Bei mir wurde werksseitig ein Gerät mitgeliefert, das immer läuft, ich nenne es meinen kulinarischen Kompass. Vielleicht ist es auch eine Art Geigerzähler oder eine Alarmanlage, ein Rauchmelder oder ein Radar, ehrlich gesagt weiß ich es nicht genau.
Jedenfalls lässt sich das Ding weder von mir noch von anderen manipulieren und läuft komplett autark: Es sucht ständig den kulinarischen Horizont ab und schlägt aus, wenn die Richtung nicht stimmt oder wenn Nebelschwaden aufsteigen, die die Orientierung schwer machen.
Noch versuche ich herauszufinden, auf was genau es reagiert und ob es richtig eingestellt ist, werksseitig, meine ich.
Dazu gehören kleine Versuchsläufe, wie neulich beim Arche-Küchenkalender. Den schenke ich mir jedes Jahr zu Weihnachten. Er ist wunderhübsch gestaltet, es gibt für jede Woche eine Literaturstelle, in der es irgendwie um Essen geht, dazu Rezepte zum Nachkochen.
Ich liebe diesen Kalender, der von Sybil Gräfin Schönfeldt zusammengestellt wird, der „Grande Dame“ der Esskultur, wie der Verlag schreibt. In der Tendenz sind Rezepte und Literatur zwar eher norddeutsch bis ostdeutsch-pommersch, sowie stark angelsächsisch und amerikanisch beeinflusst, außerdem bäuerlich und einfach.
Aber gut, für Rezepte in einem Kalender geht zumindest letzteres nicht anders, in der Kürze kann man keine zweitägigen Gourmet-Prozeduren beschreiben.
Gazpacho ohne Knoblauch – das kann nicht sein
Manchmal aber bringt die Gräfin das Gerät durcheinander, den kulinarischen Kompass. So bei der Behauptung, die Franzosen rümpften bei rohen Zwiebeln die Nase, denn die hätten in der feinen Küche nichts zu suchen.
Nicht, dass ich jetzt nur wegen des ausschlagenden Geräts die 800 Seiten meines Bocuse-Kochbuchs auf rohe Zwiebeln durchgekämmt hätte. Aber auf Anhieb finde ich bei Bocuse eine Salade Niçoise mit rohen Zwiebeln, Tomatensalat mit rohen Zwiebeln und einen Text speziell darüber, in welcher Form Zwiebeln – roh, gedünstet, gebraten – in der Küche verarbeitet werden.
Ich lerne: Wo rohe Zwiebeln reingehören, sind sie drin, auch und gerade in der französischen Haute Cuisine. Die Gräfin schätzt aber wohl generell die Würzknollen nicht. Denn sie schafft es auch, Rezepte für Ratatouille und Gazpacho ohne eine Spur von Knoblauch anzugeben. Im Fall der Gazpacho ist das einigermaßen bemerkenswert, denn diese Gemüsekaltschale hat ihren Ursprung in einer arabischen Knoblauchsuppe.
Eine Gazpacho ohne Knoblauch auch nur zu denken, erlaubt das Gerät vom System her nicht, da erscheint immer „Error“.
Ein bisschen in Richtung meiner Rubrik „Bad Taste“ geht so was ja schon. Ebenso wie das gräfliche Rezept für „Asia-Gurken“ mit Zucker und Currypulver, oder „Pute in Früchten“, das ist Putenbrust mit Obst im Reisrand. Zu einer Literaturstelle aus Südamerika, wohlgemerkt.
Da rückt der Zeiger des Geräts schon bedenklich in den roten Bereich vor, dorthin, wo deutsche Plumpsküche, Ruhrgebiet, Nachkriegskochbuch, Toast Hawaii und die 60er Jahre stehen.
Da muss ich gleich die Reset-Taste „Esskultur“ drücken.
Nudeln mit Wein. Aber mit welchem?
Gemeldet hat sich das Gerät auch im Juli 2014, als die Gräfin Bodo Kirchhoff zitiert. Der lebt teilweise am Gardasee, weswegen die dortige Küchen- und Weinkultur erfreuliche Spuren in seinen Büchern hinterlässt. Ausgewählt ist für die Woche vom 21. bis zum 27. Juli 2014 eine Passage aus Kirchhoffs Roman „Die Liebe in groben Zügen“:
„Als es dunkelte, war er wieder im Haus und machte sich Maccaroni, nur in Butter und Parmesan gewälzt, dazu ein Wein, den der künstlerische Metzger anbot, Cà dei Frati.“
Oh toll, freue ich mich, als ich das lese, Cà dei Frati! Kenne ich, schöne Luganas, sogar etwas lagerfähig, habe gerade einen getrunken, von 2009, hier steht die leere Flasche noch in meiner Küche, weil sie so dekorativ ist.
Deutsche lieben nasse Lappen auf dem Teller. Italiener nicht.
Im Begleittext schwärmt die Gräfin von Kirchhoffs „schlichtem wie köstlichen Nudelgericht“, und gibt, wie immer, ein Rezept an. Neben Butter und Parmesan kommt jetzt Rosmarin ins Spiel.
Okay, das ist noch auf Linie, obwohl bei Kirchhoff davon nichts steht. Aber dann empfiehlt sie: „Mit grünem Salat servieren und einen Rotwein dazu trinken“.
Da stutze ich. Grüner Salat, davon stand auch nichts bei Bodo Kirchhoff, und in der italienischen Küche, um die es hier ja geht, verabscheut man nasse Lappen auf dem Teller, anders als in Deutschland.
Immerhin muss man einräumen, dass das Rezept für deutsche Leser gedacht ist. Und der Wurm muss schließlich dem Fisch schmecken, nicht dem Angler – gerade in der Küche. Daher also der Salat, na gut.
Was aber ist das mit dem Rotwein? Cà dei Frati ist Spezialist für Weißweine, eben die Luganas, der Winzer ist international dafür bekannt. Und überhaupt – zu Pasta mit Butter und Parmesan gehört doch ein Weißwein?
Erst recht, wenn es grünen Salat dazu geben soll? Wie kommt die Gräfin auf Rotwein?
Ausflug ins kulinarische Klischee
Gleich lese ich in italienischen Rezepten nach und finde nur Weißwein zu diesem Nudelgericht, die Makkaroni werden sogar darin gekocht oder geschwenkt. Jetzt muss ich nachdenken. Zuerst schlage ich den verstehenden Ansatz ein: Eine Kalenderredaktion zielt natürlich auf möglichst viele Käufer und Normalesser ab.
Die wiederum glauben, dass Italiener immer nur Nudeln essen und dazu Rotwein trinken.
Von den Franzosen denken sie ja auch, dass die nur von Baguette, Käse und Rotwein leben. Mit der schweren Fleisch- und Butterküche nebst trockenen Weißweinen in fast ganz Frankreich konfrontiert, trifft die deutschen Touristen der Schlag.
Die authentische Fleischküche in Italien ignorieren sie folgerichtig und bestellen stur Pizza und Nudeln. Die haben die Lokale wiederum nur der Touristen wegen auf der Karte.
Doch andererseits ist die Gräfin auf keinen Fall eine Normalesserin – sie hat Preise von Fachgesellschaften bekommen, sie muss sich auskennen. Stimmt mein kulinarischer Kompass nicht oder kann es sein, dass die Gräfin hier ins Klischee verfällt?
Vielleicht ist auch alles ganz anders – vielleicht haben Praktikanten den Kalender geschrieben, oder, o Graus, eine Ökotrophologin! Ist doch üblich: Ein bekannter Autor gibt seinen Namen her, niedere Chargen kolportieren was zusammen, ein Lektor schaut drüber, fertig.
Drin ist das, von dem man annimmt, dass es der Leser so erwartet.
Post vom Gardasee: Bodo Kirchhoff schreibt eine E-Mail
Jetzt will ich es wissen – welchen Wein hatte Bodo Kirchhoff im Sinn bei dieser Passage?
Vielleicht wusste das die Gräfin von ihm persönlich, empfiehlt deshalb den Roten und Bodo Kirchhoff mag das halt so? Dann hätte alles seine Richtigkeit.
Entschlossen rufe ich bei der Frankfurter Verlagsanstalt an, die Bodo Kirchhoff vertritt. Der Praktikant stammelt am Telefon verwirrt, das mit dem Wein sei die komplizierteste Anfrage, die er je bekommen habe (warum eigentlich?). Die könne nur Bodo Kirchhoff selbst beantworten. Ob ich meine Anfrage nochmal schriftlich per E-Mail schicken könne, er würde sie an Bodo Kirchhoff weiterleiten (ja, kann ich).
Gleich schicke ich noch eine Mail an den Arche-Verlag in Frankfurt und frage, ob die Gräfin alles selbst schreibt. Ja, sie schreibt alles selbst, ob ich eine spezielle Frage hätte? Da schweige ich lieber vorsichtig, denn ich hoffe auf Infos aus erster Hand.
Und dann kommt sie, die Mail vom Gardasee, von Bodo Kirchhoff persönlich: Cà dei Frati, Lugana. Weiß. „Natürlich“, bemerkt er dazu.
Gottseidank – das Gerät läuft einwandfrei, mein kulinarischer Kompass ist wieder eingenordet. Sofort mache ich mir Makkaroni, wälze sie in Butter und Parmesan und trinke dazu einen trockenen Weißwein. Ohne jeden Salat.
©Johanna Bayer
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Beatrix von Kalben
Liebe Jo,
ich bin froh, dass Du Dir den Kalender trotz der „kleinen“ Fehler aufhängst. Ich hoffe, die Gräfin antwortet Dir, wäre doch einmal interessant, warum sie den Weißwein in Rotwein umwandelt.
Weiter so….