Gefundenes Fressen

Schocker vor Weihnachten: Schaden Fondue und Raclette der Gesundheit?

Sagt das Robert-Koch-Institut wirklich, dass Raclette die Gesundheit gefährdet?

Angeblich warnt das Robert-Koch-Institut vor den beliebten Winterklassikern Fondue und Raclette. Doch können traditionelle Gerichte wirklich krank machen? Quarkundso.de ermittelt.

Der dickste Klopper der Saison kommt mit einer Meldung, die Deutsche ins Herz trifft: Das Robert-Koch-Institut warnt vor Raclette und Fondue – kurz vor Weihnachten. Bitte was? Doch, ja. So stand es unter anderem bei NTV und beim Redaktionsnetzwerk Deutschland RND, ebenso im Münchner Merkur: „Robert-Koch-Institut warnt vor Fondue und Raclette zu Weihnachten“.

Die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine HNA setzte noch das Reizwort „Gesundheitsgefahr“ davor und den passenden Anreißer hinterher:

 

Titel Gesundheitsgefahr - RKI warnt vo Fondue und Raclette zu Weinachten, Abbildung aus der HNA

Screenshot aus der HNA

„Fondue und Raclette sind zu Weihnachten und Silvester beliebt. Aber auch eine Gefahr für die Gesundheit“.

 

Die Vorstellung ist ungeheuerlich: Gerichte bäuerlicher Herkunft mit uralter Tradition sollen eine Gefahr für die Gesundheit sein?

Müssen wir wirklich an den Feiertagen auf das Familienvergnügen verzichten, weil ein paar Hysteriker harmlose Lebensmittel unter das Mikroskop legen? Ob das Robert-Koch-Institut (RKI) da nicht ein paar Petrischalen verwechselt hat?

Natürlich ging bei Quarkundso.de sofort ein Auftrag an die Abteilung Dokumentation und Recherche raus: Worum geht es in diesen Artikeln? Was hat das RKI gesagt? Meinen die das ernst?

Das Ergebnis der Recherche lag der Chefredaktion in bestürzend kurzer Zeit vor, in einer nackten Zeile: Das RKI warnt nicht vor Raclette und Fondue.

Es folgten scharfe Nachfragen der Chefredakteurin: Wie kann das sein? Wie kommt es zu so einer Schlagzeile? Wovor hat das RKI wirklich gewarnt?

Schließlich geht es Quarkundso.de um die Berufsehre, um sauberes Handwerk. Und um die Wahrheit. Die ist in Zeiten von Corona das höchste Gut, deshalb muss die Sache lückenlos aufgeklärt werden, samt Quellen.

 

Wovor warnt das RKI wirklich?

Dieses Exempel statuiert die Abteilung Dokumentation an dem Beitrag in der HNA, der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen.

Der ist namentlich gezeichnet von einer Autorin, die sich in ihrem Beitrag gleich selbst zitiert: Sie nennt als Quelle für die angebliche Warnung des RKI das Regionalportal „Ruhr24“. In der HNA verweist sie auf ihren eigenen Artikel und schreibt, an den Feiertagen solle man das beliebte Raclette „mit Vorsicht genießen, mahnt das Robert-Koch-Institut (RKI) aktuell, wie Ruhr24 berichtet“.

Bei Ruhr24, einem Regionalportal, gibt es in der Tat eine Meldung zum Thema, aber die stammt von derselben Autorin. Das ist natürlich nicht die feine Art, und besser wäre es gewesen, gleich auf das  RKI zu verweisen. Das kommt erst später, in der HNA steht ein Link zu einer auf die Seite der Behörde, hier blau markiert.

 

Das ist die echte Quelle – eine Pressemitteilung des RKI vom 26.11.2021. Nur wird in dieser Pressemitteilung weder vor Weihnachtsessen noch vor Raclette und Fondue gewarnt.

Es wird überhaupt nicht gewarnt.

Das RKI hat nur etwas festgestellt: Eine bestimmte Art von Durchfallerkrankungen, an denen Menschen vor allem im Sommer leiden, tritt auch im Winter auf.

Auslöser ist ein Bakterium namens Campylobacter, es stammt in den meisten Fällen von Hühnerfleisch: Bis zu 90 Prozent des Hühnerfleischs im Verkauf soll kontaminiert sein.

Für die Vögel ist das Bakterium harmlos, beim Menschen gibt es unangenehme Folgen: neben Durchfall auch Fieber, Bauchkrämpfe und Gelenkschmerzen; Blut kann im Stuhl sein. Ärzte weisen den Keim im Stuhl nach, die Infektion ist meldepflichtig.

Der typische Campylobacter-Durchfall gehört zu Sommer und Urlaub, er ist deshalb auch als Reisedurchfall bekannt, eine der häufigsten Lebensmittelvergiftungen. So weit, so gut – dass rohes, schmuddelig gehandhabtes und schlecht gekühltes Hühnerfleisch Durchfall macht, ist eigentlich keine Meldung wert.

 

Hühnerfleisch zu 90 Prozent kontaminiert

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Das RKI hat schon ganze Dossiers zu Campylobacter herausgegeben, auch mahnen allerlei Ratgeber von DGE bis zu den Verbraucherschutzämtern beim Kochen von Geflügel sorgfältige Hygiene an.

Warum jetzt aber Weihnachten, Raclette und Fondue? Was hat rohes Hühnerfleisch in Raclette zu suchen? Und wenn beim Fondue Fleisch in siedend heißem Fett gebraten wird, wie überlebt ein Bakterium diese Prozedur?

Tatsächlich dreht sich die Studie des RKI genau darum: Lässiger Umgang mit rohem Hühnerfleisch, wenn es  bei Raclette und Fleischfondue als Zutat auftaucht. Aber keineswegs warnt das RKI vor den eigentlichen Gerichten.

Aus den Umfragen der Forscher ging nämlich hervor, dass bei deutschen Raclettes und Fondues oft Hühnerfleisch auf den Tisch kommt, nur ohne die nötige Hygiene: Verschiedene Fleischarten liegen roh nebeneinander auf Platten und Tellern, Gäste nehmen das Fleisch mit den bloßen Händen und stecken es auf Spieße, kurz danach lecken sie Soße von den Fingern ab.

Das RKI hat in der Studie nun gezeigt, dass der typische Sommerdurchfall auch im Winter auftreten kann, nämlich dann, wenn in der Küche gehudelt wird und Leute mit den Fingern Hühnerfleisch abfummeln.

Das geschieht öfter mal zu den Festtagen, weil die Deutschen dann gerne Hühnchen auf ihre Racletteschaufeln legen und Chicken Nuggets im Fondue braten.

 

Korrekte Pressemitteilung – dümmstes Clickbaiting

Das RKI hat die eigene Pressemitteilung entsprechend korrekt betitelt:

„RKI-Studie zu Campylobacter-Enteritis-Erkrankungen nach Weihnachten und Silvester“

Das ist die ganze Geschichte.

Der Rest ist Clickbaiting der dümmsten und dreistesten Art, von NTV bis zum Redaktionsnetzwerk Deutschland RND und den sich davon nährenden Blättern. Die Masche folgt dabei scheinbar einer professionellen Logik und dreht die nüchterne Pressemitteilung auf saisonal und relevant.

Doch aus dem Studienergebnis eine offizielle Warnung des RKI „vor Raclette und Fondue“ zu machen, entbehrt jeder Grundlage. Es ist eine grobe Falschbehauptung und dreist übertrieben – Alarm für das Weihnachtsgeschäft.

Die Sache ist sogar so verdreht, dass man fast den deutschen Presserat anrufen könnte, denn die Grundsätze der Wahrhaftigkeit sowie der Sorgfalt in der Recherche sind hier mehr oder weniger absichtlich nicht gewahrt.

Aber vielleicht will ja das RKI wegen grober Verzerrung der eigenen Meldung tätig werden, und für Falschaussagen im Namen der Behörde. Quarkundso.de steht für Rückfragen jedenfalls jederzeit zur Verfügung.

 

Zu Weihnachten: gute alte Traditionen

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Bis offizielle Anfragen kommen, weisen wir noch auf Folgendes hin: Das RKI warnt seit Jahren vor rohem Hühnerfleisch und Schmuddel beim Kochen, richtig so.

Quarkundso.de hingegen warnt generell seit Jahren  davor, traditionelle Gerichte aufzumotzen und zu verpanschen.

Das Problem mit der Hühnerkontamination und der Hygiene lässt sich nämlich auch lösen, wenn man ein Raclette das sein lässt, was es eigentlich ist: ein einfaches, nahrhaftes Bauerngericht. Dazu gehören von alters her nicht mehr als Käsescheiben, gekochte Kartoffeln und sauer eingelegtes Gemüse.

Alles andere ist kein Raclette, sondern deutsche Campingküche mit allem, was man auf den Teller häufen kann. Das kann nur schiefgehen, sowohl kulinarisch als auch hygienisch.

Ähnliches gilt für Fleischfondue, auch bekannt als Fondue bourguignonne: Klassischer nimmt man dazu gutes Rinderfilet und mischt kein billiges Geflügel dazu. Natürlich ist das teurer – aber schließlich ist Weihnachten nur einmal im Jahr.

©Johanna Bayer

 

Links und Quellen – alle Belege sind übrigens per Screenshot und PDF gesichert., falls eine Redaktion was ändern sollte.

HNA-Beitrag von Autorin Zschirpe, Titel; Gesundheitsgefahr: Robert-Koch-Institut warnt vor Raclette und Fondue zu Weihnachten“

Ruhr 24 mit Beitrag „Robert-Koch-Institut warnt vor Raclette und Fondue“

Pressemitteilung des Robert-Koch-Instituts zur Campylobacter-Studie vom 26.11.2021

Der Münchner Merkur mit dem Beitrag derselben Autorin, Screenshot vom 23.12.2021

 

NTV war auch dabei, Screenshot vom 22.12.2021:

 

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  1. Roland

    Na, da würde ich mal sagen. Treffer und versenkt! .

    Und so ganz nebenbei:
    „ Quarkundso.de hingegen warnt generell seit Jahren davor, traditionelle Gerichte aufzumotzen und zu verpanschen.“

    Unterschreibe ich sofort und auf der Stelle. Überhaupt, warum sollte man etwas, was in seiner Einfachheit oft schon vollkommen ist, noch weiter verbessern wollen?

    Ich bin ja immer sehr dafür, dass jeder essen soll, wie es ihm beliebt, ich persönlich bin da aber ganz oft raus.

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