Im Januar sind alle auf Diät, weil die Festtage so schrecklich waren: Das viele Essen! Sodbrennen, Blähungen und Verstopfung drohen, vom SWR gibt es dazu Tipps und Hausmittel. Doch die sind nicht nur medizinisch fragwürdig, sie schaden auch Genuss und Esskultur – und verschleiern die wahren Ursachen.
Die Feiertage sind vorbei und sie waren schrecklich. Dieses Essen! Der Alkohol! So viel Rumsitzen! Grauenvoll. Das macht krank, das will doch kein Mensch.
Deshalb freuen sich jetzt alle, dass sie im Januar endlich wieder auf Diät gehen können, wie sonst immer. Die elende Feierei ruiniert nämlich in jedem Jahr auf die letzten Meter das Idealgewicht.
Hahaha. Das war natürlich nur ein Scherz. Satire, grob überzeichnet wie bei Oma, der Umweltsau.
Denn es ist genau andersrum: Die Deutschen schlemmen zu jeder Jahreszeit, dass die Schwarte kracht – Wochenende, Grillsaison, Urlaub, Geburtstage, Sonntagsbrunch, Jubiläen, Firmenfeiern, Einstände, Ausstände, Oktoberfest, Karneval, Kuchenessen, Eisbecher, und dazu jeden Abend beruhigendes Trostessen, nebst diversen Feierabendbieren, versteht sich.
Erstaunlich, dass dann ausgerechnet am Jahresende, wenn richtig gefeiert werden soll, die German Angst aufbricht: Wir werden alle sterben!
Was genau sind und wann helfen eigentlich Hausmittel?
Plötzlich steht vor Augen, dass Fett und Süßigkeiten auf die Hüften gehen und Alkohol aufs Gehirn. Weil diese Erkenntnis die deutschen Normalverbraucher jedes Jahr aufs Neue überrascht, leisten sämtliche Service-Redaktionen erste Hilfe.
In dieser Saison kam sie beispielhaft vom SWR, der „Hausmittel gegen Feiertagssünden“ parat hatte, und zwar als „Schnelle Hilfe gegen Sodbrennen, Bauchweh und Kopfschmerzen“. Damit gerieten die Kollegen auf den Radar von Quarkundso.de, denn die Tipps waren medizinisch und kulturhistorisch bemerkenswert.
Schon der Vorspann, der ins Thema einführt, macht klar, dass Essen gefährlich ist:
„Viel essen und viel sitzen an Weihnachten hat leider unliebsame Nebenwirkungen: der Bauch zwickt und der Kopf schmerzt. Doch Hausmittel schaffen schnell Erleichterung.“
Die Abteilung Dokumentation bei Quarkundso.de wurde hier sofort aktiv: Was genau ist eigentlich ein Hausmittel? Wozu dient, wann hilft es, und wie gut?
Nach gründlicher Recherche lag ein Dossier vor: Hausmittel sind Arzneien oder medizinische Maßnahmen von Laien, meist von Oma.
Sie können helfen, wenn man sich verletzt hat, krank wird, an einem Gebrechen leidet und etwas heilen oder lindern will, was einem ungebeten zustößt. Hausmittel haben also etwas mit Krankheiten zu tun, und die hat man selten freiwillig. Man zieht sie sich auch nicht bewusst zu.
Aber viel essen und lange rumsitzen an den Feiertagen sind keine Krankheiten. Beides kommt zu Weihnachten auch nicht wirklich überraschend oder ungebeten. Es wird sogar gezielt herbeigeführt.
Gefährliches Festessen
Dass es dagegen „Hausmittel“ geben muss, ist also medizinisch gesehen ziemlich verdreht und entbehrt der Logik. Denn die Maläse lässt sich zuverlässig vermeiden: Man muss nur mit dem Essen aufhören, sobald man wirklich satt ist. Und sich ab und zu die Beine vertreten.
So ordinär arbeitet der SWR aber nicht.
Die Redaktion erwähnt zwar den Verdauungsspaziergang. Wichtiger ist es ihr jedoch, die Leser in ihrem irdischen Jammertal zu begleiten und die unvermeidlichen Folgen des Feierns im Text deutlich herauszustellen:
„Was gibt es Schöneres, als an den Feiertagen mit der Familie oder Freunden ein besonderes Festessen zu genießen, leckeren Wein zu trinken und sich dabei ausgiebig zu unterhalten?
Danach kommt dann der Plätzchenteller auf den Tisch, dazu noch ein Schnaps für die Verdauung – und kurz darauf gehen die Beschwerden los: Sodbrennen, Blähungen, Bauchschmerzen und dann fängt auch noch der Kopf an weh zu tun….
Wenn nach dem Essen der Druck im Darm durch die entstehenden Gase schmerzhaft wird, sollten Sie sich eine Tasse Fenchel- oder Kümmeltee aufbrühen.
Sodbrennen und schmerzhafte Blähungen, Bauch- und Kopfweh als typische Beschwerden nach gutem Essen?
Im mildesten Fall kann man das für einen nachlässig getexteten Aufhänger halten, genährt aus kleinbürgerlichen Plattitüden, wie sie her müssen, wenn man kurz vor Weihnachten einen Servicetext hinschludern muss.
Harmlos sind die Phrasen allerdings nicht.
Sodbrennen nach dem Essen ist nicht natürlich
Es ist nämlich grundfalsch, allen Menschen das „besondere Festessen“ zu vermiesen, indem man behauptet, dass danach als „Nebenwirkungen“, also zwangsläufig, „die Beschwerden losgehen“.
Physiologisch ist das Unsinn, Quarkundso.de kann das bestätigen, und zwar aufgrund vieler Feld- und Selbstversuche.
Gänsebraten und Blaukraut zum Beispiel sind zum Beispiel günstige Speisen, die die Verdauung befördern und keineswegs den Darm lahm legen. Das lässt sich in jedem Ernährungsratgeber nachlesen.
Aber auch Mediziner wissen es: Beschwerden wie Sodbrennen, Blähungen oder Verstopfung folgen nicht, weil man einmal zu viel isst, oder etwas besonders Gutes. Auch nicht, wenn das an den Feiertagen an zwei, drei Tagen hintereinander geschieht.
Sie müssen überhaupt nicht kommen. Sie sind alles andere als zwangsläufig, auch wenn sie – aus Gründen – recht häufig auftreten.
Dazu gleich mehr.
Vor allem ist es kulturlos, üppiges Essen und Feiern allgemein als gefährlich hinzustellen. Beides ist wichtig für unsere Zivilisation, und zwar seit der Urgeschichte: Ausgiebige Gelage mit großen Mengen an Essen – und Alkohol! – zu festlichen Anlässen gehören geradezu zum Menschsein.
Das Leiden ist schon da
Das verlogene Gerede von den „Feiertagssünden“ ist dazu noch gefährlich, und zwar für die Betroffenen: Es schiebt die Schuld für Verdauungsprobleme auf das besonders gute Essen an wenigen Tagen und verschleiert die wahren Ursachen für Verstopfung, Blähungen und Sodbrennen.
Die treten an den Feiertagen bei vielen Menschen tatsächlich auf. Aber diese Erkrankungen oder Syndrome bestehen in der Regel auch vom 2. Januar bis zum 23. Dezember, oft sogar seit Jahren.
Das Leiden ist schon da: beim Sodbrennen zum Beispiel eine Refluxkrankheit, eine Schwäche des Magenpförtners oder der Muskulatur der Speiseröhre, oder eine übermäßige Produktion von Magensäure.
Verstopfungen kommen auch nicht von heute auf morgen, sondern gehen auf Darmträgheit und viele Ursachen zurück, ebenso wie die Neigung zu Blähungen und sonstigen Verdauungsstörungen, die Mediziner als „dyspeptisch“ bezeichnen.
Depressionen und Stress spielen dabei eine besonders große Rolle, außerdem Diabetes, Darmveränderungen wie Divertikel oder Hormonstörungen.
Blähungen treten unter anderem während der Schwangerschaft und durch Medikamente auf, außerdem bei zahlreichen Unverträglichkeiten oder dem Reizdarm-Syndrom
Nun kann es zwar sein, dass viele zu Weihnachten besonders depressiv oder gestresst sind. Aber auch das liegt nicht am Essen. Gesunde stecken ein Festessen jedenfalls locker weg, sogar mehrere, nebst leckerem Wein.
Die wichtigste Ursache für fast alles
Allerdings gibt es einen großen Risikofaktor für das alles zusammen – für Sodbrennen, Verstopfung, allerlei dyspeptische Leiden, für Depressionen, Diabetes, Darmträgheit, Hormonstörungen und Blähungen.
Es ist das Übergewicht.
Zu viele Kilos auf den Rippen, die den Verdauungstrakt und den Stoffwechsel belasten. Die bringen die Leidenden schon mit, wenn sie zu den Feiertagen am Tisch sitzen.
In Deutschland ist bekanntlich mehr als die Hälfte aller Erwachsenen übergewichtig, und das geht auf Jahre und Jahrzehnte zurück, in denen nicht nur an den Feiertagen gegessen wird. Wenn dann zum Fest noch mehr gegessen wird, kommt es zu den bekannten, mit viel Körperfett verbundenen Beschwerden.
Man muss es so brutal sagen: Übergewichtige leiden zu Weihnachten besonders und besonders häufig. Sie sind vor allem betroffen, und sie kennen die Probleme schon.
Revolutionär: Prävention hilft!
Das wagen aber weder die Onliner des SWR noch sonst eine Redaktion anzusprechen.
Lieber vermiesen sie allen die Festtage und behaupten, die Delikatessen seien Schuld, es könne daher jeden treffen.
Verlogenes Verallgemeinern hilft den Betroffenen aber nicht.
Sie könnten anders gegensteuern, wenn man ihnen klarer sagen würde, dass Sodbrennen, Verstopfung und Blähungen nicht vom Festtagsessen kommen.
Diese Desinformation zerstört Wissen rund um Verdauung, Körper und Ernährung für alle und blockiert übrigens auch Wege zur Behandlung – schließlich ist Sodbrennen ist gefährlich und kann üble Folgen bis hin zum Speiseröhrenkrebs haben.
Wer an Sodbrennen leidet, sollte sich daher mit Hausmitteln nicht abgeben. Damit muss man zum Arzt.
Gegen die Wurzel aller Festtagsfolgen, die der SWR an die Wand malt, gibt es aber wirklich ein altes Hausmittel. Es lässt sich vor Weihnachten präventiv anwenden und wirkt garantiert: Abspecken.
Wenige Kilos helfen oft schon. Dann geht am Jahresende auch wieder ein Festessen.
©Johanna Bayer
- Update 2024: Beitrag des SWR nicht mehr online, wurde gelöscht.
Information zu Übergewicht und Verdauungsbeschwerden von der Adipositas-Stiftung
Tim Klein
Danke für den informativen Post! Sehr cooler Tipp.
Volkhard
Keine Antwort, aber eine Frage: Was sind „Tfkohlipps“?
Johanna Bayer
… ein Tippfehler. 🙂 Ist geändert.