Gefundenes Fressen

„Warum Jesus Veganer war“, will der SPIEGEL erklären – und verbreitet Fake News.

Brot und Wein - war Jesus Veganer? Nein, war er nicht.

Ein neues Buch soll die Geschichte der Menschheit anhand der Esskultur erhellen. Autorin Uta Seeburg erzählt im Interview mit dem SPIEGEL aber Unsinn, der Redakteur fragt nicht nach. Und tatsächlich kommt es ganz dick – da geht der Radar von Quarkundso.de auf Tilt.
+++Update 19.7.2023: Der SPIEGEL hat nach unserem Beitrag seine Überschrift geändert – siehe unten, mit Anmerkung der Redaktion+++
+++UPDATE  Dezember 2023+++Presserat erkennt Verstoß gegen Sorgfaltspflicht beim SPIEGEL+++Titel wurde moniert+++Beschwerde von Quarkundso.de erfolgreich

Der SPIEGEL führt ein Interview mit einer Autorin, die Unsinn über die Esskultur verzapft. Letzteres an sich ist nichts Weltbewegendes: Schrott-Sachbücher gibt es jede Menge. Inzwischen ist das fast schon ein eigenes Genre.

Merkwürdig ist nur, wie der SPIEGEL sich im Gespräch mit der unkundigen Autorin dazu verhält: keine Nachfrage, keine Einordnung, kein Wissen, nichts.

Gut, ein Interview ist ein subjektives Format. Da können die Befragten sagen, was sie wollen. Da aber von Journalisten bei Interviews ein Minimum an Sachkenntnis verlangt werden kann, sollte Unfug eigentlich auffliegen.

Denn der Kern dieser Gattung verlangt, dass Journalisten sich vorbereiten und in der Lage sind, mit ihren Fragen neue, überraschende, erhellende, relevante Aussagen rauskitzeln. Auch dürfen – und sollen – sie nachfragen, um vorgebliches Expertenwissen kritisch zu hinterfragen.

Sonst braucht man kein Interview. Sonst könnten Experten einfach ihre Texte ins Netz stellen oder in einem Glaskasten aushängen.

 

Erfahrener Redakteur fragt Lifestyle-Autorin

Aber zur Sache: Das Interview im SPIEGEL vom 19.6.2023 führt ein erfahrener Redakteur aus dem Ressort Wissenschaft Frank Thadeusz, studierter Historiker.

Er befragt Autorin Uta Seeburg, eine Literaturwissenschaftlerin und Lifestyle-Redakteurin, die 20 Jahre für ein Architektur-Magazin gearbeitet hat. Dort hat sie laut Verlag vor allem über Inneneinrichtung, Design und Reisen geschrieben.

Jetzt aber hat sie ein Buch zur „Geschichte der Menschheit“ mittels der Esskultur vorgelegt. Der Titel lautet: „Wie isst man ein Mammut? In 50 Gerichten durch die Geschichte der Menschheit“. Erschienen ist das Buch bei DuMont, der Verlag drückt es gerade groß in den Markt.

Bevor wir uns auf das schräge Interview stürzen, aber ein kurzer Disclaimer: Wir haben nicht das Buch gelesen, sondern den SPIEGEL.

Wir bearbeiten also das Interview, dessen Fragen und Antworten, besonders aber den Titel, den der SPIEGEL dem Gespräch gegeben hat. So, wie die Lage sich gerade darstellt, werden wir uns allerdings noch das ganze Buch vornehmen müssen, dazu später mehr.

Jetzt aber widmen wir uns erstmal der Werbetrommel, die der SPIEGEL für die Autorin rührt. Was da kommt, ist bestenfalls ahnungslos und laienhaft. geht man aber von den Pflichten des Nachrichtenmagazins und Qualitätsmediums SPIEGEL aus, ist es geradezu schockierend.

 

Autorin Seeburg: schon die erste Antwort wirr

Schon die Antwort der Autorin auf die Eingangsfrage des SPIEGEL-Redakteurs Thadeusz aus dem Ressort Wissenschaft ist verblüffend wirr, unvollständig und wirkt zusammengeklittert.

SPIEGEL: Frau Seeburg, wann begann der Mensch, zu kochen?

Seeburg: Der Mensch kocht, seitdem er den Topf erfunden hat. Die ältesten uns bekannten Rezepte stammen aus Babylon und sind rund 4000 Jahre alt. In dem Augenblick, wo das aufgeschrieben wird, ist das ja ein Kulturgut, das festgehalten und dokumentiert wird. Im evolutionären Sinne haben wir unsere Geschmacksnerven, damit wir nichts Giftiges essen. Andersherum kann ich mir aber vorstellen, dass auch den Menschen der letzten Kaltzeit aufgefallen sein dürfte, dass ein Mammut besser schmeckt, wenn es über dem Feuer geröstet und womöglich mit Kräutern verfeinert wird.

 

Haben vielleicht die Praktikanten, die die Aufzeichnung von Thadeusz in einen Text gießen mussten, längere Ausführungen nur unglücklich zusammen geschustert? Denn die die Antwort von Frau Seeburg mäandert um mehrere Themen herum – um die Rolle der Geschmacksnerven, also um Biologie, dann streift sie die Evolution, dann Kochen und die Erfindung des Kochtopfs, schließlich Schrift, erste Rezepte, Rezepte als Kulturgut, Essen in der Eiszeit. Nicht nur, dass eine schlichte Zeitangabe genügt hätte – vor allem ist die Antwort falsch.

Tonscherben aus China: fast 20.000 Jahre alt

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Denn – echte – Experten beantworten die Frage anders: Der Mensch kocht schon viel länger als 4000 Jahre.

Das wäre ja nur ab dem Zeitraum von 2000 vor Christus, in der Zeit der alten Ägypter mit voll entwickelten Hochkulturen.

Aber Tonscherben, die Archäologen ausgegraben haben und die auf Kochgeschirr hinweisen, stammen aus der Zeit von etwa 16.000 v. Chr. Sie sind also fast 20.000 Jahre alt, fünfmal älter als Seeburg behauptet.

Gefunden wurden sie in China, samt Resten von gekochtem Ur-Reis. Kochtöpfe gab es vor 15.000 Jahren auch in Japan, in Afrika vor mindestens 12.000 Jahren.

Dazu kommt: Der Ausdruck „Kochen“ bezeichnet nicht nur das Sieden im Kochtopf, sondern alle Garvorgänge. Dazu gehören auch Grillen und Braten.

In diesem Sinne kocht der Mensch sogar schon, seit er aufrecht geht.

 

Kochen macht den Menschen aus

Der Paläoanthropologe Richard D. Wrangham hat dazu 2010 ein großes Werk herausgebracht, das er „Catching Fire“ nannte. Der deutsche Titel lautet „Feuer fangen“, Untertitel „Wie uns das Kochen zum Menschen machte“.

Wrangham argumentiert schlüssig, dass schon der Homo erectus vor 1,5 Millionen Jahren das Feuer beherrschte und darin Fleisch briet – also kochte. Damit ist die übergreifende Bedeutung gemeint: Nahrung zubereiten, Lebensmittel genießbar machen. Belege dafür sind unter anderem die Formen der Backenzähne bei Funden von Homo erectus, sowie Funde von Feuerstellen und Tierknochen.

Wrangham und mit ihm viele andere gehen auch davon aus, dass die Evolution des Gehirns und des Verdauungstraktes mit gekochter Nahrung zusammenhängt: Der Darm wurde dank gekochter Nahrung kleiner, dafür konnte das Gehirn wachsen.

Es gibt Forscher, die den Beginn der Nahrungszubereitung etwas später vermuten und eher dem Homo sapiens zuschreiben. Sie datieren den Beginn regelmäßiger Kochpraktiken ab 780.000 bis 400.000 v. Chr.

Später ist der Beginn des Kochens aber nicht anzusetzen, das ist wissenschaftlich unstrittig.

Dagegen stellt Frau Seeburg ihre Privathypothese in den Raum – oder sie versteht unter „Kochen“ nur das Kochen mit Wasser in einem Kochtopf. Wenn sie aber die „Geschichte der Menschheit“ erhellen will, und die Esskultur, dann liegt sie damit daneben.

Und sie müsste den Forschungsstand kennen – das ist offensichtlich nicht der Fall.

 

In der Steinzeit: Kochbeutel, Räuchern, Grillen

Das offenbart sie, wenn sie zu den „Menschen der letzten Kaltzeit“ herumrätselt, als ob noch nie jemand dazu geforscht hätte und sie sich etwas Neues überlegen soll. Mit dieser privaten Spekulation – „ich kann mir vorstellen“ – verrät Seeburg, dass sie über die Evolution, von der sie spricht, nichts weiß. Sie hat schlicht nicht recherchiert.

Die Geschichte des Menschen und das Leben in der Steinzeit ist nämlich längst Schulstoff für Viertklässler: 10-jährige lernen, dass Jäger und Sammler ihr Essen gekocht, also gegart, gebraten und gebacken haben.

Es gibt dazu viele Erkenntnisse aus der experimentellen Archäologie und der Ethnologie: Als Techniken kamen neben dem Grillen, Rösten und Braten das Garen in heißer Asche in Frage, und das Kochen mit heißen Steinen in Gruben oder in Ledersäcken, die als Kochbeutel dienten.

Das berühmte Neanderthal-Museum in Mettmann bietet „Kochen in der Steinzeit“ als Mitmach-Event für Kinder an, aus der Kursbeschreibung::

„Um Vorräte anzulegen wurde Fleisch geräuchert, getrocknet oder im Erdboden vergraben. Gekocht wurde damals ohne Kochtopf: Im Feuer erhitzte Steine brachten das Wasser in lederausgekleideten Gruben zum Kochen. Über dem offenen Feuer konnten Behälter aus Leder, Tiermägen oder Birkenrinde verwendet werden.“

Quelle: Neanderthal-Museum Mettmann

Wohlgemerkt: Es geht hier um Neandertaler. Die besiedelten Europa mindestens von 400.000 bis 40.000 vor Christus – und kochten, grillten, brieten und räucherten.

 

Warum fragt DER SPIEGEL nicht nach?

Wenn aber Seeburg, die sich als Expertin geriert, davon nichts weiß, warum fragt Herr Thadeusz nicht nach? Er hat Geschichte studiert, er ist Wissenschaftsredakteur.

Fällt ihm nichts auf?

Eine kleine Recherche im Archiv des Magazins zeigt: Der SPIEGEL ist voll von Berichten über die zwei Millionen alte Evolution des Kochens, über die Entdeckungen von Richard Wrangham, über den jagenden und grillenden Homo erectus und den kochenden Neandertaler.

Mögliche Fragen wären hier gewesen: „Ist das nicht schon früher losgegangen?“

Oder „Was meinen Sie mit „Kochen“?“

Dann hätte Frau Seeburg zumindest erklären müssen, was sie meint.

 

„Über Jahrtausende hauptsächlich vegan“ – nein.

Aber es kommt noch dicker. Denn gleich darauf geht es um biblische Zeiten, zuvor bescheinigt Thadeusz der Autorin Seeburg, sie räume „nebenher mit vielen Fehlannahmen“ auf.

Scheinbar stellt sie dabei in den Raum, dass vegane Ernährungsformen ohne tierische Lebensmittel in der Antike die Regel waren. Das greift Thadeusz auf.

Um sie davon erzählen zu lassen, baut er ihr eine Rampe und fragt: „War Jesus Veganer?“ Antwort Seeburg:

„Er wird wenig Fleisch konsumiert haben, wie die meisten Menschen damals. Gerade in heißen Ländern, wo es kaum eine Möglichkeit zur Kühlung gab, war Fleisch als Nahrungsmittel das Privileg der Oberschicht. Viele selbst ernannte Grillmeister behaupten gern, dass Fleisch in der Ernährung etwas ganz Archaisches sei und schon immer dazugehörte. Die verkennen aber, dass der Mensch über Jahrtausende hauptsächlich vegan gelebt und sich von Brot und Brei ernährt hat. Ob das lecker war, ist eine andere Frage.

 

Auch hier: Alles falsch. Die Behauptungen wie die Begründungen.

Fleisch war zu allen Zeiten und überall das begehrteste Nahrungsmittel, auch und gerade in heißen Ländern – zum Beispiel in Afrika, wo alles begann. Dort ist es bekanntlich recht heiß, wie kommt Seeburg darauf, dass der Fleischverzehr von Kühlung abhängt?

Das ist hanebüchener Unsinn. Zumal Fleisch schon in der Jungsteinzeit durch Trocknen, Räuchern, Kochen in Fett und Einsalzen konserviert wurde, wenn man es nicht gleich gebraten und verzehrt hat.

Es gab kein veganes Leben vor 1944

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Die Goldenen Blogger: Nominiert als einer der vier besten Foodblogs 2015

Auch war Fleischessen kein Privileg der Oberschicht: Alle haben Fleisch gegessen, nur in unterschiedlichen Mengen.

Daran gibt es keinen Zweifel, gerade im Mittelalter war der Fleischkonsum sogar recht hoch. Grund: Die armen Schichten hielten Schweine und Hühner und gingen jagen und fischen, um sich ihre Fleischration zu sichern.

Die Überheblichkeit, mit der Seeburg aber behauptet, „selbst ernannte Grillmeister“ – meint sie damit etwa Forscher? – würden verkennen, was Menschen wirklich gegessen haben, ist geradezu atemberaubend.

Diejenige, die die Fakten nicht kennt, ist aber Seeburg. Denn selbst die ärmsten Brot-und-Brei-Esser haben Speck in die Suppe gegeben und mit Schmalz den Kohl fett gemacht – mit Schweineschmalz. Tierischem Fett.

Sie haben Käse, Quark und Jogurt hergestellt, um die nahrhafte Milch ihrer Tiere zu verwerten. Sie haben Fische, Frösche, Landschildkröten, Schnecken und Vögel gefangen, um sie zu verspeisen und ihren Eiweißhunger zu stillen.

Sie haben Eier gesammelt, gejagt und gewildert, wo Jagen ihnen verboten war, später Hasen und Hühner im Hinterhof gehalten, um sie zu schlachten.

Und wann immer sie konnten, haben sie sich mit Fleisch vollgestopft, bei Festen, Hochzeiten, rituellen Tieropfern.

Fakt ist: Es gab kein veganes Leben vor Mitte des 20. Jahrhunderts, weder theoretisch noch praktisch.

 

Speck, Schmalz und Käse – alles nicht vegan

Nicht einmal rein vegetarisch lebende Kulturen gab und gibt es auf der Welt, wie Quarkundso.de schon berichtete. Die Tatsache, dass arme Schichten weniger Zugang zu Fleisch hatte, heißt keineswegs, dass diese Menschen „über Jahrtausende vegan gelebt“ hätten.

Seeburg erzählt einfach Unsinn – und den hat sie irgendwo her. Wir glauben, die Quellen zu kennen, nämlich interessierte Kreise, die Märchen über angeblich uralte vegane Kulturen verbreiten.

Was die biblischen Zeiten angeht, sind aber Altes und Neues Testament voll von Mahlzeiten mit geschlachteten Lämmern, Hammeln und Kälbern, Ochsen und Ziegen, gebratenen Fischen, Käse und Milch.

Nicht einmal die Fastennahrung der Eremiten in der Wüste war tierfrei: Bekanntlich lebten die von Heuschrecken und Honig, beides nicht vegan.

Nun traut sich Seeburg bei Jesus allerdings nicht, die Fakten so krass zu leugnen. Sie verneint die Frage von Thadeusz: Jesus war kein Veganer, denn er hat Fleisch gegessen, wenn auch wenig, wie Seeburg spekuliert.

 

„Warum Jesus Veganer war“: Lesertäuschung und Falschmeldung

Der richtig dicke Hund ist aber, was der SPIEGEL daraus macht. Er stellt einen Titel über das Interview, der die Aussage im Interview anders wiedergibt:

Warum Jesus Veganer war und Gladiatoren mit Hüftspeck kämpften.

Quelle Titel im Original: Spiegel.de vom 19.6.2023

Diese Überschrift war es, die auf dem Radar von Quarkundso.de auftauchte, dabei gingen die Warnlampen komplett auf Tilt.

Denn DER SPIEGEL, Deutschlands wichtigstes Nachrichtenmagazin, behauptet mit dieser Überschrift:

  1. Jesus war Veganer
  1. Der SPIEGEL wird seinen Lesern erklären, warum das so ist
  1. Die Erklärung steht in diesem Artikel.

 

Alles ist nicht der Fall.

Den Titel aber nur als harmloses Clickbaiting abzutun, als launige rhetorische Frage, als ein Fall von „Den Onlinern ist die Maus ausgerutscht“, verbietet sich.

Denn das hier ist der SPIEGEL.

Und dieser Titel ist erstens Lesertäuschung – schließlich sagt die Autorin selbst, dass Jesus kein Veganer war.

Es wird daher zweitens weder von ihr noch von Redakteur Thadeusz erklärt, „warum Jesus Veganer war“. Damit verfälscht der SPIEGEL die Aussage der Autorin, das ist journalistisch unzulässig.

Damit wird der Titel drittens zur Falschmeldung.

So etwas darf nicht passieren, in einem Qualitätsmedium, und besonders nicht beim SPIEGEL.

Und Online hin oder her, für Überschriften gibt es journalistische Standards, wie sie etwa Altmeister Wolf Schneider und Detlef Esslinger aufgeschrieben haben.

  1. Die Überschrift muss eine klare Aussage haben

  2. Diese Aussage sollte die zentrale Aussage des Textes sein

  3. Sie darf den Text nicht verfälschen

  4. Sie muss korrekt, leicht zu fassen und unmissverständlich formuliert sein

  5. Sie sollte einen Lese-Anreiz bieten

 

Die Forderungen 1 bis 4 hat der SPIEGEL nicht erfüllt,

Nur 5 stimmt, das mit dem Leseanreiz. Aber um welchen Preis – um den Preis von Fake News, Wissenschaftsleugung, Täuschung, Irreführung der Leser und Verfälschung des Textes?

Was hat den SPIEGEL da geritten? Ist so etwas nach den journalistischen Standards erlaubt? Das sollte man in diesem Fall wohl den Deutschen Presserat fragen, mit seinem Pressekodex und den Ziffern 1 und 2, Wahrhaftigkeit und Sorgfalt der Recherche.

 

Hallo DuMont, wo war das Lektorat?

Vorerst fragen wir den Verlag, der das Buch herausgebracht hat, den großen DuMont: Überprüft da keiner mal Aussagen und Quellen?

Der Verdacht liegt nahe, dass es kein inhaltliches Lektorat und keine sachkundige Redaktion gab. Daher sind wahrscheinlich noch mehr Fehler im Buch – das hat eine Stichprobe von Quarkundso.de tatsächlich ergeben.

Wir haben uns den Vorschautext des Buches angesehen, den DuMont online gestellt hat. Gleich im ersten Kapitel, das beschreiben will, wie man ein Mammut verspeist, spricht die Autorin davon, dass frühe Menschen Knochen von Tieren aufgeschlagen haben, um an das Mark zu kommen.

„Fairerweise muss man zugeben, dass Knochenmark ungewöhnlich proteinhaltig ist. Es sorgt dafür, dass das menschliche Gehirn ordentlich wächst …“

Quelle: Leseprobe des Verlags DuMont

Nun, das ist wieder falsch: Knochenmark ist nicht ungewöhnlich proteinhaltig.

 

Basiswissen: Knochenmark enthält sehr viel Fett

Das kann man in jedem Lexikon und erst recht in jedem Lebensmittellexikon nachlesen: Knochenmark enthält sehr wenig Protein.

Stattdessen enthält es sehr viel Fett – es ist überaus fetthaltig.

Das Verhältnis ist 1:12 – 6,7 Gramm Protein zu 84,4 Gramm Fett pro 100 Gramm Knochenmark. Das Fett liefert erstens sehr viel Energie, doppelt so viel wie Protein.

Vor allem liefert es aber Stoff für Zellwachstum und Gehirn, das zu über 60 Prozent aus Fett besteht. Auf Details zur Evolution und zur Rolle des Fett- und Fleischkonsums dabei verzichten wir, kann man alles nachlesen.

Wir fragen uns nur erneut, wie so etwas durchgehen kann.

Denn dass Knochenmark nur sehr wenig Protein enthält, dafür aber überwiegend Fett, ist Basiswissen zu Ernährung. Kann es sein, dass niemand in einer Sachbuchredaktion, weder Lektorin noch Redaktion, solche Fehler bemerkt?

Ist ein inhaltliches Lektorat bei einem Werk mit so hohen Anspruch – Geschichte der Menschheit, Evolution, will „mit Fehlannahmen aufräumen“ – nicht Pflicht?

 

Noch mehr Legenden – und Mythen der Veganer

Wir melden weitere Zweifel an, zum Beispiel bei den Behauptungen Seeburgs zu römischen Gladiatoren: Die waren angeblich nicht muskulös und athletisch, sondern pummelig bis fett, weil sie ob einer vegetarischen Ernährung „aufgingen wie Hefeklöße“.

Das ist unplausibel, wir werden dem nachgehen.

Wir haben schon erste Hinweise darauf, dass Seeburg auch hier eine Legende verbreitet. Die passt zu ihrer Vorstellung von einem Jahrtausende währenden veganen Leben und einem Jesus, der wenig Fleisch gegessen hat.

Damit taucht aus dem Nebel der falschen Fakten eine mögliche Quelle für den Unsinn auf. Denn diejenigen, die solche Märchen in die Welt sitzen und offensiv die Wissenschaft dazu leugnen, sind Veganer und Tierschutzaktivisten.

 

Uns graut es

Die Organisation PETA hat zum Beispiel zur Frage, ob Jesus Veganer war, ein Dossier im Netz stehen. Es legt nahe, Jesus und seine Apostel hätten den vegetarisch-veganen Lebensstil befürwortet.

Kommentar der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen dazu: „Für die bis heute in der veganen Literatur auftauchende Behauptung, Jesus und die frühe Kirche seien vegetarisch / vegan gewesen, gibt es allerdings keine Anhaltspunkte.“

Wir werden das Buch von Frau Seeburg also tatsächlich lesen müssen, und wir werden uns ihre Quellen anschauen – falls sie diese nennt. Das wird schrecklich viel Arbeit.

Schlimmer ist allerdings die Angst, dass bizarre Wissenschaftsleugner aus veganen Kreisen jetzt als Gewährsleute für Sachbücher durchgehen – und als vorgebliche Experten im SPIEGEL landen.

Uns graut davor.

©Johanna Bayer

 

SPIEGEL-Redakteur Frank Thadeusz interviewt Uta Seeburg zu ihrem neuen Buch, erschienen am 19.6.2023

+++Update 19.7.2023: Der SPIEGEL hat nach unserem Beitrag seine Überschrift geändert – Anmerkung der Redaktion+++

Der neue Titel heißt: „Warum Jesus (beinahe) Veganer war und Gladiatoren mit Hüftspeck kämpften“ – und unter dem Beitrag steht dazu eine Anmerkung der SPIEGEL-Redaktion. Die ist leider ziemlich lahm, einen Irrtum räumen sie nicht ein und sie entschuldigen sich auch nicht für den Fehler. Aber immerhin.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es in der Überschrift »Warum Jesus Veganer war und Gladiatoren mit Hüftspeck kämpften«; die Ernährungsgewohnheiten des Heilands lassen sich aus dem Interview allerdings nicht so eindeutig herauslesen – unsere Interviewpartnerin vermutet lediglich, dass Jesus wie die meisten Menschen damals wenig Fleisch gegessen haben dürfte. Wir haben die Überschrift entsprechend angepasst.

Allerdings vergisst das Internet ja nichts – in der Google-Suche taucht noch die alte Überschrift auf: „Warum Jesus Veganer war…“. Es bleibt also peinlich.

Beitrag aus Quarkundso.de über angeblich uralte vegetarisch-vegane Kulturen: „Schwindeln für den guten Zweck“

Neanderthal-Museum in Mettmann, Ernährung in der Steinzeit für Kinder

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8 Kommentare

  1. Nun ja, von Spiegel und Co. sollte man keine wissenschaftliche Expertise erwarten.

    • Fenja

      Hallo
      Auch ich bin über einen Pummelkämpfer gestolpert ( klar, liegt ja auch total im Weg ).Ihr Satz, die Gladiatoren seien „ob einer vegetarischen Ernährung“ so kugelig geworden irritiert mich völlig.
      Seit wann werden Vegetarier fett ? ( ausser sie ernähren sich von Cola und Donuts und sitzen Chipsessend vorm TV – was ich jetzt mal alles bei Gladiatoren in Abrede stelle )
      DER ganz grosse Vorteil dieser Ernährung, abgesehen von ethischer Leichtigkeit, ist doch angeblich, daß man schlank und gesund bleibt ? Bitte um Erleuchtung.

  2. Thomm Thommassonn

    Super, ein Genuss zu lesen! Kurze Anmerkung: Gladiatoren waren tatsächlich etwas pummelig, sie hatten kein definiertes Sixpack wie in Hollywood. Sondern natürlich Muskeln, aber mit Speckschicht. Warum? Weil damit Hiebe mit einem Schwert, Messer oder anderen Stichwerkzeugen weniger Schaden an lebenswichtigen Innereien anrichteten, sondern erst einmal „weiter außen“. Nicht weniger schmerzhaft und stark blutend, aber immerhin…..

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Danke für das Kompliment! Freut mich sehr, dass Ihnen der Artikel gefallen hat.

      Das mit der Speckschicht und die Erklärung dazu – Speck schützt vor Verletzungen – bezweifle ich. Es ist schlicht unplausibel.

      Ich bin ja dabei, diese Behauptung zu überprüfen, denn es gibt für die Pummel-Hypothese nur eine einzige Quelle, von der alle abschreiben, darunter Spektrum, National Geographic … Aber in dieser Quelle wird auch nur spekuliert. Wie im Spiel „Stille Post“ werden die Schwerathleten nach und nach sogar zu fetten Sumo-Ringern oder „gehen auf wie Hefeklöße“.

      Welche Quelle haben Sie?

    • Fenja

      Hallo
      Auch ich bin über einen Pummelkämpfer gestolpert ( klar, liegt ja auch total im Weg ).Ihr Satz, die Gladiatoren seien „ob einer vegetarischen Ernährung“ so kugelig wurden irritiert mich völlig.
      Seit wann werden Vegetarier fett ? ( ausser sie ernähren sich von Cola und Donuts und sitzen Chipsessend vorm TV – was ich jetzt mal alles bei Gladiatoren in Abrede stelle )
      DER ganz grosse Vorteil dieser Ernährung, abgesehen von ethischer Leichtigkeit, ist doch angeblich, daß man schlank und gesund bleibt ? Bitte um Erleuchtung.

      • Kommentar des Beitrags-Autors

        Hallo Fenja,

        um Erleuchtung müssen Sie natürlich Frau Seeburg bitten. Ich habe im Artikel und in meinem Kommentar schon beschrieben, dass diese Behauptung, Gladiatoren wären fett gewesen, aus mehreren Gründen unplausibel ist. Sie scheint mir auch nicht wirklich belegt, siehe oben, meine Antwort auf den vorigen Kommentar.

        Davon abgesehen ist es aber keineswegs nicht so, dass vegetarische Ernährung immer schlank hält. Hierzu herrschen leider auch viele Mythen und Missverständnisse, bei sichtbar übergewichtigen Vegetarier und auch Veganern.

        Ein weites Feld also. Nach der Sommerpause geht es Ende August weiter mit der Recherche zu den Behauptungen im Buch. Die Sammlung wächst.

        Viele Grüße
        Johanna Bayer

  3. Großartig zusammen gefasst, Top Beitrag. Danke