Gefundenes Fressen

Die BILD, die Deutschen und ihre Obsession mit dem Darm

Die BILD bringt eine Meldung zum Thema Darmentleerung, Botschaft: Wer täglich muss, lebt länger. Doch bei Studien ist es wie beim Stuhlgang – entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Die BILD ist mal wieder dran.

Wer glaubt, die sei eine leichte Beute, irrt: In Sachen Gesundheit und Ernährung recherchieren die Springer-Leute meist akribisch. Dann texten sie so geschickt, dass niemand ihnen grobe Patzer vorwerfen kann – und servieren trotzdem Populismus.

Das ist eine hohe Kunst. Wirklich, die BILD ist ein Vorbild für die Chefredakteurin von Quarkundso.de. Da, wo die sind, wollen wir hin, handwerklich und finanziell.

Jetzt aber zum Thema: Am 22.3.2025 erschien in BILD eine Meldung mit dem Titel:

Neue Studie zeigt:

Wenn Sie so oft „müssen“,

bleiben Sie gesund

Bildunterschrift: „Forscher fanden heraus, was die beste Frequenz für den Stuhlgang ist, um gesund zu bleiben“.

 

Beleg BILD-Zeitung vom 22.3.2025; Screenshot. Inzwischen ist eine neue Version online – BILD hat den Artikel geändert und Fehler korrigiert.

Riesenstudie aus Seattle: 1400 Probanden

Die Studie, um die es ging, stammt aus den USA und beschäftigt sich mit der Darmentleerung, den Mikroben im Darm und der Lebenserwartung.

Laut BILD hatte dazu ein Forscher der Universität Seattle einer wirklich großen Gruppe von Gesunden, nämlich 1400 Menschen, Blut abgenommen und sie bezüglich vieler Werte beobachtet und untersucht:

„Studienleiter Dr. Johannes Johnson-Martínez und sein Team untersuchten 1400 gesunde Menschen. Sie nahmen Blutwerte, betrachteten das individuelle Mikrobiom (die Gesamtheit aller Mikroorganismen, wie Bakterien, Pilze) und die genetische Ausstattung. Sie sammelten Daten über den Lebenswandel der Probanden, beachteten die Darmtätigkeit, die sie in vier Kategorien einteilten.“

Offensichtlich eine Arbeit gigantischen Ausmaßes: Studien, in denen Blut- und Stuhlproben untersucht und viele Werte erhoben werden, umfassen sonst höchstens 120 Probanden, oft nur 20 bis 30. Mehr ist im Labor kaum zu schaffen.

1400 Menschen aber internistisch zu untersuchen und dazu ihren Lebenswandel zu betrachten, ist geradezu eine Jahrhundertaufgabe.

Kleiner Spoiler: Natürlich haben die Forscher diese 1400 Probanden gar nicht untersucht. Es ist alles anders.

Und nicht nur die BILD stellt die Studie falsch dar. Aber dazu kommen wir gleich.

Stuhlgang und Lebenserwartung: Was gibt es Neues?

Erstmal widmen wir uns den Ergebnissen, von den Springer-Journalisten in knackigen Häppchen gereicht.

Angeblich hat Johnson-Martinez rausgefunden, dass sich bei Verstopfung giftige Stoffwechselprodukte im Darm anreichern, auch konnte seine Gruppe angeblich klären, wie die Bakterien im Darm Nahrung abbauen, welche Stoffe genau dabei entstehen und was sie an verschiedenen Organen anrichten.

Wieder: eine Riesenleistung, die Grundlagen der gesamten Verdauung aufzuklären. Nobelpreiswürdig.

Als praktisches Fazit folgt laut BILD:

Die Forscher: Eine optimale Darmflora gedeiht, wenn Menschen ein- bis zweimal täglich Stuhlgang haben. Das gelang in der untersuchten Gruppe vor allem jenen, die viel Obst und Gemüse, generell eine pflanzenbasierte Kost aßen. Ebenfalls günstig wirkt es sich aus, wenn man viel Wasser trinkt und sich regelmäßig bewegt.

Diese Ausbeute ist leider der totale Bremser – viel zu dürftig für ein Jahrhundertunterfangen. Hat das mit den Fasern, der Bewegung und dem Wasser nicht schon Pfarrer Kneipp vor 150 gepredigt?

Nutzwert, Nutzwert, Nutzwert

Logo Goldener Blogger

Die Goldenen Blogger: Nominiert als einer der vier besten Foodblogs 2015

Um solche Binsenweisheiten ging es den kanadischen Forschern aber gar nicht. BILD bricht die Sache nur auf das Einfachste runter.

Leider bleibt dabei auf der Strecke, welches Ziel die Studie hatte und was die Forscher eigentlich herausgefunden haben.

Nutzwert ist halt neben heißem Klatsch die Devise im Boulevard: Die Leser sollen von der abgehobenen Forschung was Handfestes mitnehmen.

Warum sollte man sonst drüber schreiben? Schließlich ist die BILD kein Wissenschaftsblatt.

Wir aber, den Fakten verpflichtet, wollen für unsere Qualitätsleser zumindest das Gröbste rund um Intention und Methode dieser Studie aufklären. Den schmutzigen Job müssen wir erledigen, weil es sonst mal wieder keiner gemacht hat.

Also hat die Abteilung Dokumentation und Recherche in Daten zu Darmmikroben, Stuhlgang, Klogehen rumgewühlt, igitt. Aber für den guten Zweck tun wir alles.

Die große Content-Maschine

Beim Aktenwälzen fiel als erstes auf, dass im Zeitraum März/April 2025 eine ganze Reihe von Meldungen und Berichten zu dieser kanadischen Studie erschien, immer mit demselben Forscher-Zitat.

Tatsächlich stand die Arbeit von Johnson-Martinez schon in einer ersten Fassung im März 2024 im Journal Cell Reports Medicine, zweite Fassung dann im Juli 2024.

Viel Furore hat sie da aber nicht gemacht. Erst 2025 ging die Sache rum, als unter anderen das Wissensportal SPEKTRUM.de darüber berichtete.

Verschiedene Redaktionen, neben BILD auch FOCUS, haben das Thema aufgenommen, scheinbar ohne die Studie zu lesen, weiter zu recherchieren oder Experten zu befragen.

Dafür kann es zwei Gründe geben: Content-Austausch zwischen den Verlagen, zum Beispiel zwischen SPEKTRUM und Focus.

Oder noch dazu: Vorarbeit einer Agentur, wahrscheinlich der Deutschen Presseagentur (dpa). Die Agenturen sind inzwischen große Content-Schleudern, die Themen liefern, zu denen die Redaktionen nicht mehr wie früher selbst recherchieren.

Darm durchputzen, weg ist der Dreck

So stand in FOCUS, SPEKTRUM und BILD dasselbe zu lesen:

„Martínez betont, dass die Darmflora optimal gedeiht, wenn Menschen ein- bis zweimal täglich Stuhlgang haben.“

Tja. Das geht wohl wieder auf das Konto der Nutzwert-Doktrin.

Doch wer auch immer mit dem Forscher Johnson Martinez gesprochen hat: Aus der wissenschaftlichen Textfassung geht diese Aussage nicht hervor. Und irreführend ist sie auch.

Denn in der Studie steht nicht, dass ein- bis zweimal täglicher Stuhlgang ursächlich für eine optimale Darmflora sorgt.

Dass also jeden Tag der Müll raus muss, damit drinnen die richtigen Kulturen wachsen können.

Das wäre zu schön. Dann könnten Einläufe und Abführmittel das Problem lösen: Zweimal täglich den Darm durchputzen, weg ist der Dreck und der Mensch bleibt gesund – eine beliebte Fantasie speziell in Deutschland.

Hier herrscht geradezu eine Obsession mit dem Darm und seinen Produkten.

Ergebnisse Teil 1: viele Daten – keine Menschen

Mehr dazu gleich, erstmal führen wir in dürren Worten auf, was die Studie besagt. Hier Teil 1 unserer Auswertung, den Anfang machen Rahmen und Methode:

  1. Der Wissenschaftler Dr. Johannes Johnson-Martinez, Erstautor der Studie, hat keine Probanden gesehen oder untersucht.
  2. Er war bis 2023 Doktorand, die Studie ist seine Doktorarbeit, öffentlich erschienen im Juli 2024. Er ist ein Anfänger.
  3. Johnson-Martinez ist kein Arzt. Er ist Biochemiker mit Schwerpunkt Bioinformatik, also Datenverarbeitung. In der Studie hat er mit Hilfe von Datentools und künstlicher Intelligenz vorliegende Daten durchforstet und Korrelationen hergestellt.
  4. Er hat daher auch keine Grundlagenforschung zur Verdauung, zum Darm oder zur Darmflora gemacht. Zum Beispiel hat er keineswegs aufgeklärt, dass schädliche Stoffe aus dem Darm ins Blut übergehen können, wenn jemand verstopft ist und zu selten aufs Klo geht. Diese Erkenntnisse gab es schon. Sein Ziel war es auch nicht, die „beste Frequenz für den Stuhlgang“ herauszufinden, Zitat Bild: „Forscher fanden heraus, was die beste Frequenz für den Stuhlgang ist, um gesund zu bleiben“

Das Geschäft mit der Gesundheit

Logo Wissenschaftsblog 2015

Wissenschaftsblog 2015: Sonderpreis der Redaktion „Wissenschaft kommuniziert“

Keine Sorge, es gibt weitere dirty details zu Stuhlgang, Klo und Darm.

Aber wir ergänzen den Ergebnisteil für die Geschichte hinter der Studie. Schließlich wollen unsere Qualitätsleser, anders als die Zielgruppe der BILD, wissen, was und wie da eigentlich geforscht wurde.

Also: Dieses riesige Korpus an Daten, das Johnson-Martinez analysiert hat, stammt von einer Biotech-Firma, die als Gesundheits-Start-up ihren Kunden langes Leben versprochen hat.

Über 5000 Kunden haben dazu Blut- und Stuhlproben abgegeben und viele Fragebögen ausgefüllt, zu Verdauung, Stuhlgang, Lebensstil, Ernährung, Essgewohnheiten, Krankheiten in der Familie und eigenen Risikofaktoren.

Gegenleistung: individuelle Tipps zu Ernährung und Gesundheit sowie Warnung vor Risiken, gegründet auf Gen-, Blut- und Stuhlanalysen und Auswertung der Fragebögen.

Jede Menge wertvolle Daten

Die Firma hieß Arivale und ging 2019 Pleite.

Das große Geschäft mit den personalisierten Ratschlägen und der Genanalyse hat nicht funktioniert, unter anderem, weil die Analyse so vieler Proben zu teuer war.

Aber die Fragebögen und Laborergebnisse waren noch da, viele tausend ausgewertete Blut- und Stuhlproben von Kunden, deren Abonnements gekündigt wurden, als der Laden schloss.

Einer der Inhaber von Arivale kam auf die Idee, sie Forschern zu übergeben, und übergab sie einem anderen Biotech-Unternehmen namens Gibbons Labs. Dort hat der junge Bioinformatiker Johnson-Martinez die Daten von Arivale in diverse Tools und KI-Rechner eingespeist.

Der Inhaber von Gibbons Labs, Sean Gibbons, steht deshalb als Autor mit in der Studie. Er ist Professor für Biotechnologie an der Universität von Seattle, dieses Gibbons Lab ist seine Ausgründung. Auch er ist kein Arzt, sondern Biotechnologe.

Reste aus der Konkursmasse

Die archivierten Proben und Fragebögen weiter auszuwerten, ist so clever wie naheliegend, vor allem, weil viele gesunde Menschen Blut und Stuhl abgegeben hatten. Die wollten wissen, ob ihnen vielleicht in der Zukunft Krankheiten drohen.

Spannend ist das, weil die meisten Studien rund um Darm, Verstopfung oder Verdauung mit Kranken gemacht werden – Patienten, die Verdauungsprobleme haben oder etwa an Morbus Crohn, Reizdarm und Diabetes leiden.

Daher weiß man über Kranke einiges, über Gesunde und mögliche Frühwarnzeichen aber wenig. So war die Konkursmasse von Arivale pures Gold für die Datenforscher.

Analyse mit Bioinformatik zeigt statistische Korrelationen

Dieses Data Mining – Datenschürfen, Ausrechnen von Informationen mit Daten-Tools und Modellen – ist bei komplexen Forschungsgebieten wie Genetik oder eben dem Darmmikrobiom eine riesige Chance.

Es zeigt Zusammenhänge und Korrelationen, Entwicklungen lassen sich projizieren, Risiken berechnen.

Was allerdings nicht dabei rauskommt, sind Ursache-Wirkungsbeziehungen oder Wirkmechanismen. Oder Einsichten darin, wie der Stoffwechsel funktioniert, oder die Verdauung, und wie die Darmbakterien Nahrungsreste fermentieren.

Solche Aussagen konnte und wollte Johnson-Martinez nicht treffen.

Seine Ergebnisse stellen Korrelationen dar: Zwischen Darmbewegungen, regelmäßigem Stuhlgang einerseits und bestimmten Stoffwechselwerten und allgemeiner Gesundheit andererseits.

Demnach haben Gesunde eher einen regelmäßigen Stuhlgang. Das wiederum ist ein Anzeichen für einen funktionierenden Stoffwechsel und eine gute Verdauung.

Daraus folgt nicht, dass Toilettengänge an sich gesund machen. Art und Anzahl des Stuhlgangs zeigen nur, dass kein Problem besteht.

Ebenso gilt umgekehrt: Verstopfung oder Durchfall zeigen nur an, dass etwas nicht stimmt. Sie aber können darüber hinaus Risikofaktoren darstellen.

Brisante Erkenntnisse

So weit, so gut. Machen wir weiter mit dem zweiten Teil unserer Recherche und den Ergebnissen der Studie – rausgekommen ist nämlich eine ganze Menge.

  1. Nicht der tägliche Stuhlgang lässt die Darmflora „optimal gedeihen“. Stattdessen ist es eher umgekehrt: Bestimmte Darmbakterien führen zu regelmäßigem oder gar täglichem Stuhlgang. Da gibt es eine Korrelation.
  2. Zufällig sind es genau die Mikroben, die als förderlich gelten.
  3. Wer ein- bis zweimal täglich ein großes Geschäft verrichtet, verfügt also über einen entsprechend besiedelten Darm.
  4. Er oder sie isst tendenziell mehr Gemüse und Obst, bewegt sich mehr und trinkt mehr Wasser, zeigen die Fragebögen.
  5. Frauen essen mehr Gemüse, Obst und Ballaststoffe und haben öfter Durchfall – und sie leiden außerdem öfter an Verstopfung und Nierenkrankheiten. Das ist in der Forschung schon lange bekannt.
  6. Schlankere und Ältere haben seltener Stuhlgang und leiden häufiger an Verstopfung und Durchfall, also an abweichenden Darmbewegungen. Auch Menschen, die depressive Episoden oder Ängste angegeben haben, leiden häufiger daran, ebenfalls bekannt.
  7. Übergewichtige und Jüngere haben häufiger Durchfall.
  8. Männer essen häufiger Snacks und weniger Gemüse, Obst und ballaststoffreiche Nahrung. Sie neigen aber weniger zu Verstopfung.
  9. Menschen mit Verstopfung haben krankmachende Stoffwechselprodukte im Blut, auch wenn sie – noch – gesund sind.
  10. Unter diesen Stoffen sind solche, die auch bei Niereninsuffizienz oder  Parkinson gefunden wurden. Sie stammen aus der Aktivität von Darmbakterien, die keine Fasern, sondern Eiweiß verdauen.
  11. Verschiebt sich das Gleichgewicht der Bakterienbesiedlung im Darm Richtung dieser eiweißverdauenden Bakterien, ist der Darm öfter träge und verstopft. Auch hier ist schon bekannt, dass Verstopfung bei Niereninsuffizienz, Demenz, Parkinson, Diabetes und anderen Krankheiten auftritt. Das zeigt die Darmforschung der letzten Jahrzehnte.
  12. Verstopfung könnte also ein Zeichen dafür sein, dass sich die Darmflora in Richtung eiweißverdauende Bakterien verändert. Das wiederum ist möglicherweise ein Frühwarnzeichen für die oben genannten Krankheiten.
  13. Regelmäßiger Stuhlgang und eine funktionierende Verdauung sind Marker für Gesundheit und eine gutes Darm-Mikrobiom.

Alles nicht so einfach

Sämtliches Wissen um die Verbindung zwischen Darmbakterien und Krankheiten von Nieren, Leber, Herz, Gehirn, Nerven und Gehirn entstammt dabei nicht der neuen Studie aus Seattle. Johnson-Martinez tut auch nicht so, anders als BILD und Konsorten.

Die kanadische Arbeit bringt aber für sich gesehen viele wichtige Hinweise, schon alleine wegen der hohen Probandenzahl. Was aber bedeuten diese für den Alltag? Alle Publikumsblätter, die das Thema aufgegriffen haben, wollten ja etwas Handfestes bieten.

Aber eine einfache Botschaft gibt es nicht. Geradezu ernüchternd ist die Hauptaussage, Punkt 18, der letzte Satz: „Regelmäßiger Stuhlgang und eine funktionierende Verdauung sind Marker für Gesundheit und ein gutes Darm-Mikrobiom“.

Das muss man erstmal richtig verarbeiten, um nicht zu sagen: verdauen.

Ein Marker ist nämlich nur so etwas wie ein Anzeiger, ein Signal. Er bezeichnet ausdrücklich kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis.

Regelmäßiger Stuhlgang = gesunder Mensch kann man daher grob sagen.

Aber eine simple Ursache-Wirkungs-Kette der Art „Abfall raus aus dem Darm, Mensch gesund“ stimmt keinesfalls.

So primitiv arbeitet das Zentralorgan nicht.

Der Darm: eine deutsche Obsession

Gerade in Deutschland ist jedoch ein mechanistisches Bild von Müll, Schlacken und giftigen Resten im Darm, die entsorgt werden müssen, fest verwurzelt.

Eine große Rolle spielt dabei die Naturheilkunde, die in Deutschland ebenfalls tief verankert ist; der Zusammenhang ist kein Zufall.

Ihre Reinigungsrituale, gerne bei Fastenkuren, umfassen Abführmittel wie Glaubersalz, Einläufe, Bauchwickel und die sogenannte Darmsanierung oder einen Darmaufbau.

Alles das soll eine träge Verdauung in Schwung bringen, den Darm durchputzen, „entschlacken“, gute Bakterien neu ansiedeln und das Immunsystem stärken.

Denn den Unterbau als Schaltzentrale der Gesundheit hat die Naturheilkunde längst entdeckt, kein Wunder, das ist uraltes Erfahrungswissen: Menschen geht es gut, wenn die Verdauung läuft und schlecht, wenn sie blockiert ist.

Mehr ist dazu aber weder zu sagen noch wirklich in Einzelheiten bekannt. Denn ob und wie sich ein gestörter, träger Darm einfach instand setzen lässt, ist längst nicht geklärt.

Nicht von der Medizin und schon gar nicht von Alternativ-Aposteln.

Mythen rund um Verstopfung

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Eine davon ist die Binse, dass sich ein Stau im Darm durch Vollkorn, Obst, Gemüse sowie Wassertrinken und Spazierengehen auflöst.

Leider ist das nicht der Fall, so unermüdlich Ernährungsberater, Gesundheitsportale, Heilpraktiker oder Fastengurus das verkünden.

Die Magen-Darm-Spezialisten des Universitätsspitals Zürich beschreiben stattdessen die Lage so:

Die Ursachen der Verstopfung scheinen klar zu sein. Eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr, zu wenig Ballaststoffe in der Nahrung und zu wenig Bewegung waren bislang die angeschuldigten Hauptfaktoren, welche zur Verstopfung führen können. Damit ließe sich auch erklären, warum die Verstopfung vor allem in der älteren Bevölkerung vorkommt.

Doch leider scheinen diese Erklärungsversuche auf Mythen zu gründen, welche sich von einer Generation auf die andere übertragen.

Bis heute gibt es keine guten wissenschaftlichen Studien, die diese Hypothesen stützen würden. Die Ursache der Verstopfung scheint viel komplexer zu sein, als bislang angenommen wurde.

 

Die Gründe führen die Schweizer Spezialisten auf: Darmbewegungen und Entleerung werden von vielen Faktoren beeinflusst, darunter Hormone, Gene, Stress, Depression, einer ganzen Reihe von anatomischen Besonderheiten sowie Erkrankungen wie Depressionen, Diabetes oder Reizdarm.

Gerade bei letzteren sind Ursachen und Wirkungen noch nicht geklärt – ob also die Krankheit zu einer Änderung der Darmflora und zu Verstopfung führt oder ob es umgekehrt ist.

Warum man Wissenschaft richtig abbilden sollte

Auch in den Ergebnissen von Johnson-Martinez bildet sich ab, dass die so gerühmte ballaststoffreiche Ernährung keine Patentrezept bietet: Frauen essen statistisch gesehen mehr Obst, Gemüse und Vollkorn und sollten daher vor Verstopfung und ihren Folgen wie Nierenerkrankungen eher geschützt sein.

Das sind sie aber nicht. Frauen haben ein höheres Risiko, Verstopfung zu bekommen und leiden häufiger an chronischer Niereninsuffizienz. Demgegenüber neigen Männer, die sich scheinbar „ungesünder“ ernähren, mit weniger Ballaststoffen, mehr Fleisch und mehr Snacks, weniger zu Verstopfung.

Gerade an solchen scheinbaren Paradoxien zeigt sich die Macht populärer Mythen und Klischees bei Gesundheit und Ernährung.

Was für uns am Ende als Botschaft übrig bleibt, ist daher eines: Wissenschaft sollte man richtig abbilden. Und auch Blätter für das breite Publikum können und sollen ernsthafte und gute Ratschläge geben.

Das würde das Wissenschaftsverständnis in der Gesellschaft fördern – Wissen um Erkenntniswege, Methoden und Botschaften, die für unser Leben wichtig sind. Dann würde auch klar werden: einfache, platte Faustregeln gibt es selten. So funktioniert Wissenschaft nicht.

Bei der Darmstudie von Johnson-Martinez bleibt als Fazit wiederum nur eines: Wer einen guten, leichten, regelmäßigen Stuhlgang hat, kann aufatmen. Vorerst wenigstens besteht kein Grund zur Sorge.

Trivial.

Wichtiger ist die Botschaft für die anderen: Verstopfung ist nicht trivial. Wenn Sie chronisch verstopft sind, gehen Sie zum Arzt.

©Johanna Bayer

Artikel der BILD vom 22.3.2025, inzwischen mehrfach geändert, u.a. Titel, Einzelheiten der Studie, Fehler korrigiert. 

Universitätsspital Zürich: Fachärzte über die Ursachen von Verstopfung

Geld und so: Spenden Sie jetzt! Einfach ins Sparschwein stecken, indem Sie den Link unten anklicken

LINK zur Spende: Sie landen bei PayPal - dann geht es völlig unkompliziert, ohne eigenes PayPal-Konto.

  1. C.M.

    Danke!!! Für deine guten Informationen auf den Punkt gebracht ! Lese ich immer gerne.

Schreibe eine Antwort