Gefundenes Fressen

Der STERN enthüllt: McDonald´s macht Fastfood! Wie man mit Null-Nachrichten Leser fängt

 

 

Ich will schon lange was über Burger schreiben, also über diese Brötchen mit Fleischklops. Was ist das für eine Welle, worum handelt es sich, ist das richtiges Essen? Aber ich brauche dazu einen Medienbericht, das ist nunmal das Konzept von Quarkundso.de. Wo kommen wir denn sonst hin!

Da kommt mir der STERN gerade recht.

Bei STERN-online gibt es seit dem Frühjahr 2015 unablässig was über McDonald‘s. Egal was – jede Pressemitteilung des Ladens und jede Diskussion unter Fastfood-Essern ist STERN-online einen Artikel wert.

Es gibt angebliche Insider-Informationen und Fan-Klatsch, es gibt was zu Kundenwünschen und Produkten; es gibt Fotogalerien und Klick-Reihen, es gibt Informationen zu neuen Filialen in anderen Ländern und zu Produkten im Ausland, zu Ausstattung und Design der Läden, zur Geschäftsstrategie, zum Umsatz.

Es gibt sogar lustige Tipps zum Selbermachen, also Bastelanleitungen für Mc-Donalds-Produkte.

Viele schöne Fotos sind dabei, also Fotos von Bic Macs, Chicken-Burgern und anderen Produkten, die direkt von McDonald‘s stammen. Das steht im Bildnachweis auch schön brav drunter.

 

Hier mal ein kleiner Überblick über Themen und Titel:

„Krise in Argentinien – McDonald‘s gehen die Ketchup-Vorräte aus“

„McDonald‘s plant ganztägiges Frühstücksangebot“

„McDonald‘s -Chef im Interview: Ein Bio-Burger ist nicht zu machen“

„So bauen Sie die geheimen McDonald‘s-Burger selbst!“ Fotogalerie mit Anleitungen

„Insider packt aus: Das sind die geheimen Menüs bei McDonald‘s“

„Fitness-Aktion in Australien: McDonald‘s umwickelt Burger mit Salatblättern“

„Fast-Food-Quiz: McDonald‘s oder Burger King? Kennen Sie die Produkte?“

„Shrimp-Burger, Käse-Wraps und Polenta-Ecken: Mit diesem Essen lockt McDonald‘s Kunden in anderen Ländern“ Bildergalerie zum Durchklicken

 

Natürlich bietet der STERN auch Kritik:

„Peinliches McDonald‘s -Video: So werden Big Macs hergestellt“

 

Und Analyse:

„Neue Strategie bei McDonald‘s: Die fetten Jahre sind vorbei“

Ja. Das ist dann so ungefähr das Verhältnis, seit März 2015.

 

Hat das etwa System?

Verschwörungstheoretiker und Lügenpresse-Verbitterte laufen bei so einer Liste natürlich zu großer Form auf: Geheimer Werbedeal mit McDonald‘s! PR-Leute des Konzerns hinter den Kulissen beim STERN! Gekaufte Schreiberlinge, unschuldige Leser, der Verlag kassiert!

Natürlich ist das nicht so.

Das Gruner-und-Jahr-Flaggschiff und Qualitätsblatt zeigt nur eine große Bandbreite. Erlaubt Meinungspluralismus, greift die Themen der Zeit auf, holt die User ab, bindet die Community ein, generiert relevanten Content, denkt viral, und was dergleichen Online-Sprech noch ist. So geht Journalismus heute.

Old-School-Opfer-Gejammere von Relevanz, Recherche, Seriosität ist unter diesen Umständen, seien wir ehrlich, Schnee von gestern. Reines Bullshit-Bingo. Heute ist Content King, notfalls auch Burger King.

Wohl deshalb ist für die Mc-Donald’s-Berichterstattung ein recht großes Team abgestellt, mindestens vier Profi-Journalisten lassen sich identifizieren, dazu zwei Redakteure und Ressortleiter. Gemeinsam arbeiten sie am großen McDonald‘s-Storytelling. Wahrscheinlich wollen sie nur den Online-Journalismus retten, der ja bekanntlich tot ist. Und so kriegen die das bestimmt wieder hin.

 

Leaks aus der Ladentheke

Content also, für User, junge Zielgruppen. Natürlich auch mit Anspruch, man ist ja wer. Die Qualitätsjournalisten von G&J drehen daher gerne auch mal das Vermischte auf investigativ, etwa den Bericht über eine angebliche „Insiderin“, die angeblich enthüllt, was außerhalb von McDonald‘s angeblich keiner wissen soll: Gleich über zwei Beiträge schrieb der STERN: „Insider packt aus“.

Die Geschichte geht so: Auf der Online-Plattform Reddit ein England meldete sich eine anonyme Frau zu einem Chat an, sagte, sie sei Managerin bei McDonald’s und jeder könne jetzt alles fragen, was er je über den Laden und das Essen dort wissen wollte. Das ist ein gängiges Format in USA und England, genannt „AMA“, „ask me anything“, ein Online-Chat, anonym und ohne Wahrheits- oder Qualitätsanspruch.

Also fragten die Reddit-User, die anonyme Angestellte antwortete, einige englische Online-Postillen berichteten, und dann kam es bei STERN online.

Was die Geheimnisträgerin über McDonald‘s preisgab, war wahrhaft brisant:

Die Gerichte werden vorbereitet, damit sie sofort nach der Bestellung über die Theke gehen können.

Die Fladen in den Hamburgern sind aus Rindfleisch.

Salat wird geschnitten in Tüten angeliefert und vom Personal von Hand in Plastikschüsseln zum Mitnehmen umgefüllt.

Vegetarische Produkte sowie Fisch und Hähnchen werden fertig zubereitet und maximal 20 Minuten warmgehalten

Das Hähnchenfleisch für die Nuggets ist tiefgefroren.

Lieferanten von McDonald‘s sind überall auf der Welt.

Der Konzern kauft dort ein, wo es am billigsten ist.

Kunden können in den Läden auch Sonderwünsche äußern.

 

Was ist denn hier die Nachricht?

Zusammengefasst bestehen die vom STERN als „Enthüllungen“ verbreiteten Angaben der McDonald‘s-Managerin also aus dem Geschäftsmodell der Fast-Food-Kette. Wobei man das Konzept des Ladens seit den 1950er Jahren als bekannt voraussetzen darf.

Das ist natürlich keine Nachricht.

Und wegen des mangelnden Nachrichtenwerts musste, das gebietet das gute Handwerk, da etwas rein. Etwas, was neu, ungewöhnlich, anders ist als sonst, und am besten zieht beim Thema Essen bekanntlich was mit Gesundheit. Also konzentriert sich der Autor auf die Zubereitung der Bulettenbrötchen:

„Im Gegensatz zu den anderen Produkten werden die Burger laut der 24-Jährigen mit allen Zutaten frisch zubereitet und maximal zehn Minuten warmgehalten.“

An sich ist diese Botschaft zwar auch noch ein bisschen lau. Aber in Zeiten der journalistischen Notwehr und auf der Mission „Rettet den Online-Journalismus“ ist ja ziemlich viel erlaubt. Und daher hat die Redaktion aus dem Ding alles rausgeholt, was ging:

„Gesund essen bei McDonald‘s? Dann bestellt lieber Burger als Salat!“

„Eine Insiderin verrät: Das Gesündeste auf der Karte ist nicht der Salat.“

„Laut der 24-Jährigen sind die klassischen Rindfleischburger gesünder als Chicken-Wraps, Salate und Co.“

So klingt das schon mehr nach einem Scoop – Burger von McDonald‘s sind „gesund“, und zwar noch gesünder als Salat! Grund: Der Salat steht etwas länger rum, bevor er weggeht. Das macht ihn – laut STERN – „ungesünder“ als die Frikadellen-Brötchen.

Diese Folgerung traf der STERN übrigens alleine. Denn auf die Idee kam sonst keiner, der den Fall überhaupt aufgriff (was wirklich nicht viele taten, schon gar kein Qualitätsblatt). Wie auch. Die ganze Welt weiß ja, dass Hamburger nicht ungesund sind. Jedenfalls nicht ungesünder als ein Wurstbrot. Oder eine Leberkässemmel. Oder ein Döner.

 

Zu plump um wahr zu sein

Trotzdem – so einfach geht es nicht. Denn schon die Quelle des gewagten Artikels im STERN weckt einen üblen Verdacht: Diese Reddit-Fragestunde könnte doch wirklich ein Trick der Marketing-Abteilung von McDonald‘s sein? Wer sollte einen so plumpen Auftritt mit Botschaften über die Produktqualität bringen, wenn nicht eine Angestellte im Auftrag des Konzerns?

Es liegt mehr als nahe: Hat vielleicht die Marketingabteilung beim Mäckes eine PR-Person oder einen Schauspielerin engagiert, die auf Kundenfragen antwortet und so tun soll, als ob sie jeden Tag hinter der Theke steht? Anonym, im Internet, nichts leichter als das. Das Briefing des Chefs lautete dann vielleicht so: „Möglichst authentisch, nicht nur Lob, auch kleine unverfängliche Details aus dem Alltag, sachlich die Abläufe beschreiben, so dass die Leute wieder mehr Vertrauen zu McDonald‘s bekommen. Schließlich sinkt der Umsatz. Und Burger sind das Kerngeschäft.“

Tatsächlich ist die Sache mit Reddit hochgradig unplausibel. Eine McDonald‘s-Managerin äußert sich im Internet über ihren Arbeitgeber? Jeder mittlere Fabrikant schreibt doch seinen Angestellten eine Geheimhaltungsklausel in den Arbeitsvertrag, von größeren Konzernen ganz zu schweigen. Betriebsinterna rauszugeben und Einzelheiten über Herstellung und Produkte auszuplaudern ist der direkte Weg zur fristlosen Kündigung.

Als ich so hin und her überlegt habe, habe ich nochmal genau im STERN-Artikel nachgelesen, den Namen der Frau gesucht, eine Stellungnahme von McDonald‘s, Einschätzungen von Ernährungsexperten, Medizinern, Lebensmittelchemikern oder so. Die könnten ja zu Wort kommen, das Gesagte unterstützen, die Gesundheitsaussage bestätigen, die Recherchen absichern, erklären, warum das Bulettenbrötchen angeblich „gesünder“ als ein Salat sein soll. Und überhaupt.

Alles Fehlanzeige.

Kein Experte, keine Recherche, nix von McDonald‘s selbst, nichts von Reddit, da ist gar nichts. Auch bleibt die Frau, die angeblich alles enthüllt, vollkommen anonym. Keiner weiß, wer sie ist.

Der Journalist auch nicht, der den Bericht geschrieben hat. Ich habe ihn nämlich gefragt.

 

STERN-Insider packt aus: Unsichere Quellen, keine Recherche

Ja, ich habe da einfach per Twitter und Facebook mal hingeschrieben: „Ist doch garantiert ein Trick der Marketingabteilung, eine gemietete Schauspielerin oder Werbefrau“. Nicht, dass ich jetzt groß recherchiert hätte, es war halt nur so eine Intuition. Ein Schuss ins Blaue. Aber der junge Autor hat treuherzig zurück geschrieben und sofort eingeräumt, sein Artikel sei wahrlich „keine Sternstunde des Journalismus“, sondern nur „etwas, was die Miete zahlt“. Und dass er schon glaube, dass die Frau eine Angestellte sei und keine Schauspielerin oder Werberin, die im Auftrag von McDonald‘s schreibt.

Und dann erklärt er noch dazu, dass er bei der schlechten Quellenlage und der fehlenden Recherchezeit leider nichts weiter dazu sagen könne. Garantieren könne er daher leider nichts.

Ja, das ist natürlich nur zu verständlich.

Die jungen Leute, die bei Gruner&Jahr arbeiten, müssen ja von etwas leben. Und trotz schlechter Quellen und mangelnder Recherche was raushauen, was die Redaktion bestellt hat. Damit die Miete reinkommt.

 

Neu: McDonald‘s macht bio und ist überhaupt super!

So gesehen hätte er doch ruhig noch mehr rausholen können aus der Sache. Denn die redefreudige Angestellte enthüllt bei Reddit noch viel mehr: Die Milch bei McDonald‘s ist oft bio, das Fleisch stammt von regionalen Bauern und Metzgern, McDonald‘s schafft Arbeitsplätze in kleineren Städten. Das alles hat die Geheimnisträgerin – total unverdächtig – verraten.

Das wäre doch auch toll gewesen, so zusammen mit der Gesundheitsbotschaft, gerade für die vielen bewussten Esser in Deutschland: McDonald‘s macht bio! Und die vielen Arbeitslosen hätte es bestimmt gefreut, zu wissen, dass die angebliche McDonald‘s-Angestellte am Ende ihrer Internet-Fragestunde letztlich noch ihren Arbeitgeber tüchtig lobt.

Übrigens genau wie der Amerikaner, der schon 2012, auf Reddit USA, Interna über McDonald‘s enthüllte.

Das gab es nämlich schonmal.

Ein angeblich junger Verkäufer erzählte damals auf Reddit launige Geschichten aus dem Alltag mit den Kunden, ebenfalls in der Fragestunde AMA, lobte das Fleisch der Klopse und endete seinen Chat mit einem großen Lob auf seinen Arbeitgeber McDonald‘s: Es sei eine Erfahrung, die er nicht missen wolle, tolles, interessantes Team, nette Leute, eigentlich alles super. Diese Story kam damals über Dailymail.UK und die Huffungtion Post ebenfalls unter die Leute, und zwar schon damals als Enthüllungsgeschichte („McDonald’s-Worker reveals…“).

Und schon 2012 spielte bei dieser Fragestunde auf Reddit die Sache mit den Geheim-Burgern eine Rolle, die man angeblich bei McDonald‘s bestellen kann. 

 

Das sieht nicht gut aus

Nicht, dass ich jetzt junge Autoren kritisieren möchte. Miete geht vor, das ist klar. Ich habe auch gar keine Zeit, das selbst zu recherchieren, schließlich muss ich ja auch von etwas leben und kann nicht nur bloggen. Aber etwas Recherche hätte dem Fall ganz gut getan. Zumindest McDonald‘s hätte man mal fragen können.

2012 bei dem Chat auf Reddit USA haben das einige getan, da antwortete die Konzernzentrale klassisch mit: „Kein Kommentar“. Das lässt durchaus tief blicken.

Aber wir wollen nicht spekulieren, sondern nur festhalten: Das sieht einfach nicht gut aus. Unsichere Internet-Quelle, anonyme Person als Informantin, sonst nur Sekundär-Quellen, nur ein paar Artikel in Online-Postillen, von denen offensichtlich auch abgekupfert wurde, keine Recherche, noch nicht mal der Versuch – schon aus Zeitgründen . Dann aber die steilstmögliche Gesundheitsaussage in die dümmstmögliche Meldung gequetscht. Obendrein noch die naivstmögliche Antwort auf eine Leser-Nachfrage gegeben: „Die Miete muss halt reinkommen“.

Tja. Einerseits sind in dieser Causa jetzt mehrere Abteilungen des Hauses Gruner&Jahr gefordert. Marketing, PR- und Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel: Wie wäre es mit einer Schulung für Jungautoren in Sachen Eigen-PR? Dann noch die Abteilung Aus- und Fortbildung: Rechercheseminar, Teil 1 – die Grundlagen, mit Exkurs: Journalistische Ethik.

Am besten bindet man noch die Abteilung Honorare ein: Besser zahlen! Mehr Zeit für Recherche! Und die Abteilung Personal verpasst derweil der Online-Redaktion des Ressorts Wirtschaft, die den Artikel verantwortet, eine Abmahnung.

Andererseits sollte dieser Vorspann hier nur der Aufhänger für meinen großen Burger-Artikel sein. Was es mit den Buletten-Brötchen auf sich hat, warum sie ein Erfolg sind und warum es so viele Varianten davon gibt.

Aber schon wieder ist die Zeit rum, zu viel Text ist in der Welt, und jetzt muss ich Geld verdienen. Schließlich muss die Miete reinkommen. Deshalb geht jetzt nichts mehr. Aber die Burger-Nummer kommt garantiert noch, notfalls ohne Recherche. Garantieren kann ich allerdings für nichts. 

© Johanna Bayer

STERN-Artikel mit der brisanten Botschaft: „Insiderin packt aus: Burger sind besser als Salat“, STERN-Online am 23.7.2015

Das Original: Die anonyme Angestellte auf Reddit UK

Dailymail.UK von 2012 – die Enthüllungsgeschichte

Geld und so: Ja! Man kann jetzt spenden. Natürlich völlig freiwillig. 1 Euro würde schon reichen, mehr ist möglich – einfach hier ins Sparschwein stecken. Wer draufklickt, landet bei PayPal.


3 Kommentare

  1. du bist bestimmt auch schuld, dass richtige journalisten so wenig verdienen; wenn man so tolle beiträge auch kostenlos auf blogs lesen kann, wieso soll man sich dann den stern kaufen oder dessen werbegespickte homepage besuchen? 😉

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Johanna Bayer

      Liebe Mausflaus, danke – und klar bin ich auch Schuld! Immer gerne… 😉 Nein, die Wahrheit ist etwas anders: Diese aufwändigen Artikel will niemand bezahlen, die Redaktionen zahlen im Online-Bereich nur für Schnellschüsse und dünnen Aufguss. Deshalb haben ja Autoren wie die Krautreporter oder die Leute von Substanz eigene Portale gegründet, andere, wie ich, machen einen Blog auf. So kann man sich wenigstens mal nach Herzenslust die eigene Meinung von der Seele schreiben und auch mal frech vom Leder ziehen. 🙂 Eines möchte ich aber gerne noch klarstellen: Ich bin eine richtige Journalistin. Journalistin, TV- und Buch-Autorin, ich lebe davon. Das kann man von den Leuten bei STERN-online nicht immer behaupten. Das nur mal dazu. Viele Grüße und danke fürs Lesen und Teilen!

  2. Thomas

    Mehr als einen Verdacht hat man ja immer, wenn man solche Artikel, wie die im Stern liest. Aber schön, dass der Stern-Journalist offen gesteht, dass er tatsächlich einfach nur Buchstaben aneinanderreiht, um seine Miete zu bezahlen. Mal wieder ein pointiert geschriebener Artikel auf quarkundso. Immer gute Unterhaltung 😉

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