Bei der ARD hat man sich gesagt: Die Maischberger muss jetzt was mit Essen machen. Alle machen was mit Essen. Und es gibt doch gerade so einen Hype um Gluten und so. Was mit Essen läuft wie geschnitten Brot. Also machte die Maischberger das am vorletzten Sonntag und nahm sich die „Gesundesser“ vor. Das sind Leute, die sich auf eine ganz bestimmte Weise ernähren und das für gesund halten oder seitdem gesünder sind oder das glauben. Es gibt viele davon, schon seit der Antike.
Eine fröhliche, friedliche Laien-Runde
Eingeladen war dazu eine Runde von sechs Gästen, die alle auf ihre Art Promis sind. Einer ist sogar richtig wichtig, nämlich der amtierende Bundesernährungsminister Christian Schmidt von der CSU. Vier von sechs waren aber Laien, darunter zwei Schauspielerinnen, ein ehemaliger Internet-Fuzzi, und auch der Minister, was kein Widerspruch ist. Der Mann ist erst seit gut einem Jahr für die Bundes-Ernährung zuständig und von Haus aus gelernter Jurist. Ins Amt gekommen ist Schmidt, weil er vorher im Verteidigungsministerium war.
Ja, wirklich! Ist doch klar – Ernährung ist Kampf, es geht schließlich ums Überleben. Vielleicht hat er den Job aber auch bekommen, weil er aus einer Bäckersfamilie stammt. Egal, jedenfalls ist er abgesehen von seinen fachlichen Qualifikationen sehr freundlich, tolerant, vermittelnd und sympathisch. Das, muss man einräumen, ist in der Politik eine wohltuende Ausnahme und in jedem Ministerium schon die halbe Miete. Also richtet er hoffentlich nicht allzuviel Schaden an. Man wird sehen. Aber immerhin zwei der Gäste waren vom Fach, ein Arzt und das enfant terrible der Ernährungsszene, Udo Pollmer.
Wer jetzt glaubt, dass die Fetzen flogen, wie normalerweise bei solchen Runden, liegt falsch. Es war geradezu ein Ponyhof. Weitgehend herrschte Frieden, man ließ andere das Gesicht wahren und alle waren beeindruckend cool. Das hat vor allem Sandra Maischberger geschafft – La Maischberger, wie sie auf Quarkundso.de ab jetzt respektvoll genannt wird.
Gefühlte Experten? Nichts für La Maischberger
Denn die war spektakulär – sie zeigte offen ihre Ahnungslosigkeit, was das Thema angeht und konnte keine einzige fachliche Frage stellen. Deshalb ließ sie jeden seine Position darstellen, was Frieden stiftete, sogar bei Pollmer, der nur halb so viel polterte wie sonst. Gleichzeitig schaffte sie es aber, intelligent einzuhaken, das Gespräch zu lenken, und jeden subtil vorzuführen, wenn er oder sie dummes Zeug erzählte. Und es war ihr deutlich anzumerken, dass ihr das gesunde Essen samt den Gesundessern gehörig auf den Geist geht: Sie glaubt den ganzen Quatsch nicht und ist auf keinen Fall dazu bereit, auch nur einen überflüssigen Gedanken an Essen zu verschwenden, komme er nun von einem gefühlten Experten oder nicht. Und sei er nun gesund, der gefühlte Experte, oder nicht.
Natürlich würde sie das nie zugeben. Aber ich glaube, ich kann das beweisen. Dazu greife ich einige Stellen heraus, die einen stimmigen Eindruck von der ganzen Sendung bieten: La Maischberger mit treffsicheren Nachfragen, andere mit geniale Paraden, wieder andere, die geschickt ausweichen, und am Ende bleiben ewige Wahrheiten über das Essen.
Noch dazu kann man aus diesen wenigen Ausschnitten einiges darüber erfahren, was wirklich gesund macht, und das hat nichts mit Essen zu tun. Es gibt also auch echte Erkenntnisse über Essen und Gesundheit in dieser ARD-Sendung, und am Ende einen fröhlichen Konsens. Was will man mehr?
Fangen wir also an, und zwar mit
Michaela Merten, ausgebildete Schauspielerin. Vertreibt zusammen mit ihrem Mann, einem Motivationsguru und Lebensfreude- Coach, unter anderem Engelkarten, macht Engel-Coaching, Atem-Beratung und Wunscherfüllungs-Seminare. Mit letzteren zog das höchst erfolgreiche Paar auch schon die Aufmerksamkeit von Sekten-Experten auf sich. Ihre Ernährung hat sie als junge Frau völlig umgestellt, sie isst seit 25 Jahren nach den Prinzipien des altindischen Ayurveda, was Einläufe und Fleischverzicht beinhaltet. So viele Leute wollen ihren Rat, sagt sie, dass sie inzwischen hauptsächlich als Autorin von Ernährungsbüchern arbeitet.
Maischberger: „Das finde ich ja überhaupt interessant, dass Menschen, die sich damit wirklich beschäftigen, irgendwann mal vom Fokus her rüber wechseln – Sie haben das zum Beruf gemacht… muss man das denn, wenn man gesund leben möchte? Muss man sich da so reinvertiefen, dass man am Ende gar nicht mehr normal – Entschuldigung… verzeihen Sie – dass man keinen anderen Beruf mehr nebenbei haben kann?“
Ist das nicht cool? So rundheraus zu sagen, dass es ihr völlig unverständlich ist, wenn Leute sich nur noch mit Essen und Gedöns beschäftigen, traut sich doch sonst niemand! Nebenbei zielte La Maischberger damit auch auf den anwesenden Ex-Wirtschaftsingenieur, der ebenfalls sein Essen zum Beruf gemacht hat, allerdings isst er ganz anders als Frau Merten: Es ist
Nico Richter, deutscher Protagonist der „Paleo“-Bewegung, das ist Essen wie in der Steinzeit – angeblich. Der Mann war früher im Internet-Gewerbe unterwegs, lebt jetzt aber vom Bücherschreiben und von der Steinzeit-Idee: Früher gab es keine Milch, keinen Rübenzucker, kein hochgezüchtetes Getreide und keine Zusatzstoffe, also lassen wir das alles weg, es passt nicht zu unseren Genen. Darauf gekommen ist er, weil er bei einer Routine-Kontrolle des Hausarztes „schlechte Blutwerte“ hatte.
Interessanterweise kann man seiner Schilderung in der Sendung, aber auch einem SZ-Artikel entnehmen, dass das Werte waren, die übermäßigen Stress anzeigten, darunter der Langzeit-Blutzucker und erhöhtes Cholesterin. Trotzdem beschloss Richter, dass die Ursache für alles seine Ernährung sein müsse. Das ist von bestechender Logik und kommt öfter vor. Richter drehte jedenfalls sein Essen auf Steinzeit und ist seitdem gesund. Zur selben Zeit änderte er sein ganzes Leben: Er wechselte den Beruf, schlief mehr, trieb mehr Sport, sorgte für mehr Entspannung und weniger Stress. Jetzt ist geht es ihm so gut wie nie zuvor.
Logisch – wenn man alles ändert, ändert sich viel oder eben alles, vor allem auch gesundheitlich. Es muss überhaupt nicht an der Ernährung liegen. Das ist eine der tiefen Wahrheiten, die man hier erfahren kann, wenn man genau hinhört. La Maischberger jedenfalls traf mit diesem Tenor sehr instinktsicher den Punkt.
Mit diesem Gespür für das Wesentliche ging sie weiter vor, nochmal bei Michaela Merten. Die erzählt von ihrem falschen Lebensstil als junge Schauspielerin – sehr unregelmäßiger Tagesablauf, wenig Schlaf, viel Arbeit, Unmengen von Kaffee und Alkohol, Essen meist spät nachts. Sie wurde krank, nahm Antibiotika, alles wurde noch schlimmer, bis sie zum Heilpraktiker ging. Der identifizierte zielsicher das Essen als Ursache und riet zu Ernährungsumstellung und Darmsanierung. Merten verzichtete daraufhin auf Zucker, Pizza, Fastfood, Fleisch, ist seither gesund und fühlt sich jetzt 20 Jahre jünger als sie ist. An sich ist das beeindruckend. Aber da hat sie nicht mit La Maischberger gerechnet.
Maischberger: Haben Sie aufgehört, Alkohol zu trinken, nebenbei?
Merten: Ja.
Maischberger: Da würden viele schon sagen, das alleine würde schon reichen und man fühlt sich morgens besser.
Muss man das weiter kommentieren? Nein. Das ist einfach groß. Das ist La Maischberger, mehr ist nicht zu sagen, ansonsten siehe oben: Es hängt nicht alles vom Essen ab.
Aber die Merten war auch cool. Sie blieb heiter, fühlte sich nicht beleidigt und gab unbeirrt Einzelheiten ihrer Bekehrung zum Besten. Dabei spielte die Darmreinigung eine große Rolle, zu der ihr der Heilpraktiker damals riet, da sie „komplett übersäuert“ sei. Merten lässt sanieren und macht seit 25 Jahren regelmäßig „Darm-Wäschen“. Das stehe „schon in der Bibel, dass man das machen soll“, verkündet sie. Neuerdings lässt sie auch Gluten weg, obwohl sie gar keine Unverträglichkeit dagegen hat. Aber wenn sie Getreide und Zucker isst, sagt Merten, spürt sie, wie beides zusammen ihre „Darm-Zoten“ verklebt. Das ist sehr niedlich, wie sie das sagt – sie meint die Darmzotten, spricht es aber so aus: „meine Darm-Zoten“.
Maischberger: „Die Darm – was?“
Herrlich. Das war nicht einstudiert, sondern echt. La Maischberger sagt nicht brav: „Können Sie das erklären, was das ist…“ oder „… das müssen wir vielleicht erklären, für die Zuschauer…“, wie es etwa Herr Plasberg gesagt hätte, oder besserwisserisch: „Heißt das nicht „Darmzotten“?“, wie Günther Jauch. Nein, sie sagt völlig baff: „Darm – was?“ Kann man anhören, ab 55:47.
In aller Seelenruhe liefert Merten die Erklärung:
Merten: „Die Darm-Zoten. Das sind diese Tentakel, die die Vitamine und Spurenelemente und Mineralstoffe aus der Nahrung herausziehen sollen, die sitzen hier an den Darmwänden“ (deutet unbestimmt auf die Bauchregion und berichtet, wie sie bei den Einläufen an ihren Darm-Zoten fühlt, dass all das Verklebte von ihr weicht).
Udo Pollmer, studierter Lebensmittelchemiker, ist fassungslos, als er das hört. Ihm, dem Fachmann, fällt – im Bild zu sehen bei 55:49 – die Kinnlade runter. Weiß er nicht, was „Darm-Zoten“ sind? Er weiß es ganz gut, denn er ist seit vielen Jahren ein äußerst streitbarer Akteur in der Ernährungsszene und kennt sich im Verdauungstrakt leidlich aus. Dass die Darmzotten Nährstoffe aus der Nahrung holen, und zwar nicht nur Vitamine und Spurenelemente, sondern auch sonst alle, ist ihm bekannt, wo sie sitzen, auch. Pollmer hat bekannte Bücher geschrieben, darunter den Klassiker „Das Lexikon der populären Ernährungsirrtümer“, und damit vielem Unsinn ein für alle Mal den Boden entzogen. Was Leute, die Unsinn glauben wollen, allerdings überhaupt nicht beeindruckt. Aber auch andere sind dem Pollmer nicht grün. Bei einer Reihe von Ärzten und Wissenschaftlern hat er sich unbeliebt gemacht, weil er gerne absichtlich polemisiert und provoziert. Für Feinheiten ist der Mann jedenfalls nicht zu haben, für Esoterik, Hypochondrie und Neurosen auch nicht. Er ist ein alter Grantler, weiß unglaublich viel und hat keine Lust auf Streichelzoo. Aus der Reserve locken lässt er sich aber auch nicht:
Maischberger: „Diese Spülung, diese Darm-Sanierung, halten Sie was davon, Herr Pollmer?“
Pollmer: „Bitte – ich bohre nicht in fremder Leute Arschlöcher“ (gibt die Frage weiter an den anwesenden Arzt).
Großartig! Pollmer ist keiner, der auf Zuruf pöbelt, das macht er nur selbstbestimmt.
Der anwesende Arzt aber ist Dr. Carsten Lekutat, lustiger Fernseh-Doktor beim WDR, unterwegs in mehreren Coaching-Formaten („Der Gesundmacher“, „Raus aus dem Stress“). Im Nebenberuf ist er Vegetarier. Deswegen möchte er den beiden anderen Vegetarierinnen im Studio, Michaela Merten und Marion Kracht, nicht wirklich am Zeug flicken und ist sehr vorsichtig. Er sagt Richtiges, Gemäßigtes, Vorsichtiges, oder er schweigt. Zum Beispiel zu den gefühlten, verklebten und gewaschenen Darm-Zoten. Da stellt er nur in einem knappen Satz klar, dass der Darm nicht regelmäßig gereinigt werden muss, das könne der schon selbst. Dann lenkt er schnell ab, auf die Gene und sonstiges, und dass die Wissenschaft über Ernährung und Gesundheit eigentlich gar nichts weiß.
Nun, ein bisschen was weiß sie schon – und er hätte sagen können, dass eine Darmreinigung nicht nur unnötig, sondern auch unmöglich ist. Viele glauben ja, dass sie ihren Darm mit rektalen Manipulationen von schädlichen Pilzen und Bakterien befreien können. Aber die bleiben bei der Spülung drin, sie sitzen auf der Schleimhaut wie ein fester Film. Insbesondere erreichen Einlauf und Darmreinigung von hinten gar nicht erst die „Darm-Zoten“. Ein Einlauf spült nur den Enddarm und vielleicht noch einen Teil des Dickdarms, das sind maximal 30 cm hinten rein. Dann ist Schluss. Und dort, im Dickdarm, sind gar keine Darmzotten. Die sitzen ganz woanders, nämlich gut 5 bis 6 Meter und viele Verschlingungen weiter oben im Dünndarm und lachen sich ins Fäustchen, wenn der Enddarm die kalte Dusche kriegt.
Aber das alles verschweigt der Arzt, um den Frieden nicht zu gefährden, schließlich war in dieser Runde Konsens, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll.
Ewige Wahrheiten und kein Widerspruch
Diese Parole hatte der Ernährungsminister ausgegeben, weil er niemandem vorschreiben will, was er auf dem Teller haben soll – außer Kindern. Denen muss man natürlich was vorschreiben, darüber waren sich alle einig. Was genau, blieb unklar, schließlich waren sich inklusive Minister alle darüber einig, dass die Wissenschaft in punkto Ernährung total versagt. Das ist ja schon einigermaßen erstaunlich, doch am Ende trug es – beim Essen von Insektenkost – zur guten Stimmung bei.
Und wenn man die Positionen mal zusammenfasst, die da kamen, hat man Folgendes gelernt: Jeder kann essen, was er will. Ernährungsstudien widersprechen sich dauernd und Wissenschaftler wissen nichts. Aber Kinder sollen nicht so viel Pizza, Nudeln und Pommes essen. Wer will da noch widersprechen? Niemand.
©Johanna Bayer
Die ARD-Sendung mit Sandra Maischberger „Haben die Gesundesser Recht?“ vom 21.4.2015 ist nicht mehr online (Stand 2016)
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Stephan Goldmann
Jetzt frage ich mich allerdings, warum es die Redaktion von Maischberger dann nicht schafft, richtige Experten zu einem Gespräch zu versammeln, die mehr wissen als LaM und der Zuschauer auch mehr erfährt dadurch.
Johanna Bayer
Der Zuschauer konnte doch was erfahren! Aber mehr zwischen den Zeilen 😉 Ansonsten war es wohl das Konzept, gerade drei Menschen mit Mission einzuladen, die eben keine ausgesprochenen Fachleute, aber sehr überzeugt von ihrem Weg sind. Kann man machen, ist legitim. Aber es ist etwas anderes als eine Fachdiskussion. Und es kann sogar sein, dass so etwas mehr Quote bringt als eine Runde mit Experten – einfach, weil mehr Zuschauer hoffen, etwas zu verstehen. Von der Idee her gar nicht so uninteressant.