Ein als „Studiencheck“ betitelter Beitrag auf Brigitte.de müllt Leser mit SEO und Verkaufslinks voll, verzapft aber Unsinn über Forscher, Übergewicht und die Studie, um die es geht. Muss das sein?
Brigitte.de ist mal wieder auf dem Radar von Quarkundso.de. Das ist nicht die große deutsche Frauenzeitschrift, sondern ihr Online-Ableger. Der hat mit der echten Brigitte nichts zu tun, redaktionell arbeiten die Onliner völlig selbstständig.
Zum Glück, daher müssen sich die an sich gut ausgebildeten Journalistinnen der alten Brigitte nicht auch noch dafür schämen. Genug, dass sie ihr redaktionelles Konzept gerade auf Kuschelkurs drehen mussten, mit positiven Geschichten ohne unbequeme Figuren.
Die noch vorhandene Qualität des Stammblattes wird online aber nicht nur nicht erreicht, sondern radikal unterschritten, Quarkundso.de berichtete.
Todsicherer Klickfänger: Abnehmen mit Schlemmen
Schön ist das an einem Beitrag zum Thema Frühstück und Abnehmen vom 10. Mai 2022 zu sehen. Frühstück und Abnehmen, diese Buzzwords zu verbinden ist genial. Jedes geht immer, in Kombination sind sie todsichere Klickfänger.
Und dann ist da noch ein besonderes Versprechen: Unter dem Titel „Ist Frühstück doch ein Kalorienkiller?“ berichtet die Autorin, dass „laut den Ergebnissen einer neuen Studie“ ein „üppiges Frühstück dabei helfen kann, das Gewicht zu halten“.
Wer sich also morgens den Bauch vollschlägt, kann mehr Kalorien verbrennen und damit Gewicht halten oder gar abnehmen. Dazu kündigt die Redaktion kühn an:
Wir verraten, woran das liegen könnte.
Doch dieses Versprechen löst sie nicht ein, obwohl der Artikel im Titel sogar als „Studiencheck“ angekündigt wird. Im ganzen Text wird weder erklärt noch begründet, woran es liegen könnte, dass ein üppiges Frühstück beim Gewichthalten hilft. Oder beim Abnehmen.
Dafür sind Titel und Teaser reinstes Clickbaiting, im ersten Absatz kommt es ganz dick: fünf Sätzen, fünf Links, drei davon auf dasselbe Produkt.
Aber was haben Ernährungstipps – Link zum Shop -, Ernährungskonzepte – Link zum Shop – und die Mahlzeit am Morgen – Link zum Shop – mit einer Trinkflasche aus Aluminium zu tun?
Dort nämlich landet man in den ersten drei Sätzen. Die Seite bei Amazon, die dahinter steht, enthält null Information zu Ernährung oder Frühstück, dafür technische Produktdaten auf Englisch.
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SEO statt Redaktion
Die fünf Links, davon vier sinnfrei, machen den ersten Absatz nur zur Trägermasse von Werbung. Dazu ist der Text vollgemüllt mit Google-Stichwörtern, auch Keyword-Stuffing genannt: Ernährung, Ernährungskonzept, Frühstück, Ernährungswissenschaft, Übergewicht, Mahlzeit am Morgen.
Das Investigativ-Ressort hat derweil kurz durchgestochen, dass die Autorin des Beitrags gleich für drei Portale Gesundheits- und Wellness-Themen betreut: Gala.de, Brgitte.de und Eltern.de.
Dazu ist sie noch stellvertretende Leiterin der Abteilung SEO bei der Dachredaktion und jetzt wundert einen nichts mehr.
Einerseits. Andererseits aber eine Menge.
Zahlen denn die Firmen für jeden Link, den Onliner sinnfrei in den Text pressen, Geld? Hat es Brigitte.de so nötig, jeden Cent abschöpfen muss, der im Netz zu machen ist, weil der Laden sonst pleitegeht? Scheinbar schon, anders ist diese Leser- und Kundenunfreundlichkeit nicht zu erklären.
Neu ist das nicht
Aber dieses SEO-Zeug soll nicht vom Wesentlichen ablenken. Das wäre der Journalismus. Da geht es um die korrekten Fakten, Sorgfalt der Recherche und so.
Dabei haut der Beitrag schon im Teaser daneben, denn die „neue Studie“, von der die Autorin schreibt, ist von 2020. Das ist nicht wirklich neu, zumal 2020 alle, einfach alle, vom Ärzteblatt bis zum Focus, die Pressemitteilung der Universität Lübeck, um die es hier geht, verarbeitet haben.
Das Ding 2022 raus zu kramen und drüber zu schreiben, es sei eine neue Studie, widerspricht den Fakten. Wieder grüßt das Clickbaiting.
Plattitüden und Populismus – kein Journalismus
Auch das Schwadronieren im ersten Absatz darüber, dass sich die Forschung angeblich nicht einig ist, was das Vorbeugen vor Übergewicht angeht, ist falsch, wenn nicht gar bösartig verdreht.
Denn die Ernährungsforschung ist sich sogar sehr einig darüber, was vor Übergewicht schützt: Bewegung von Kindheit an, vernünftig essen, aktiv Gewicht halten.
Das steht in Leitlinien, auf die sich Übergewichtsexperten geeinigt haben, die DGE, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, predigt es unablässig, nachlesen kann man es überall, bei Krankenkassen, bei der Deutschen Gesellschaft für Adipositas DAG.
Allerdings sind sich Wissenschaftlerinnen und Ernährungsberater darüber einig, dass es kein Patentrezept fürs Abnehmen gibt: Sind Übergewicht oder Adipositas erstmal da, kann man sie kaum bekämpfen.
Daraus will die Autorin der Wissenschaft einen Strick drehen – das ist schlicht kein Journalismus, sondern reiner Populismus.
Was die Studie wirklich sagt
Nicht überraschend ist daher, dass die Autorin auch Ziel und Ergebnisse der Lübecker Studie falsch wiedergibt, um die es geht. Darin haben 16 Männer erst ausgiebig gefrühstückt und wenig zu Abend gegessen, später umgekehrt.
Die Forscherinnen konnten bei dem kontrollierten Experiment messen, dass morgens mehr Kalorien pro Mahlzeit verbrannt wurden als abends.
Ob das beim Abnehmen oder beim Gewichthalten hilft, wurde in der Studie aber nicht untersucht. Das konnte gar nicht herauskommen und war nicht das Ziel des physiologischen Experiments – anders als es die Autorin behauptet.
Der Laborversuch hat aber ergeben, dass morgens nicht nur mehr Energie für die Verdauung aufgewendet wird, sondern dass auch weniger Insulin ausgeschüttet wird als abends.
Ob sich der so festgestellte Rhythmus von mehr Verbrauch am Morgen für das Abnehmen nutzen lässt, ist noch die Frage – und erst zu prüfen. Genau das haben die Forscherinnen in Lübeck vor, nämlich in weiteren Studien.
Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung der Universität dazu: „In einer Folgestudie soll nun das Ergebnis der Studie im Hinblick auf die Gewichtsabnahme bei Übergewichtigen untersucht werden.“
Was wirklich gegen Übergewicht hilft: weniger essen
Die Suggestion bei Brigitte.de, nach der man morgens viel essen soll, um viele Kalorien zu verbrennen und abzunehmen, erinnert eher an den Mythos von den negativen Kalorien. Danach sorgen angeblich bestimmte Lebensmittel – Salat, Ananas – dafür, dass der Körper übermäßig Kalorien verbrennt.
Aber diese Rechnung geht nicht auf. Der Körper verdaut Lebensmittel und verbraucht Energie, wie viel er verbrennt, hängt auch von der Tageszeit, aber sicher von Bewegung und Stoffwechsel ab. Daran ändert auch ein üppiges Frühstück nichts – die Ergebnisse aus Lübeck sagen nämlich genau nicht, dass viel essen am Morgen beim Abnehmen hilft.
Sie sagen stattdessen, dass ein großes Abendessen Übergewicht begünstigt.
Das ist ein Unterschied. Auch belastet laut Lübecker Studie das Schlemmen vor der Nacht Blutzucker und Insulinkreislauf, interessantes Ergebnis für Leute mit Risikofaktoren.
Aber dass sich Menschen, die morgens keinen Bissen runterkriegen, demnächst mit einem englischen Frühstück vollstopfen müssen, werden auch die Ernährungswissenschaftlerinnen in Lübeck niemals raten. Letztlich hilft beim Abnehmen nur eins: weniger essen.
©Johanna Bayer
Brigitte.de vom 10.5.2022: „Studiencheck; Ist Frühstück doch ein Kalorienkiller?“
Pressemitteilung der Uni Lübeck zur Studie von Juliane Richter et.al., 21.2.2020.
Perditax
Was den Brigitte-Schrott betrifft, gar keine Einwände. Ich nehme aber an, das eigentliche Problem besteht darin, daß Frauenzeitschriften erstens von Diätkonzepten, egal wie durchgeknallt sie sein mögen, ihre Existenz mitbestreiten , und zweitens zusperren könnten, falls eines dieser Konzepte tatsächlich den ersehnten dauerhaften Erfolg brächte und ihr damit der regelmäßig Diät haltende Teil ihrer Leserinnenschaft wegbräche. Solange niemand auf die Idee kommt, Frauenzeitschriften zu verbieten, wird man in ihnen deshalb wohl bis zum jüngsten Tag regelmäßig Blödsinn zum Thema Abnehmen lesen. Auch in den Printausgaben.
Aber das hier glaube ich schon seit geraumer Zeit auch nicht mehr:
„Letztlich hilft beim Abnehmen nur eins: weniger essen.“
Das gilt nicht nur aufgrund persönlicher Erfahrungen, sondern auch aus generellen Erwägungen:
Wenn man sich die Entwicklung der Adipositas der letzten Jahrzehnte anschaut, die so ist, wie sie leider nun mal ist, obwohl die halbe Bevölkerung mehr oder weniger regelmäßig ihre überschüssigen Pfunde mit Diäten und Sportprogrammen bekämpft, denen genau diese Annahme zugrunde liegt (weniger Kalorien aufnehmen, mehr Kalorien verbrauchen) – müßte man sich dann nicht allmählich mal fragen, ob in der Grundannahme, auch wenn sie logisch klingt, nicht vielleicht doch irgendein Denkfehler steckt? Es ergibt doch eigentlich keinen Sinn, zu vermuten, daß die Zahl der Adipösen nur deshalb ständig steigt, weil die Leute immer willensschwächer…
Johanna Bayer
Hallo,
danke für den Kommentar. Ich weiß nicht, ob Experten wirklich davon ausgehen, dass die Zahl der Adipösen „nur deshalb ständig steigt, weil die Leute immer willensschwächer…“ werden. Stattdessen sind aber Fertiggerichte reichhaltiger, Portionen und Packungen größer geworden, das ist nachweisbar. Umgekehrt führen vielleicht die genannten „Diäten und Sportprogramme“, mit denen sich die halbe Bevölkerung quält, nicht automatisch zum Abnehmen. Mit einer Diät nimmt man nur ab, wenn man sie lange durchhält. Sehr lange sogar, und das schaffen die wenigsten. Mit Sport wiederum nimmt man nur ab, wenn man zum Ausgleich nicht mehr futtert – was viele Leute tun.
dgu
Ich würde ja behaupten, dass man von gar keiner Diät abnimmt, sondern immer nur maximal kurzzeitige Erfolge erreichen kann. Hilfreich alleine ist meiner Meinung nach eine Umstellung der Ernährung auf ein Konzept, welches man lebenslang durchhalten kann.
Ich z. B. esse seit mindestens 20 Jahren nach Low Carb (die Logi-Methode) und fahre gut damit. Andere kommen gut mit Intervallfasten über die Runden und halten dabei ihr Gewicht.