Beitrag von November 2014
Eine neue Studie ist rausgekommen: In Deutschlands Schulen ist das Essen schlecht. Es gibt zu viel Fleisch, zu wenig Gemüse und alle Zeitungen, Internetdienste und Sender geben das so weiter: zu viel Fleisch im Schulessen!
Die Studie, um die es geht, stammt aus dem Bundesernährungsministerium und ist Chefsache von Ernährungsminister Christian Schmidt. Übrigens sieht es bei der Verpflegung in Kindertagesstätten genau so aus, wie eine Bertelsmann-Stiftung zur Kita-Verpflegung im Sommer ermittelt hat: zu viel Fleisch, zu wenig Gemüse.
Allerdings stammt der Titel „Zu viel Fleisch im Schulessen“, der über den Berichten zur Studie über Schulkantinen klebt, nicht vom Ministerium, wie ein kurzer Anruf bei Pressesprecher Jens Teschke aufhellt. Nein, sagt der, das mit dem Fleisch war weder Hauptergebnis noch Hauptstoßrichtung der Studie.
Als Hauptbotschaft ist das Ergebnis mit dem Fleisch auch nicht zu betrachten: „Das ist eine Interpretation der Medien“, sagt der Pressechef.
Doch die Medien sind sich erstaunlich einig darüber, wie eine Abfrage bei Google zu „Schulessen+Fleisch“ zeigt. Die WELT sieht gleich die Katastrophe kommen: Was die Studie herausgefunden habe, so ein Videotext, zeige, dass „dieses Schulessen mit gesunder Ernährung nichts zu tun“ habe.
Die Folge: übergewichtige Teenager, denn „das Essen in den ersten Lebensjahren“ sei entscheidend.
Spitz auf den Punkt bringt es der Text zum Video auf der Artikelseite der WELT: „Eine Studie hat ergeben, dass es in vielen Schulen zu oft Fleisch und zu wenig Gemüse gibt. Das hat fatale Folgen.“
Der große Trend zum Übergewicht bei Kindern ist gestoppt
Schulessen ist Schuld am Übergewicht von Kindern? Alles was Recht ist – aber das hat die Studie todsicher nicht ergeben. Das würde bedeuten, dass Kinder, die in einer Mensa essen, dicker sind als andere, oder öfter dick.
Das aber stimmt keinesfalls. Zumal der Trend zu mehr übergewichtigen Kindern sogar gestoppt wurde: Seit mehreren Jahren ist der Anteil der dicken Kinder nicht mehr weiter angestiegen.
Diese „erstaunliche Trendwende“ zum Positiven haben die Universitäten Ulm und Jena erst kürzlich, im April 2014, vermeldet.
Ein Problem gibt es nur mit einer kleinen Gruppe, das sind die extrem fetten Kinder. Aber ihr Anteil ist gering, nur 6 Prozent. Und natürlich gibt es auf diesem Feld keine komplette Entwarnung, das Problem Übergewicht bleibt und ist gerade für Kinder groß.
Aber Forscher selbst sind überrascht über die neue Perspektive und erklären sie mit dem Erfolg der Aufklärungskampagnen.
Das war auch schon in der WELT zu lesen, aber April ist natürlich lange her. Trotzdem bleibt zu vermerken: Der gestoppte Trend zum Übergewicht fällt zumindest in Deutschland zeitlich durchaus zusammen mit dem Anstieg des Anteils der Kinder, die in Schule oder Kita ein warmes Mittagessen bekommen.
Das waren früher weniger, heute mehr. Das ist doch eine interessante Parallele, bei all dem Kantinen-Bashing – hat darüber eigentlich schonmal jemand nachgedacht?
Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!
Aber egal, wir wollen uns nicht mit Peanuts aufhalten.
Wenden wir uns dem einzigen interessante Kommentar inmitten des Geschimpfes auf das Schulessen zu. Er kommt von der FAZ und geht auf die seltsame Heuchelei ein, die beim Umgang mit Kinderessen herrscht.
Autor Jasper von Altenbockum haut kräftig auf den Tisch und spricht aus, was viele deutsche Eltern beklagen: Ihre Kinder mögen nunmal kein Gemüse. Sie mögen Pommes. Und Schnitzel.
Kein „Grünzeug“, kein „erwachsenes Gutessen“. Das Fazit: Man soll den Kindern halt geben, was ihnen schmeckt, und ansonsten mit dem Gejammere über das Schulessen – zu wenig Auswahl, zu wenig Gemüse – aufhören. Im Zweifelsfall gilt: Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!
Das hört nicht jeder gerne. Bleiben wir also beim Essen und applaudieren wir sicherheitshalber nicht gewissen konservativen Erziehungsmaximen.
Fakt ist: Deutsche Kinder mögen, wie es scheint flächendeckend, kein Gemüse. Aber können denn Pommes frites, aus gesunden Kartoffeln, mit viel Vitamin C, nicht gelegentlich mal als Gemüse durchgehen?
Okay, das ist wohl nicht konsensfähig.
Dann vielleicht das: Warum sollten die Kinder anders sein als ihre Eltern? Schließlich hat auch der mündige Bürger den „Veggie-Day“ für alle letztes Jahr abgestraft, sehr zum Ärger der Grünen. Mein Bauch gehört mir, haben die Deutschen gesagt, fleischloses Zwangsessen lassen sie sich nicht verordnen.
Aber bei Kindern sieht das anders aus, da ist man sich einig: Fleisch, igitt! Und zu wenig Gemüse! Das geht nicht. Nur: Wo soll die Liebe zum Gemüse herkommen?
Fleisch für Erwachsene – und irgendwas für Kinder?
Kindern, das sagt vor allem die Deutsche Gesellschaft für Ernährung DGE, sind in Kantinen maximal zwei Fleischportionen in der Woche zu geben. Das bedeutet, falls sich aus Versehen auch die Eltern an die DGE-Empfehlungen halten, gleich fünf niedliche Veggie-Days für die lieben Kleinen, an denen es, tja, was gibt? Gemüse? Obst?
Nein, natürlich nicht. Da würden die Kinder nicht nur protestieren, sie würden auch Wachstumsstörungen bekommen.
Stattdessen gibt es Kinderessen: Nudeln mit Soße, Pfannkuchen, Milchreis und dergleichen. Bestenfalls, wenn sie nämlich in der Schulkantine speisen. Sind sie auf ihre Eltern angewiesen, läuft es in vielen Familien auch auf Chips, Butterstullen, Süßigkeiten oder eine Industriepizza aus dem Ofen hinaus.
Ob das wiederum im Sinne der Erfinder – der DGE – ist, ist sehr fraglich. Wobei es sowieso schon seit Jahren bei Kritikern gärt, denn es ist unklar, ob diese DGE-Richtlinien für Gemeinschaftsverpflegung überhaupt wissenschaftlich begründbar und sinnvoll sind.
Böse Zungen sagen: Nein.
Wann ist eine Ernährung eigentlich ausgewogen?
Aber das gehört nicht hierher.
Jetzt reicht es, deutlich zu machen: Das Mittagessen ist nur eine Mahlzeit unter mehreren am Tag. Es muss nicht einmal „ausgewogen“ sein.
Ausgewogen soll die Ernährung nur im Wochendurchschnitt sein, meinen Experten. Wenn es also mittags Schnitzel mit Pommes gibt, gibt es zum Abendessen Salat, mal Obst zu irgendeiner Mahlzeit, oder etwas Rohkost als Beigabe am nächsten Tag. Das reicht. Und dafür sind die Eltern zuständig.
Sie können dafür sorgen, dass ihr Kind zuhause eine andere Auswahl bekommt als in der Schule – schwupps, ist die ganze Ernährung des Kindes „ausgewogen“.
Denn Ausgewogenheit hängt nicht an einer einzigen Mahlzeit.
Kinder als geborene Gemüsehasser – ist das so?
Interessant ist aber noch etwas: Was hat es denn eigentlich mit den seltsamen Vorlieben der – deutschen – Kinder auf sich, die angeblich kein Gemüse mögen? Auch für den FAZ-Mann scheint es ja gottgegeben, dass der eigene Nachwuchs Grünzeug verschmäht.
Nun, gottgegeben ist die Sache nicht. In anderen Ländern essen Kinder öfter Gemüse, etwa in Italien, in Griechenland, in der Türkei. Weil es die Eltern essen, siehe oben: Wenn die Eltern kein Grünzeug mögen und es den Kindern nicht nahe bringen, lehnen diese folgerichtig das Kaninchenfutter in der Schule ab.
Die Hoffnung, die Schule könne das erreichen, was im Elternhaus geleistet werden muss, ist nicht nur beim Essen verfehlt.
Trotzdem ist die Welt anderswo auch nicht besser. Denn auch in anderen Ländern lieben Kinder das, was richtig satt macht, mehr als das ortsübliche Gemüse: In Italien sind das Nudeln und Pizza. In Asien ist es der Reis. Sonstwo Mais, Yams, Hirse, Kartoffeln. Wo es Fleisch gibt, lieben Kinder Fleisch. Und sie mögen Fett und Süßes.
Fällt jemandem etwas auf?
Warum Kinder Nudeln, Pizza, Pommes und Schnitzel lieben
Kinder lieben energiereiches Essen. Sie brauchen auch viel Energie, weil ihr Körper einen höheren Kalorienbedarf hat als der Körper des Erwachsenen. Kinder haben im Vergleich zu Erwachsenen einen viel höheren Grundumsatz im Verhältnis zur Körpermasse – weil sie wachsen.
Wachsen kostet Energie. Und das ist eine sehr plausible Erklärung für die Nahrungsvorlieben von Kindern, wie Anthropologen vorgerechnet haben. Der Fokus von Kindern liegt also mit einem gewissen Recht auf Energie und Kalorien.
Dazu kommt, dass Kinder im Verhältnis zu ihrer Körpermasse auch noch einen höheren Eiweiß- und Fettbedarf haben. Denn ihre Zellen teilen sich schnell, und auch Gehirn und Nervensystem wachsen, dafür brauchen sie Eiweiß und Fett als Baustoffe.
Deshalb greifen Kinder auf der ganzen Welt gerne bei der Stärkebeilage, dem Fett und dem Fleisch zu, wo immer das möglich ist. Also bei Schnitzel mit Pommes, zum Beispiel.
Daher ist das erstmal kein Grund zur Beunruhigung. Ob ein Kind gesund ernährt wird, kann man daran sehen, dass es normalgewichtig ist und sich altersgerecht entwickelt. Dann darf es eine Zeitlang auch mal wenig Gemüse und Obst sein.
©Johanna Bayer
SZ-Artikel zur Studie ist nicht mehr online, Stand 2016
WELT-Artikel und Video zur Studie
FAZ-Kommentar von J. v.Altenbockum
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Gabriela Freitag-Ziegler
Danke für diesen Beitrag. Er hat meinem Unverständnis und auch Frust darüber, dass das Essen an unserer Schule zwar ziemlich vorbildlich ist, sich viele Kinder (und vor allem Jugendliche) aber per Abstimmung mit den Füßen dagegen entscheiden, ein paar Erklärungen geliefert. Am besten „laufen“ in unserer Mensa übrigens die Nudelbar (weil man sich da so oft man möchte nachnehmen darf, für hungrige Teenager überlebenswichtig) und die Salat-Bar. Und die ist deswegen so beliebt, weil man selber aussuchen darf und es viele verschiedene Toppings gibt. So können auch deutsche Kinder zum Grünzeug-Essen motiviert werden.
Ulrike Gonder
Dieser Beitrag war überfällig. Dass die Fleischschlagzeile so dominant war und dass die diesbezüglichen Empfehlungen der DGE so völlig unkritisch übernommen werden, ist nur eine Facette einer unsäglichen Berichterstattung. Danke für die kritische Beleuchtung!