Balsamico, das Maggi der Hipster, steckt in allerlei Mischungen, die im Supermarkt als Salatsoße durchgehen. Die grüne Ex-Ministerin Renate Künast empört sich darüber, dass in dem Zeug Zucker steckt – damit blamiert sie sich gründlich.
Natürlich besprechen wir auf Quarkundso.de auch Einlassungen aus den sozialen Medien. Schließlich brummt dort die Aufmerksamkeitsindustrie und prominente Akteure melden sich zu Wort.
Nun hat Renate Künast, Grüne, Juristin und außerdem Ernährungsministerin a.D., auf Twitter einen eigenen Hashtag geprägt: die #ZuckerbombederWoche.
Künast, die sich selbst „Foodie“ nennt, ist um Ernährung stets sehr bemüht und das mit dem Zucker ist ihr Steckenpferd: Sie ist für eine Zuckersteuer, für Ernährungsampel und NutriScore, und überhaupt für gesundes Essen mit weniger von allem – Kalorien, Salz, Fett und natürlich Zucker.
Zucker, die Qualitätsleser von Quarkundso.de wissen es, ist diese große Verschwörung, das weiße Gift, das süchtig macht und das uns die Lebensmittelmultis heimlich ins Essen mischen*. Es steckt einfach überall drin, ob die unschuldigen Verbraucher es wollen oder nicht. Und natürlich wollen sie es nicht.
Das glauben Aktivisten von Foodwatch ebenso wie Frau Künast und viele andere.
*Wir verweisen auf unser großes Zucker-Dossier und gehen auf die Diskussion hier nicht weiter ein.
Qualen nach Zahlen
Unter ihrem neuen Hashtag hat Frau Künast schon zwei Bomben ausgemacht – Lebensmittel, in die aus ihrer Sicht kein oder viel weniger Zucker gehören. Das erste war ein Jogurt mit 14 Gramm Zucker auf 100 Gramm Jogurt.
Das sei schon ein Drittel der von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Tagesmenge, grollt die Grüne.
Naja – die Tagesmenge kann doch nicht wirklich ein Problem sein. Schließlich können die Kunden selbst rechnen und nach Lektüre der Packungsangaben nur ihren Zuckerkonsum anpassen.
Also keine Schokolade mehr, kein Eis, kein Kuchen am Nachmittag, kein Zucker in den Kaffee. Zucker sparen kann nämlich jeder.
Aber das ist unzumutbar, so die Denke von Künast und Konsorten: Disziplin ist dem einfachen Bürger auf keinen Fall abzuverlangen. Stattdessen soll lieber die Industrie das Süße aus den Produkten nehmen, was diese wiederum heftig ablehnt.
Man will ja was verkaufen.
Das nehmen die Gesundheitsaktivisten der Industrie übel, und sie werden nicht müde, den Zuckergehalt in Lebensmitteln anzuprangern.
Peinlich, Frau Ex-Ministerin
Die Zuckerbombe am 22.7.2020 war nun diese hier: eine braune, klebrige Flüssigkeit in einer Plastikflasche, erhältlich bei Edeka, wie dem Etikett zu entnehmen ist.
Frau Künast, die vermutlich gerade im Supermarkt nach einem Essig suchte, macht in den Nährwertangaben auf dem Etikett ganze 43 Prozent Zucker aus, fast die Hälfte.
Entsprechend empört sich die Ex-Ministerin und alarmiert gleich die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ebenso wie FAZ, SZ und Tagesspiegel sowie die großen Nachrichtenagenturen dpa und AFP.
Wer dachte, im cremigen #Essig wäre nicht viel #Zucker, hat sich getäuscht: 46,3g pro 100ml.
Das ist doch unglaublich!@dpa @AFPde @SZ_Politik @FAZ_NET @vzbv @foodwatch_de @dge_wissen @DDG_Tweets @TspBerlin pic.twitter.com/HKFa8XIJto
— Renate Künast (@RenateKuenast) July 22, 2020
In diesem Kreis hat sich Frau Künast jetzt gründlich blamiert.
Denn das, was sie auf Twitter an den Pranger stellte, ist gar kein Essig. Deshalb steht auch nicht „Essig“ drauf. Nur das unverfängliche Wort „Creme“ ist auf dem Flasche zu sehen.
Und zwar aus gutem Grund.
Die dickflüssige, süß-klebrige Soße ist nur eine Würze, die aus allerlei Grundstoffen zusammengemischt werden darf. Sie kann deshalb nicht als Essig bezeichnet werden und ähnelt eher Salatsoßen und Fertigdressings.
Das sieht man auch daran, dass kein Säuregehalt auf dem Etikett steht. Bei echtem Essig ist das Pflicht, dafür gibt es sogar eine Essigverordnung im Gesetz. Auch stecken die Verdickungsmittel Xanthan und modifizierte Stärke in der abgebildeten Quetschflasche aus dem Supermarkt, wie auf dem Etikett ebenfalls zu lesen ist.
Wer einen guten Essig sucht, fasst so etwas nicht mit der Kneifzange an.
Übrigens steht auch auf der Vorderseite der von Künast inkriminierten Flasche nur die Bezeichnung „EDEKA Italia Crema con Aceto Balsamico di Modena I.G.P“. Das hat die Abteilung Recherche und Dokumentation der Vollständigkeit halber ermittelt.
Also nix mit Essig.
Balsamico ist das Maggi der Hipster
Frau Künast hat die Pampe aber für edlen italienischen Balsamico gehalten, sie spricht von „cremigem Essig“ – und ihre Empörung darüber ist komplett haltlos.
Denn auch in reinem Aceto balsamico steckt sehr viel Zucker, oft sogar mehr als in der angeklagten Crema von Edeka.
Denn der echte Balsamico entsteht aus eingekochtem Traubenmost. Dessen natürlicher Zuckergehalt findet sich auf dem Etikett, oft beträgt er rund 20 Gramm auf 100 ml. Es können aber auch mehr als 50 (!) Gramm sein, je nach Alter und Art des – echten – Balsamicos.
Billige Sorten davon stehen in jedem Haushalt und in allen Pizzerien, als eine Art Maggi für Hipster – das Zeug kommt einfach überall rein. Nur nicht in Italien, echter Aceto balsamico ist nämlich sehr teuer und wird dort nur in homöopathischen Dosen verwendet.
Produktangaben von Qualitätsherstellern zeigen, welche Zuckerbomben die echten Balsamicos sein können: Die italienische Traditionsmarke Giusti führt einen hochwertigen Balsamico, in dem – Achtung, Frau Künast! – 62 Gramm Zucker pro 100 ml stecken.
Eine deutsche Liebe: Salat mit süßer Soße
Anders als der echte Aceto balsamico haben süße Würzsoßen der Art „Crema“, die in deutschen Supermärkten meterweise in den Regalen stehen, in Italien aber keine Tradition.
Das denken die Deutschen nur, weshalb clevere italienische Hersteller ein Bombengeschäft machen, auch mit Zubereitungen wie „Condimento bianco“ – eine weiße, süßliche Salatwürze mit mehr oder weniger Essig, die ebenfalls in diese Klasse von pseudo-italienischen Salatsoßen gehört.
All diese Mixturen, Condimentos und Cremas sind extra für den ausländischen Markt entwickelt worden: In den USA und in Deutschland mag man es gerne süß auf dem Salat, anders als in Italien.
So schüttet man bei uns die klebrige Creme über Tomaten, Salat, allerlei Rohkost oder Mozzarella, auch dekoriert man damit Teller, wobei das pappige Zeug Nudeln und Steaks ekelhaft kontaminiert.
Die Wirte italienischer Lokale in Deutschland haben längst begriffen, was sich die ansässige Bevölkerung unter „italienisch“ vorstellt. Sie geben lächelnd Tropfen aus Plastikflaschen auf Bruschetta, Salat und Tomaten, was soll`s, die Kunden wollen es so, wenn es sein muss, kriegen sie ja auch Pizza Hawaii.
Wenn schon, sollte sich Frau Künast darüber empören: Über diese kulturlose Panscherei unter dem Etikett „echt italienisch“, und über den Zwang der Deutschen, vom Fleisch über Gemüse bis hin zum Salat alles aufzusüßen.
Guter Essig ist ein Muss – und nie süß
Soweit die dürren Fakten aus der Warenkunde und zu den kulinarischen Vorlieben der Teutonen. Angesichts dieser Lage wird es Frau Künast nicht gelingen, wegen süßer Salatsoße eine Welle loszutreten.
Auch muss sich die Industrie nicht vorwerfen lassen, sie habe heimlich Zucker in ein Produkt gemischt, in das er nicht gehört.
Das aber erhoffte sich die Juristin Künast: Auf Twitter argumentierte sie sogar mit Täuschungsabsicht – ein „Trick“ sei es, die Crema mit „Aceto balsamico“ aufzuhübschen, um die Verbraucher auf die falsche Fährte zu locken. Denn die könnten die „Crema con Aceto balsamico“ für echten Essig halten.
Nun ja. Lesen wird man den Kunden im Supermarkt wohl noch zumuten dürfen.
Aber von der grünen Fachfrau hätte man eigentlich erwartet, dass sie als „Foodie“ etwas mehr kulinarische Bildung besitzt. Mindestens sollte sie wissen, was echter Essig ist und was nicht. Der wiederum ist ein absolutes Muss in der guten Küche, und zwar in Form eines Basisessigs.
Wir haben das schon mehrfach abgehandelt, insbesondere in den Beiträge zu Spargel mit Sauce hollandaise und Kochen im Urlaub – bitte umgehend nachlesen, wird abgefragt.
Hauptbotschaft ist jeweils: Der unentbehrliche Basisessig ist nie süß und vorzugsweise Weißweinessig aus Frankreich – auf keinen Fall gruseliges Condimento oder klebrige Crema mit Was-auch-immer.
©Johanna Bayer
Warenkunde: Die Stiftung Warentest über Aceto balsamico und gewisse abwegige Spielarten