abschauen. Kleiner Spoiler: Von Wassermelonen und Gurken leben die nicht, Arbeiten in der heißen Mittagsonne meiden sie ebenso wie Sport.
- Alte, Kinder sowie Menschen, die Medikamente nehmen, müssen betreut werden und besonders aufpassen – das betrifft aber nicht die erwachsene Normalbevölkerung.
- Heißer Tipp: Den Kreislauf, der bei uns im Sommer angeblich unter leckerem Essen leidet, kann man trainieren, und zwar im Frühjahr, Herbst und Winter. Dann kommt man auch gut über den Sommer.
- Halten Sie Normalgewicht. Wenn Sie zu viel wiegen: Nehmen Sie ab.
©Johanna Bayer
LINKS
Beitrag aus dem ARD-Buffet vom 18.7.2022, Sender: SWR, mit Dr. Stephan Lück
Unser historischer Beitrag von 2015: Essen bei Hitze – Tipps bis der Arzt kommt.
Wirklich nützlich: Wissen zu Hitze mit Tipps aus der FAZ dazu, wie man Sonnenstich, Hitzschlag und Hitzekollaps erkennt und behandelt, geschrieben von einer studierten Medizinerin. Klar, hilfreich und ohne ein Wort zu angeblich „richtigem Essen“.
Erdmann Kilian
Es ist interessant, dass die Öffentlich-Rechtlichen früher mal mit der Teleakademie Wissen vermitteln wollten und heute nur noch Ratgeber-Sendungen zeigen, wobei wie Sie schon zeigen keine Experten zu Wort kommen, sondern Halbwissen vermittelt wird.