Es geht weiter mit der Serie perfekten Dinner auf VOX, heute mit dem Aperitif. Für die eingeschworene Dinner-Gemeinde auf Twitter ist es natürlich der „Apparatif“. Denn regelmäßig sagt es einer der Kandidaten beim O-Ton so in die Kamera, die Fans lieben es.
Was aber ist zum Aperitif zu sagen?
Da es in der kulinarischen Feldforschung streng wissenschaftlich zugeht, kommt erst eine Definition: Der Aperitif ist eine kleine Runde vor dem Essen, bevor es an den Tisch geht, mit typischen bitteren, säuerlichen, eher einfachen Getränken und salzigen oder pikanten Knabbereien.
Nicht so beim perfekten Dinner.
Hier werfen sich die Kandidaten ins Geschirr: Ihre Aperitifs sind besonders – liebevoll kreiert nach eigenem Rezept, stehen sie für Geschmack, Weltläufigkeit und Individualität.
Bunte Zutaten liegen bereit, Eisklötze werden gehackt, hausgemachte Sirupe eingefüllt, Gläser mit dem Rand in Zucker getaucht.
Zucker? Moment. Zucker vor dem Essen, das verdirbt doch den Appetit?
Richtig. Deshalb widmen wir diese Folge der bemerkenswerten Form, die der Aperitif beim TV-Dinner angenommen hat. Und die kognitive Störung mit dem Zucker werden wir auflösen.
Bitter oder sauer: der klassische Aperitif
Aperitif also. Dass er so ein festes Ritual bei der VOX-Show darstellt, ist keineswegs selbstverständlich, eine Aperitif-Kultur gibt es in Deutschland nämlich nicht.
In Frankreich, Italien oder der Schweiz ist das anders. Da ist der Aperitif eine Institution, die zu jeder Einladung und auch öfter unter der Woche ein fester Bestandteil der Esskultur ist.
Er ist sogar ein gesellschaftlicher Anlass, eine Gelegenheit, vor dem – förmlichen – Essen locker zusammenzustehen, Nüsschen zu futtern und etwas zu trinken, das den Magen auf das folgende Menü vorbereitet.
Und das ist die Funktion, die Hauptsache: Einstimmen auf das Essen.
Deshalb sind Aperitifs entweder säurehaltig oder bitter: trockene Weißweine, Sekt und Champagner, Wermut wie Cinzano und Martini, ausgesprochene Bitteraperitifs wie Campari und Cynar, der modische Aperol und alkoholfreie Pendants wie der legendäre Sanbitter oder der Crodino.
„Den Aperitif“ gibt es nicht
Traditionell sollte aber immer etwas zur Wahl stehen, denn „den Aperitif“ als einzelnes Getränk gibt es nicht.
Manche Gäste mögen es lieber sauer, andere mögen es nicht so gerne sauer, sondern lieber bitter oder spritzig. Und da der Drink nüchtern vor dem Essen gekippt wird, gilt es ausnahmsweise, Rücksicht auf die empfindlichen Mägen zu nehmen. Unpassend ist deshalb schwerer Sprit wie Cognac, Schnäpse, Whisky.
Mindestens eine Alternative ist daher auch bei privaten Essen ratsam.
Restaurants führen immer die klassischen Auswahl an Aperitifs: Sekt oder Prosecco, Cinzano oder Martini, trockenen Weißwein, trockenen Sherry, Campari, Pernod.
Sättigendes mit Dreingaben wie Sahne, Obst oder Zucker steht nicht auf der Liste der Aperitifs, ebenso wenig wie süße Säfte, Cola und Limo.
Nur ein Sekt?
Doch schlichte Klassiker wie trockener Sherry oder Cinzano kommen beim VOX-Dinner praktisch nicht vor.
Hier planen die Hobbyköche ihre Aperitifs so akribisch wie ihr Essen, einfach ist da nichts.
Regelmäßig kommt Obst ins Glas – Beeren, Kirschen, Ananas, aufgegossen mit Saft, Limo, vermischt mit Sekt und Sirup, dazu Gin, Wodka oder Rum. Besondere Gläser, Blütendeko, Rosmarinzweige und Strohhalme inklusive.
Wer klassisch einen trockenen Sekt, Champagner oder Weißwein serviert, fällt ab: „Der Aperitif war halt – ein Sekt“ klagen die Gäste. Eine Kandidatin bemerkt bei einem Hobby-Sommelier und Weinkenner, der einen Winzersekt entkorkt, da hätte sie aber mehr erwartet.
Tatsächlich ist das, was die Kandidaten strahlend anrühren, kein Aperitif.
Das sind Cocktails, und Longdrinks – schwere Spirituosen, gestreckt mit Saft, Eis und Soda, damit man nicht gleich knülle ist.
Quarkundso.de hat das Phänomen im Rahmen der kulinarischen Feldforschung sehr genau beobachtet. Der erste wissenschaftliche Befund: Hier hat sich die amerikanische Schnapskultur gegen die europäische Weintradition durchgesetzt.
Denn auch am Konzept „Aperitif“ beim perfekten Dinner zeigt sich der große Kulturwandel – die Amerikanisierung des Essens, die Revolution der kulinarischen Underdogs (wir berichteten am Beispiel der One-Pot-Gerichte im Beitrag zu Edeka).
Bunt, fruchtig, süß
Serviert werden die Alkopops ohne Ausweichmöglichkeit: „Der Aperitif“ ist beim Dinner regelmäßig gesetzt, eine Alternative gibt es nicht.
Und die Gäste sind es zufrieden, fast nie kommen Sonderwünsche wie bei der Kandidatin, die ein Bier verlangte, weil sie nicht immer „was mit Chi-Chi“ haben wollte.
Der aufmerksame Gastgeber reichte ihr prompt eine Dose. Und ebenso prompt stießen alle mit der Dose an, muss ja sein, sonst ist es nicht gemütlich, siehe erste Folge.
Je verspielter und exotischer der Drink am Anfang, desto beeindruckter zeigen sich jedenfalls die Teilnehmer. Selbst in der Provinz treffen dabei die Kenner aufeinander: In Thüringen servierte ein Gastgeber eine Art Moscow Mule, normalerweise ein Mix aus Wodka, Limette und Ginger Beer oder Ginger Ale.
Allerdings wurde hier nicht mit Ingwerlimonade aufgegossen. Sondern mit Cola.
Drinks beim Dinner: Industriekultur der USA
Der eigenwillige Brause-Mix kam in Kupferbechern, kennerisch bemerkten die Gäste, das sei „total klassisch“ und „wie es sein soll“.
Die Abteilung Feldforschung musste da erstmal googeln – was genau ist klassisch? Cola als „Apparatif“? Sicher nicht.
Wie die investigative Recherche beim Bar-Magazin Mixology ergab, ist der ganze Maulesel-Drink samt Henkeltasse ein Marketing-Gag aus den USA der 1950er Jahre.
Damals suchten ein Spirituosen-Hersteller und der Wirt einer Bar Käufer für ihre Getränke. Sie kamen auf die Idee, einen Mix zu kreieren und dazu kostenlose Dreingaben zu verteilen. Das waren die Becher aus gehämmerten Kupfer, gefüllt mit Smirnoff-Wodka, Ingwerlimonade und Limettensaft.
Eine Kreation der amerikanischen Industriezeit also, genau wie Burger, Cesar Salad, Hot Dogs und andere Kreationen, die in der deutschen Küche inzwischen für gutes Essen und klassische Gerichte gelten.
Weit gereiste Hobbyköche
Die Frage ist nur, woher die das alle haben.
„Aus dem Internet“ ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der zweite Schritt ist eine gewagte, aber plausible Hypothese der Abteilung Feldforschung bei Quarkundso.de: Das kommt vom Reisen.
Denn was die Dinner-Kandidaten eint, ist ihre Leidenschaft für das Reisen.
Touren um die ganze Welt sind das Lieblingsthema bei Tisch. Die Gäste zeigen sich als Globetrotter, berichten von Lieblingszielen in der neuen Welt oder in Asien, wo es Traumstrände gibt, und Bungalows mit Pool, auch für kleine Angestellte erschwinglich.
Es ist erstaunlich, wo die alle schon waren und wie oft Leute Weltkarten an der Wand haben, auf denen ihre Urlaubsorte markiert sind.
Tatsächlich stehen die Deutschen weit oben auf der Liste der Reiseweltmeister, pro Reise geben sie mehr Geld aus als Menschen aus anderen Nationen. Für jüngere Leute ist das Reisen geradezu ein Statussymbol, statt Reihenhaus mit Vorgarten und dickem Mercedes.
All you can eat mit Begrüßungscocktail
Gewohnt wird in Resorts, kolonial-feudalen Hotels mit farbigem Personal und Room-Service, Pool, Strandhütten, oder in Clubhotels, gerne mit All-you-can-eat-Buffet.
Und genau hier verortet die Feldforschung von Quarkundso.de die bunten Drinks, die bei VOX serviert werden: Das sind Begrüßungscocktails.
Diesen Charakter hat der Aperitif beim perfekten Dinner angenommen, und damit in der deutschen Esskultur: Was Buntes zum Willkommen, eine Geste der Aufmerksamkeit, hübsch dekoriert, mit Säften und exotischen Zutaten, süß und gefällig. So kennen es die passionierten Reisenden und Hobbyköche von ihren Kreuzfahrten und Cluburlauben.
Fehlen nur noch die Schirmchen.
Doch diese süßen, schnapslastigen Mixgetränke haben mit einem echten Aperitif nichts mehr zu tun. Sie gehören zu einer völlig anderen Trinkkultur.
Auffallend: Kein Wort zum Wein
Die stammt aus dem anglo-amerikanischen Raum und der internationalen Hotelgastro, charakteristisch dafür ist der Fokus auf Frucht, Exotik und Tropen-Stil, während der Alkohol von Zucker kaschiert und die typische Bitterkeit verschwunden ist.
Dazu passt, dass es beim perfekten Dinner fast nie ein Wort zum Wein gibt.
Natürlich gibt es immer Wein zum Essen, aber niemand sagt etwas dazu, weder die Gastgeber, die ausschenken, noch die Gäste. Anders als der Wein fließt der „Apparatif“ auch immer in die Bewertung mit ein, die Gäste werden ausdrücklich danach gefragt und kommentieren ausführlich.
Zum Wein gibt es kein Wort.
Das scheint geradezu eine Sendungsdoktrin zu sein und ist sehr auffällig. Schrecken Weinkenntnisse und Weingerede zu viele Gäste und Zuschauer ab? Vermutlich.
Cocktails dagegen gehören schon zum Mainstream und setzen keine Kennerschaft voraus. Saft und Schnaps mischen kann schließlich jeder.
Und so schöpfen die Dinner-Köche aus den Bars der Welt und servieren unbefangen, was beim Aperitif nichts zu suchen hat, weil zu sättigend ist: süße Longdrinks mit Fruchtsaft, Pisco Sour mit Eiweißhaube, Margueritas mit Zuckerrand, Pina Colada mit Kokosmilch, Sahne und Ananasstückchen.
Punktabzug für Bitteres
Ihre Gäste erwarten es so. Ein Gastgeber servierte in seiner Runde zum Aperitif einen Negroni, Hauptbestandteile roter Wermut und Campari, ohne jeden Saft. Prompt beklagte sich ein Teilnehmer, der sei ihm zu bitter.
Der Gastgeber belehrte ihn, dass das Bittere doch Sinn der Sache sei, vor dem Essen. Wahrscheinlich hatte er in einer Runde von passionierten Köchen und Feinschmeckern mehr Kennerschaft erwartet.
Aber da hatte er sich in der Klientel der Sendung gründlich getäuscht, der Gast war enttäuscht. Er hatte etwas Netteres erwartet, und er war Deutscher – der Gastgeber jedoch hatte einen italienischen Familienhintergrund, daher der Negroni.
Italien, der europäische Nachbar mit seiner ausgeprägten Vorliebe für Bitteres ist den Deutschen längst fern. Da liegen die Strandresorts auf Bali mit ihren Obst-Drinks näher.
Ganz ähnlich sieht es bei den Speisen aus, hier ist eine neue wissenschaftliche Analyse der Abteilung Feldforschung in Arbeit.
Denn auch bei den Gerichten, Zutaten und Menükompositionen zeigt sich der große Wandel. Und wieder schlägt sich die Weltläufigkeit der Kandidaten charakteristisch nieder. Beides zusammen formt eine neudeutsche Esskultur – demnächst auf Quarkundso.de
©Johanna Bayer
Links und Service:
Zur Geschichte des Moscow Mule: das lesenswerte Barmagazin Mixology
Nachsehen kann man bei VOX unter „Das perfekte Dinner“ im Netz
Teil 1 und Teil 3 der kleinen Reihe zum perfekten Dinner gibt es hier:
Vox und das perfekte Dinner, Teil 1: Deutschland, wie es isst
Vox und das perfekte Dinner, Teil 3: Küchen der Welt – auf deutsche Art
Sehr unterhaltsam sind übrigens die Kommentare der Dinner-Gemeinde auf Twitter unter dem Hashtag #dasperfektedinner. Hier kommentieren die Fans der Serie zu jeder Folge live, von Montag bis Freitag zur Sendezeit 19.00 bis 20.15 Uhr auf VOX.
22:40 Uhr und noch kein Nachtisch aufm Tisch. #dasperfektedinner
– Nichts selbst zubereitet
– alles fertig aus der Tüte pic.twitter.com/8CZyTVuzlw— Alexander (@rustikalex) August 30, 2021
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