Gefundenes Fressen, Küchenzeile

DER SPIEGEL mit falschem Titel und unsere Beschwerde beim Deutschen Presserat – der Report

Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht beim SPIEGEL

Quarkundso.de hat den SPIEGEL beim Deutschen Presserat gemeldet, mit Erfolg: Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht wird erkannt. Aber unsere Freude ist getrübt, denn DER SPIEGEL redet sich raus und drückt sich vor den Folgen.

Wir kommen mit der Arbeit nicht hinterher, so viel ist zu tun: Die neuen DGE-Empfehlungen sind draußen, wichtige Redaktionen blamieren sich mit wirrem Zeug über Zucker und Fleisch, und dann sind da noch Bücher, die wir schon länger vor der Flinte haben.

Aber erstmal ist was in eigener Sache fällig: Der Deutsche Presserat hat Ende 2023 auf Meldung von Quarkundso.de einen Verstoß gegen den Pressekodex erkannt, Ziffer 2, Sorgfaltspflicht.

Und zwar beim SPIEGEL.

Das Urteil fiel über den Titel „Warum Jesus Veganer war“ zum Interview mit der Buchautorin Uta Seeburg in SPIEGEL online, unser Beitrag vom 23.6.2023.

„War Jesus Veganer?“

Ein renommierter Wissenschaftsredakteur hat die Lifestyle-Autorin Seeburg zu ihrem Buch über die Geschichte der Esskultur befragt. Das Interview war unsäglich, die Autorin redete Unsinn, der Fachredakteur aus dem Ressort Geschichte wusste von nichts und fragte nicht nach, wir berichteten am 23.6.2023.

Dann titelten die Onliner auch noch wüstes Zeug im Titel, mit dem DER SPIEGEL erklären wollte, „warum Jesus Veganer war“. Das haben wir als absichtlich falsches, tendenziöses Clickbaiting beim Presserat gemeldet haben, am 26.Juni 2023, denn Jesus war kein Veganer.

Der Presserat urteilte: Der SPIEGEL verstößt mit dem Titel gegen Ziffer 2, Sorgfaltspflicht, denn die Autorin Seeburg hatte im Interview gar nicht gesagt, dass Jesus Veganer war, Entscheidung vom 23.10.2023, wir haben es schriftlich.

Natürlich haben wir stolz eine frische Kerbe ins Holz geschnitzt, gleich neben NDR-Visite und ARD-Plasberg, den dicken Fischen.

Aber die Freude ist getrübt.

Denn das Leitmedium kassierte trotz des klar erkannten Verstoßes keine öffentliche Rüge, die der Verlag hätte abdrucken müssen.

Beschwerde beim Presserat: der Ablauf

Wir haben nicht schlecht gestaunt und in dem Verfahren wirklich viel gelernt. Für unsere Qualitätsleser gehen wir den Ablauf jetzt Schritt für Schritt durch, schließlich haben sie das Recht auf Einblick in unsere Arbeit.

1. Wenn jemand beim Presserat einen Verstoß meldet, prüft dieser zuerst, ob die Beschwerde überhaupt zulässig ist. Sonst kommt zu viel Quark von Pressehassern. Aber im Fall Jesus als Veganer lagen wir wohl richtig – eine Runde weiter.

2. Nächster Schritt: Der Presserat schickt der betroffenen Redaktion den Text der Beschwerde zur Stellungnahme.

Dann antwortet die Redaktion – oder, wie beim SPIEGEL, gleich die Rechtsabteilung. Das scheint in Hamburg die Regel zu sein: Wie man auch von anderen hört, gibt der SPIEGEL Beschwerden beim Presserat stets direkt an seine Juristen weiter. Womöglich reden sich sonst die aufgeregten Redakteure um Kopf und Kragen.

Den Schriftsatz, der dann aus dem Hamburger Justitiariat kam, haben wir allerdings nur zu einem Teil zu sehen bekommen.

Das ist merkwürdig: Eine Redaktion bekommt den vollständigen Text der Beschwerde, in der Regel sogar mit Namen und Kontaktdaten der Beschwerdeführer. Die Antwort aber bekommen die Beschwerdeführer nicht vollständig zu sehen.

DER SPIEGEL redet sich raus

3. Nur ein paar Ausschnitte davon standen dann in der Entscheidung des Presserats, die wir bekommen haben.

Erkennbares Ziel: eine öffentliche Rüge abwenden. Tenor: Mimimi: Ja, aber … aber … gut, also, diese Überschrift, die war irgendwie … aber ist doch alles nicht so schlimm!

So ungefähr war das zu lesen, menschlich verständlich ist das durchaus. Schließlich geht es um Ansehen, Reputation, so als Leitmedium – einen Fehler zugeben und die Sache richtigstellen wollten sie nicht, beim SPIEGEL.

4. Im Fall „Warum Jesus Veganer war“ plädierte die Rechtsabteilung auf unschuldig und nannte zwei Gründe. Der erste: Sie hätten doch die Überschrift schon geändert.

Quarkundso.de hatte das natürlich damals schon sofort auf dem Radar und hier dokumentiert: Im Juni 2023 haben wir unseren kritischen Beitrag veröffentlicht und die Beschwerde geschrieben.

Im Juli war, schwupps, die Überschrift mit einer Klammer versehen und abgeschwächt: „Warum Jesus (beinahe) Veganer war usw.“

Dazu gaben die Juristen beim Presserat an, man habe aufgrund eines „Leserhinweises“ frühzeitig geändert.

Leserhinweis, ja klar. Wahrscheinlich unsere Leser. Oder gleich unser Beitrag von 23. Juni 2023, der beim SPIEGEL gelandet ist. Aber sei´s drum.

5. In der Sache allerdings räumten die Juristen ein, dass die Suggestion des Titels von den Aussagen im Interview nicht gedeckt war.

Wörtlich aus dem Schriftsatz der SPIEGEL-Juristen, übermittelt in der Entscheidung des Presserats:

„ … die am Ende die Aussagen der Interviewpartnerin unzutreffend zusammenfassende Überschrift …“.

Vielen Dank.

„Fast vegan“ ist wie „ein bisschen schwanger“

6. Doch das war nur ein Teilgeständnis – mit den Fakten und der Forschungslage will sich DER SPIEGEL weiterhin nicht abgeben: Es folgt die Bemerkung, inhaltlich sei der Titel nur „vermutlich unzutreffend“.

Interessant. Die Redaktion Geschichte beim SPIEGEL hält es also weiterhin für möglich, dass Jesus Veganer war und stellt in den Raum, dass niemand Genaues darüber weiß. Ernährung in biblischen Zeiten, historische Quellen – alles unbekannt, sagt der SPIEGEL damit.

Sorry, das ist Unfug. Nur weil man es selbst nicht weiß und zu faul ist zum Nachlesen, ist die Lage nicht unklar.

7. Kleine Bemerkung am Rande: „beinahe Veganer“ ist wie „ein bisschen schwanger“: Das geht nicht.

8. Dann kamen die Juristen mit einem weiteren Argument um die Ecke: Die Überschrift sei „eher humorvoll gedacht“ gewesen. Das wird noch eine Rolle spielen, erstmal entschied der Presserat.

9. Das Urteil lautete: Unsere Beschwerde ist begründet, mit dem Titel in der Ursprungsfassung hat der SPIEGEL hat gegen Ziffer 2, Sorgfaltspflicht verstoßen.

Aber eine öffentliche Rüge oder Missbilligung gab es nicht.

Nicht ganz richtig ist trotzdem falsch

Der Presserat folgte den Ausreden der Rechtsabteilung: Alles nicht so schlimm, die Redaktion hat schon selbst korrigiert. Außerdem sei die Überschrift

„nicht (ganz) von den Aussagen der Interviewpartnerin gedeckt“

Nicht ganz von den Aussagen gedeckt? Sie war gar nicht davon gedeckt.

Die Autorin auf die Frage, ob Jesus Veganer gewesen sei, wörtlich:

„Zumindest wird er wenig Fleisch konsumiert haben …“.

Der Kern der Aussage ist klar, so schwurbelig sie auch daherkommt: Jesus hat Fleisch gegessen.

Falsch und wider die historischen Fakten ist, wie Seeburg dann begründen, will, dass Jesus wenig Fleisch gegessen hat, aber egal, Fakt ist: Er aß Fleisch. Also war er kein Veganer.

Was meint der Presserat daher mit „nicht (ganz) gedeckt“ von den Aussagen im Interview?

Das Netz vergisst nichts

Dazu kommt, dass das Netz nichts vergisst. Dort ist nämlich der Titel „Warum Jesus Veganer war“ noch groß im Snippet zu sehen: Jede Suchfrage nach „War Jesus Veganer?“ wirft das aus – und das suchen und fragen Leute.

Screenshot Google, abgerufen am 23.3.2024

 

Wir halten das doch für wichtig. Schließlich haben wir es mit einem der führenden Online-Portale Europas zu tun, hier geht es nicht um den Kreisboten von Klein-Kleckersdorf. Bei DER SPIEGEL. Da sollten Fake News keinen Platz haben und einigermaßen strenge Maßstäbe gelten. Dachten wir.

Wir erheben Einspruch

9. Wir haben also – nach Art des Hauses – Einspruch gegen die nachsichtige Entscheidung des Presserats eingelegt. Begründet haben wir mit der Reichweite des Portals, rund 19 Millionen Besucher täglich.

Wir haben auch beklagt, dass der SPIEGEL die Sachlage zu den Behauptungen der Autorin weiterhin nicht klärt, sondern sich auf angeblich Ungewisses rausredet.

Dass die Überschrift unserer Meinung nach bewusst gesetzt wurde, zwecks Clickbaiting, haben wir nochmal hervorgehoben. Neben der Sorgfaltspflicht sahen wir weiterhin Ziffer 1, Wahrhaftigkeit, verletzt.

Der Presserat folgt dem SPIEGEL

10. Der Presserat hat den Einspruch zurückgewiesen, wörtlich; „Hier handelt es sich um einen eher unterhaltenden Beitrag. Die falsche Überschrift wurde auch zeitnah und transparent von der Redaktion korrigiert.“

Damit folgte der Beschwerderat wieder den SPIEGEL-Juristen, die schon von „unterhaltsam gemeint“ gesprochen hatten. Allerdings meinten die eindeutig nur den Titel. Nicht den Beitrag, also das ganze Interview.

Wenn es lustig ist, darf es falsch sein – im Ernst?

Diese Wendung des Presserats ist sehr seltsam. War das Interview eine Glosse, eine Satire, ein Kabarettstück? Die Fragen hat doch der erfahrene Wissenschaftsredakteur Frank Thadeusz gestellt, aus dem Ressort Geschichte.

Nicht Micky Beisenherz.

Und es handelt sich um ein Interview, ein informatives Genre. Die Buchautorin wurde ausdrücklich als Expertin adressiert, nicht als Ulknudel. Redakteur Frank Thadeusz bescheinigt der gefühlten Fachfrau  sogar, dass sie in ihrem Buch „mit etlichen Fehlannahmen aufräumt“.

Damit ist klar: Weder Fragen noch Aussagen waren lustig gemeint. Die waren so ernst wie falsch.

Allenfalls war der Stil locker. Aber ein lässig geführtes Interview entbindet doch nicht von der Pflicht, die Fakten zu beachten?

Das geht auch im Feuilleton und selbst in Kommentaren und Meinungsbeiträgen nicht: Die Pflicht zu Sorgfalt und Wahrhaftigkeit gilt immer.

Anmerkung der SPIEGEL-Redaktion: kein Fehler, keine Korrektur

Transparent war beim SPIEGEL auch nichts, denn in seiner redaktionellen Anmerkung räumt die Redaktion keineswegs einen Fehler ein. Sie spricht folgerichtig auch nicht von Korrektur: Sie hat die Überschrift nur „angepasst“.

Damit stellt die Redaktion leider wieder in den Raum, dass Jesus Veganer gewesen sein könnte. Es ist nur „nicht so eindeutig“.

Sehr raffiniert. Transparent aufgeklärt, klargestellt, womöglich nachrecherchiert – Stichwort Sorgfaltspflicht – ist da nichts.

Der Presserat liegt falsch

Wir haben Fragen.

Warum ein unterhaltender Beitrag Fake-News enthalten darf, leuchtet uns nicht ein.

Warum ein Interview durch einen Fachredakteur zu Unsinn führt, leuchtet uns nicht ein.

Warum eine Person vom Fachredakteur als Expertin adressiert wird und dann soll es nur lustig und nicht ernst gemeint sein, leuchtet uns nicht ein.

Warum der SPIEGEL die Sachlage nicht klärt und keinen Faktencheck macht, leuchtet uns nicht ein.

Aber natürlich haben wir uns weiteres Querulantentum verkniffen, lieber stellen wir die ganze Chose hier zur Debatte.

Unser Urteil ist klar: Der Presserat liegt in der Sache falsch. Erstens war das Interview kein unterhaltender Beitrag, zweitens unterliegen Redaktionen auch bei unterhaltenden und meinungsbetonten Beiträgen der Pflicht zu Wahrhaftigkeit und Sorgfalt.

Ob der Verstoß im SPIEGEL-Titel schwerwiegend genug für eine öffentliche Rüge ist, steht auf einem anderen Blatt.

Unfug in den Medien ist nicht so wichtig

Ein paar Erkenntnisse fielen unterwegs ab: Erstens ist der Presserat ein Selbstkontrollgremium, mit dem typischen Dilemma. Die Verlage und Medienunternehmen kontrollieren sich selbst, in den Ausschüssen sitzen deren Juristen und entscheiden mit.

Zweitens liegt das Augenmerk des Rats auf schlimmeren Vergehen – Verletzungen der Persönlichkeitsrechte, unangemessene Sensationslust, bei Mord, Selbstmord, reißerische Verzerrung, das Wecken falscher Versprechungen in Medizinberichten zum Schaden der Patienten.

So ein paar Faktenfehler wie der mit Jesus als Veganer fallen nicht ins Gewicht.

Es sind auch einfach zu viele. Wo käme man denn da hin, mit der ganzen Regenbogenpresse, den Lokalblättern, den Unmassen von Online-Angeboten der Verlage? Keine Chance.

Interessant ist dazu der Jahresbericht des Presserats für 2023. Der zeigt, teils mit Beispielen, auf, was gerügt wurde und was man für einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht hielt.

Ausschnitt Deutscher Presserat, Jahresbericht 2023

Unsere Mission: Wir wollen die Fakten

Was Jesus gegessen hat (vielleicht war er ja Veganer!) und ob man weiß, was in biblischen Zeiten verzehrt wurde (keiner weiß es – vielleicht alle Veganer!), ist da vergleichsweise uninteressant.

So hängt die mühsame Erbsenzählerei weiter an uns.

Denn wenn der Presserat Fake-News zu Ernährung, Unsinn statt Wissenschaft und fragwürdige Interviews von Fachredakteuren nicht so wichtig findet, wer sorgt dann für die Fakten?

Wir sind 2024 im zehnten Jahr, was sowieso niemand gedacht hätte. Kaum jemand macht so lange einen Blog, den meisten geht die Puste nach drei bis fünf Jahren aus.

Zum Glück oder zum Unglück ist aber der Kokolores rund um Ernährung unerschöpflich, es tut uns selbst sehr leid. Den Bums hier hätten wir gerne teuer verkauft, natürlich sind wir weiterhin offen für lukrative Angebote. Bis dahin müssen wir von Spenden leben.

Aber es bleibt uns wohl nichts anderes übrig: Wir machen weiter.

©Johanna Bayer

Beitrag zum Interview im SPIEGEL, 23.6.2023, Redakteur Frank Thadeusz befragt Autorin Uta Seeburg

SPIEGEL-Interview online (Bezahlschranke)

Das Buch von Uta Seeburg erfüllt, was das Interview verspricht – unsere Rezension

Der Deutsche Presserat, Jahresbericht 2023

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  1. Dr. Bennet Jäger

    Schade, dass Ihre Petition nicht vollständig erfolgreich war. Allerdings kann man heutzutage von einer links gefärbten Medienlandschaft wohl nirgendwo eine vernünftige Berichterstattung erwarten, auch nicht beim Thema Ernährung und dem veganen Wahn.

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