- Der Ernährungsminister Christian Schmidt von der CSU will für besseres Schulessen sorgen. Klar. Was sollte er auch sonst machen. Er muss ja ständig für besseres Essen sorgen. Das ist gar nicht so einfach, deshalb wirkt Herr Schmidt auch nicht glücklich in seinem Job.Das mit den Kindern ist aber ein Daueraufreger – schließlich geht es um Kinder! Unsere Zukunft! Kinder also.
Was Herr Schmidt für Kinder in Kitas und Schule tun will, steht in seiner Pressemeldung vom 26. Januar 2016: Den Anfang macht ein Internet-Portal, das sich in erster Linie an Eltern richtet. Sie sollen sich zuhause und in der Schule um besseres Essen für ihre Kinder kümmern.
Später soll es noch neue Qualitätsvorschriften geben, überwacht von einem „Nationalen Qualitätszentrum Schulverpflegung“. Und fürs Erste sollen die guten alten DGE-Standards für Schulverpflegung möglichst flächendeckend angewendet werden.
Das ist der Plan von Herrn Schmidt.
Netter Versuch in der ZEIT
Viele nehmen die Meldung auf, auch in der ZEIT versucht sich jemand an dem Thema, genauer: bei ZEIT-online. Das Gute an dem Versuch: Der Artikel ist relativ kurz. Das nicht so Gute: Er ist schlampig gemacht, schlecht recherchiert und enthält einen dicken Fehler. So kurz es ist, in dem Stück lauern gleich mehrere Fallstricke zum Thema „Schreiben über Essen“.
Wegen der Klagen über die Länge der Beiträge auf Quarkundso.de mache ich diesmal einen relativ kurzen Prozess. Also, für Quarkundso.de relativ kurz.
Allerdings muss vorher ganz klar sein, dass die Fallen, die im Folgenden beschrieben werden, nicht nur Journalisten lauern. Sondern allen Menschen, zum Beispiel auch besorgten Bürgern, kritischen Denkern, engagierten Debattierern. Stammtischbesuchern und Politikern jeder Couleur.
Falle 1: Der Aufhänger
In Schulen ist das Essen schlecht und zu wenig abwechslungsreich, schreibt die Autorin, die Qualität lasse zu wünschen übrig. Das habe schon die große Studie von 2014 ergeben, die dasselbe Ministerium durchgeführt hat. Über das Schulessen heißt es also im Artikel: „Die meisten Kinder mögen es. Oft aber beklagen Schützlinge zerkochten Matsch und immer das Gleiche.“
Ist das so? Nein. Die Studie hat 2014 ergeben, dass den meisten Kindern das Essen schmeckt. Die Durchschnittsbewertung für das Essen nach der Gesamtauswertung lautet immerhin „2,5“. Also noch gut. Trotzdem schiebt die Autorin hinterher, dass angeblich oft geklagt wird.
Welche Falle ist es? Die Recherchefalle und die Storyfalle.
Einerseits die Recherchefalle – die Fakten sollte man halbwegs kennen. Und das Material lesen, das man auf dem Tisch hat, in diesem Fall den Ergebnisband zur Studie. Den hat das Ministerium 2014 präsentiert, und die Autorin verlinkt diese Quelle auch direkt im Text – studiert hat sie sie aber wohl nicht wirklich.
Andererseits lauert hier auch die sehr häufig auftretende Storyfalle: Um die eigene Argumentation zu stützen, zitiert man erst die bekannten Fakten. Das zeigt, dass man ordentlich gearbeitet hat: „Die meisten Kinder mögen es“.
Dann sagt oder schreibt man genau das Gegenteil, also einfach, was man will: „Oft beklagen Schützlinge zerkochten Matsch.“ Schon fluppt die Story.
Falle 2: Einführung und möglichst schmissige Begründung des Problems
Hier kommt sie in dieser Form: „Zuhause ist alles bio oder womöglich vegan und in der Schule soll es keine Alternative zum Billigfleisch geben?“
Ist das so? Nein. In welchen Haushalten ist schon „alles bio“? Die Zahlen sind doch bekannt: Bioprodukte, insbesondere das teure Fleisch, haben nur einen geringen Anteil am Lebensmittelmarkt.
Es sind lediglich um die vier Prozent für alle Biowaren und lausige zwei Prozent für Biofleisch. Zwei Prozent! Von den Veganern wollen wir mal lieber gar nicht erst reden – deren Anteil liegt noch weit darunter, unter einem Prozent.
Und dass in vielen Haushalten hochwertig gekocht wird, aber in Schulmensen nur Schrott auf den Teller kommt, stimmt nicht nur nicht – genau das Gegenteil ist der Fall.
Der weitaus größte Teil der Eltern wünscht sich von Schule und Staat etwas, was er zuhause gar nicht erst bieten kann oder will: ein warmes Mittagessen pünktlich auf dem Tisch, nahrhaft, mit mehreren Komponenten verschieden gekocht, dazu ein vielseitiges Salatbüffet und frisches Obst, alles möglichst abwechslungsreich. Und das jeden Tag. Jeden Tag! Für nicht mehr als 2,50 Euro.
Von den Millionen Familien, in denen „zerkochter Matsch“ auf den Tisch kommt, mal gar nicht zur reden.
Welche Falle ist es? Die Klischeefalle oder die Milieufalle.
Bei der Klischeefalle lassen Redaktionen eine Plattitüde durchgehen, die im Text weiterführt oder die eigene Argumentation stützt, ohne dass es dazu Fakten gibt. Auch Nicht-Journalisten greifen besonders gerne und hemmungslos in die Klischeekiste.
Bei der Milieufalle urteilen Menschen – auch Journalisten – nur nach ihrem eigenen Umfeld. Die Verfasserin könnte also zu den – sehr – wenigen Bundesbürgern gehören, bei denen zuhause alles bio ist, oder gar vegan.
So etwas kann Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit massiv verzerren. Das sollte es bei Journalisten aber möglichst nicht tun.
Daher Vorsicht – die Milieufalle ist eine der häufigsten und gefährlichsten Tücken der Branche überhaupt. Unter Normalmenschen ist die Milieufalle ebenfalls sehr häufig und wird meist tragisch übersehen.
Falle 3: Fakten, Fakten, immer diese Fakten
Die DGE-Standards für vollwertiges Essen, die 10 Regeln, seien vielen Schulen und Lieferanten von Schulessen nicht bekannt, schreibt die Autorin.
Im Original: „Eine Studie der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften hatte ergeben, dass Qualitätsstandards fürs Essen, wie sie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, den Verantwortlichen an den Schulen und vielen Caterern nicht bekannt sind.“
Diese Standards für Essen laut DGE beschreibt und verlinkt sie auch – und da landet man auf einer DGE-Seite, die betitelt ist mit: „Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE“.
Ist das so? Nein. Dicker Irrtum, eine Verwechslung – und voll gepatzt. In der Studie wurde gar nicht nach diesen simplen 10 Regeln für vollwertige Ernährung gefragt, von denen die Autorin hier ausgeht. Das wären die einfachen Ratschläge, in denen es zum Beispiel heißt, dass man nicht so viel Fleisch essen soll, aber dafür dafür öfter Gemüse, Obst und Vollkornprodukte.
Das sind nur ganz allgemeine Ernährungsprinzipien als Groborientierung für jedermann.
In der Studie hingegen geht es um ganz andere Regeln: um die DGE-Qualitätsstandards für Gemeinschaftsverpflegung, insbesondere für Schulen und Kindergärten.
Das sind umfangreiche Konvolute, ausgeklügelt von Ökotrophologen, mit Wochenplänen, Nährwertangaben und ganz viel Drum und Dran. Sie sind Grundlage für eine Zertifizierung durch die DGE, und ihr Sinn und Unsinn steht durchaus in Frage. Ebenso wie die der 10 primitiven Alltagsregeln, es wird lebhaft darum gestritten. Aber darum geht es ja nicht.
Welche Falle ist es? Die Klassiker-Falle. Einfach keine Ahnung, nicht recherchiert, schnell was rausgehauen und leider daneben gegriffen.
Die Klassiker-Falle ist eine ganz böse Falle. Wer als Autor reintappt, sitzt aber zum Glück nicht alleine drin. Der Redakteur ist auch da.
Im normalen Leben heißt die Klassiker-Falle Stammtisch-Falle.
Um den dicken Hund vollends rund zu machen, wurden laut Ergebnisband der Studie, den die Autorin ja verlinkt, nicht die Lieferanten, sondern die Schulträger und Kitas befragt. Also die Auftraggeber. Klar, die sind verantwortlich und müssten, wenn, Verträge schließen und die Einhaltung der DGE-Qualitätsstandards kontrollieren. In der schlichten Pressemitteilung des Ministeriums ist weder von Lieferanten oder Schulen, sondern von Kindertagesstätten die Rede.
Nun hat die ZEIT-Autorin ja ohnehin die falschen Regeln im Kopf und sie auch noch verlinkt.
Trotzdem muss man sagen, dass leider im Ergebnisband zur Studie auf Seite 36 ausdrücklich steht: „Der Qualitätsstandard der DGE ist den Schulträgern bekannt, da er zum Teil auch vertraglich eingefordert wird.“ (Ergebnispräsentation des BMEL von 2014, S. 36).
Hm. Also, aus der Nummer kommen die ganz schlecht wieder raus. Da hilft nur eins: Nachsitzen, Text ändern, neue Links raussuchen.
Im normalen Leben gilt bei dieser Falle: den Stammtisch wechseln.
Falle 4: Die Hauptaussage kommt am Ende
Am Ende des Ganzen geht es um die Hauptaussage. Eigentlich ist der Artikel nicht mehr als eine etwas aufgeblasene Meldung, ein kleiner Me-Too-Beitrag im Ressort Gesellschaft. Weder große Sachkenntnis noch Debatte und Argument sind gefordert, Mitreden ist alles.
Doch zum Schluss haut die Autorin den Lesern dann noch um die Ohren, dass alles, was sie vorher eingefordert und angemahnt hat doch eigentlich obsolet ist.
Dabei führt sie den redlichen Minister tüchtig vor, den Armen.
Der will jetzt alles besser machen und eine Art TÜV fürs Schulessen einführen, wie sie referiert. Stimmt, der Minister hat 2014 medienwirksam beklagt, dass es einen TÜV für Turngeräte gibt, dass aber die DGE-Qualitätsstandards eine rein freiwillige Sache sind.
Zum Glück, muss man nebenbei einwerfen, denn die DGE-Regeln schreiben auch unsinniges Zeug vor, zum Beispiel Magermilch.
Aber egal, was man in der Sache darüber denkt – warum heißt es am Ende des kleinen, schlampigen Beitrags auch noch wichtig: „Ob (das geplante Qualitätszentrum) dem TÜV wirklich ähnelt und einem Caterer etwa die Zulassung verweigern kann, ist fraglich. Und Entscheidungshilfen für die Schulen und Kitas gibt es schon jetzt.“
Das ist gemein. Der arme Minister kann nicht von heute auf morgen die Schulgesetze ändern, nach denen Schulen und Bildung, auch Ernährungsbildung, Ländersache sind.
Er kann auch nicht einfach irgendwelche Regeln in Gesetze nageln, in einem Bereich, in dem Eltern aus kulturellen, religiösen und erzieherischen Gründen Mitspracherecht haben – und auch die Pflicht, sich darum zu kümmern.
Es ist daher richtig, legitim und ein wichtiger Anfang, dass der Minister mit seiner Info-Plattform auch die Eltern adressiert.
Welche Falle ist es? Die Nörgel-Falle.
Die Nörgel-Falle ist eine tiefe Grube, in die viele Menschen, nicht nur Journalisten, dieser Tage stürzen. Wer von einer Sache nichts versteht, aber zeigen will, dass er ein kritischer Denker ist, sagt einfach am Ende: „Ob das was helfen kann? Das ist doch Kokolores, die verarschen uns doch alle. Ich glaub nicht, dass sich was ändert.“
Journalisten, die in die Nörgel-Fall tappen, arbeiten oft in Serviceredaktionen oder im Ressort Gesellschaft, wo immer dieselben kritischen Fragen gestellt werden: „Was hat der Verbraucher davon? Wer soll das bezahlen? Das ist doch schon längst der Fall, was soll der Umstand?“
Dahinter steckt das Mission Statement dieser Ressorts: Politik und Behörden faulenzen, lancieren sinnlose Vorzeigeprojekte, können sowieso nichts bewirken, Großkonzerne und Lobbyisten verschaukeln uns alle und der kleine Mann zahlt die Zeche.
Das ist vielleicht nicht immer falsch. Aber oft schon.
Tja. Was bleibt am Schluss?
Der DISCLAIMER.
Wer bis hierher gelesen hat, stimmt automatisch folgenden Aussagen zu:
Journalisten sind auch nur Menschen.
Weil das so ist, heißt das noch lange nicht, dass es so etwas wie eine „Systempresse“ und „gelenkte Medien“ gibt. Dieser Text darf daher nicht zu Behauptungen vorgenannter Art missbräuchlich herangezogen werden.
Es muss mehr Geld fürs Schulessen her. Und mehr Geld und Zeit für Qualitätsjournalismus, gerade im Online-Bereich.
Alle anderen sind genauso doof. Geht doch mal zu eurem Stammtisch.
© Johanna Bayer
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Der ZEIT-Online-Artikel von Parvin Singh im Ressort Gesellschaft ist nicht mehr online. Den Originaltext vom 27.1.2016 hat Quarkundso.de natürlich als PDF gesichert.
Sollte die Redaktion Text und Links ändern: Die 10 Regeln der DGE, die im Ursprungstext verlinkt wurden, gibt es auf der DGE-Seite.
Und hier gibt es die DGE-Qualitätsstandards für Gemeinschaftsverpflegung.
Die Pressemitteilung des Ministerums BMELV Nr. 18 vom 26.1.2016.
Im Archiv von Quark und so gibt es zur genannten Schulessen-Studie des Ministeriums von 2014 schon einen Beitrag – und den Link auf den höchst treffenden Kommentar von der FAZ: „Es wird gegessen, was auf dem Tisch kommt!“. Herrlich. Und wahr. Alles noch online, bitte reinschauen.
Geld und so: Ja! Man kann jetzt spenden. Natürlich völlig freiwillig. 1 Euro würde schon reichen, mehr ist möglich – einfach ins Sparschwein stecken.
Das steht mit diesem Bild ganz oben rechts im Menü. Wer draufklickt, landet bei PayPal, braucht zum Spenden aber kein PayPal-Konto.
Malte
Klasse Artikel über die Fallen des „Qualitätsjournalismus“ und vor allem: unterhaltsam!