Die neuen Regeln der DGE sollen gut für die Gesundheit und gut für die Umwelt sein. In der Sache ist einiges fraglich, die Methode ist für das breite Publikum nicht nachvollziehbar – und das größte Problem für die Gesundheit adressiert die DGE nicht. Eine Textanalyse von Quarkundso.de.
Eine Küchenzeile zu den neuen DGE-Regeln ist überfällig. Dafür brauchen wir kein Beispiel aus den Medien: In der Rubrik „Küchenzeile“ kommentiert die Chefredakteurin immer selbst und radikal subjektiv.
Zur Sache: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, DGE, hat am 5.3.2024 neue Empfehlungen veröffentlicht. Für die breite Masse sind diese eingedampft auf einfache Regeln, das ist von alters her so: Das Volk braucht schließlich eine Richtung.
Die komplizierten Überlegungen und Berechnungen der Wissenschaftler können einfache Leute sowieso nicht nachvollziehen. Sie müssen eigentlich nur ungefähr wissen, was sie essen sollen, ganz grob – fertig.
Bisher nannte sich die plakative Fassung für Normalbürger „10 Regeln der DGE“, überschrieben mit
„Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE“.
Jetzt, seit dem 5.3.2024, 2024, sind es 11 Regeln, eine mehr als früher.
Bestimmte Punkte fielen raus, anderes wurde geändert, Neues kam hinzu, Fleisch, Eier, Milch, Butter, kurz: alles Tierische, wurde zwecks Klimaschutz reduziert, die Detailtexte wurden bearbeitet.
Auch der Titel ist neu. Er heißt jetzt:
„Gut essen und trinken – die DGE-Empfehlungen“.
Gutes Essen in Deutschland: Was ist das?
Das alleine ist schon interessant, dieses „gut essen“: Die DGE bewegt sich damit weg von „vollwertig“, dem Wort im aschgrauen Sackgewand aus dem Vokabular der Körnerpicker und Reformhauskunden.
Jetzt geht es mit „gut“ sprachlich hin zur Genuss- und Gourmetfraktion. Einerseits. Andererseits schließt das Wort offensichtlich an den Slogan des Bundesernährungsministeriums (BMEL) an: „Gutes Essen für Deutschland“.
Der stand 2021 über der neuen Ernährungsstrategie der Regierung, Ziel: „Gutes Essen“ für alle Menschen in Deutschland „erschwinglich und leicht zugänglich zu machen“, so der Text des BMEL.
Als ob es in Deutschland kein gutes Essen gäbe.
Gut, anderswo isst man traditionell besser, in kulinarisch zivilisierten Ländern wie Frankreich, Italien, Österreich oder der Schweiz.
„Gutes Essen für Deutschland“ ist aber keineswegs die Kampfansage des BMEL an miese Klitschen mit Plumpsküche, in die Fernsehköche wie Rack und Rosin einfallen, um sie vor laufender Kamera aufzufrischen.
Der Slogan ist auch nicht als Rat für Tütenaufreißer gedacht, die zu faul zum richtigen Kochen sind.
Gemeint ist also nicht das, was Normalbürger gemeinhin unter gutem Essen verstehen: schmackhaft, lecker, handwerklich richtig gekocht, gut gewürzt, schön angerichtet.
Gemeint ist etwas anderes.
„Gut essen“ heißt nicht mehr „lecker“
Die deutschen Ernährungshüter üben sich hier offensiv im Ummünzen: „Gut essen“ oder „Gutes Essen“ bedeutet jetzt „gut für höhere Ziele“.
Also ethisch gut.
Von „vollwertig“ zu „gut“ enthält eine moralische Wertung.
Alleine dieses Framing wäre einen längeren Beitrag wert, mit dem ganzen Hintergrund aus Kulturanthropologie, Levi-Strauss und dem Prinzip Verantwortung.
Eine Abhandlung dazu liefern wir auf besonderen Wunsch gerne nach, vorerst kürzen wir ab: Im Framing des Bundesministeriums ist Essen dann gut, wenn es gut für den Menschen ist.
Dabei ist mit „gut“ explizit Gesundheit gemeint, zudem muss die Ernährung aber – irgendwie – auch die Umwelt schonen.
So lässt es sich auf Seiten des BMEL nachlesen. Nach messerscharfer Analyse der Chefredakteurin sind die neuen Regeln der DGE nach diesem Framing des BMEL getextet, warum auch nicht. Ihr Geld bekommt die DGE ja auch zu einem guten Teil aus dem öffentlichen Text.
Wie in der Fastenklinik
Heraus kommt:
„Bunt und gesund essen und dabei die Umwelt schonen, das sind die DGE-Empfehlungen. Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten sowie Nüssen und pflanzlichen Ölen ernährt, schützt nicht nur seine Gesundheit, sondern schont dabei die Ressourcen der Erde.“
Quelle: DGE, Webseite, Abruf am 14.4.2024 https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/gut-essen-und-trinken/
Das ist – intuitiv – erstmal ein ziemlicher Bremser.
Denn dieser Teasertext kollidiert mit dem tief verankerten Verständnis von „gut essen“: Wer versteht darunter schon Gemüse, Vollkorngetreide und Resteverwertung?
Die Zeilen der DGE lesen sich eher wie Fastenkost in einer Abnehmklinik – oder, wenn man sehr böse sein will: wie in der Reichsnährstandspostille von 1939.
Übliche Vorstellungen von gutem Essen gehen in eine andere Richtung: knusprige Braten, duftendes Gebäck, würziger Schinken, in Butter gesottener Fisch, auf den Punkt gegrilltes Steak, üppige Sahnetorten, Geräuchertes, Mariniertes, Raffiniertes, womöglich Luxusdelikatessen wie Kaviar, alles schön garniert. Dazu ein guter Wein.
Das ist natürlich Schlemmerei, klar, und nichts für jeden Tag. Außerdem wollen wir ja Umwelt und Klima weniger belasten, die große Herausforderung unserer Zeit: Weniger Fleisch, Milch, auch Fisch aus Umweltgründen sind Konsens.
Dagegen ist wirklich nichts zu sagen, eines liegt aber auf der Hand: Unabhängig von klimaschädlicher Prasserei bedeutet „gut“ beim Essen vor allem „wohlschmeckend“.
Und zwar jeden Tag und bei jeder Mahlzeit.
Unfreiwillig komisch: die Regel Nr. 1 der DGE
Das lässt sich empirisch erhärten: Geschmack ist den Deutschen beim Essen nach wie vor am wichtigsten, ergeben Umfragen und Studien regelmäßig, so die großen repräsentativen Ernährungsreports des BMEL.
Quelle: BMEL – Report "Deutschland, wie es isst", 2022, Geschmack wird von fast allen Befragten genannt; gleiches Ergebnis auch 2023
Bei den neuen Regeln zu „Gut essen“ mit der DGE fliegt man damit aber gleich am Anfang aus der Kurve.
Denn die allererste Regel nach dem lustigen Vorspann zu gutem Essen heißt:
„Am besten Wasser trinken“.
Bitte, was? Es soll um gutes Essen gehen und die DGE rät als erstes zum Wassertrinken?
Kein Witz, hier sind die neuen 11 DGE-Regeln in der Original-Reihenfolge:n
Quelle: DGE - Screenshot DGE-Webseite unter "Gesunde Ernährung", Titel: Gut essen und trinken - die DGE-Empfehlungen", Abruf 14.4.2024
Wer seinen Lachanfall überwunden und das Kopfkino von „Im Knast bei Wasser und trocken Brot“ abgestellt hat, kann darüber sinnieren, warum die DGE ihre erste Regel so und nicht anders gefasst hat.
Nicht, dass Wassertrinken falsch wäre, im Gegenteil: Quarkundso.de hatte schon 2017 genau diese Regel angemahnt, bevor die DGE sie überhaupt formulierte – nachdem unser Beitrag online gegangen war. Hier nachzulesen.
Auf das Geld warten wir übrigens immer noch.
Warum nicht „Mahlzeiten genießen“ als erste Regel?
Aber an erster Stelle, neu, ganz oben, nach diesem Framing von wegen „gut essen“, mit bunt, gesund, womöglich guten Produkten, Gemüse, Obst, Nüssen und Ölen: Ist das nicht merkwürdig?
Vielleicht haben wir bei Quarkundso.de eine altmodische Erwartung an Logik, inneren Zusammenhang, schlüssige Texte und Erfüllen von Lesererwartungen.
In dieser Hinsicht ist die Chefredakteurin so konservativ wie beim Essen – wir sind ein Tendenzbetrieb. Wir hätten nach dem steilen Einstieg vielleicht die vorletzte Regel, die mit den Mahlzeiten, nach oben gestellt: „Mahlzeiten genießen“ – das wäre doch eine schöne Botschaft nach „gut essen und trinken mit der DGE“.
Ganz im Sinne des BMEL, von wegen „Gutes Essen für Deutschland“.
Zuvor, in den alten Regeln, stand ganz oben als erste Regel aber diese hier, zeitlos, ein Klassiker:
Lebensmittelvielfalt genießen
Nutzen Sie die Lebensmittelvielfalt
und essen Sie abwechslungsreich.
Wählen Sie überwiegend pflanzliche
Lebensmittel. Kein Lebensmittel allein enthält alle
Nährstoffe. Je abwechslungsreicher
Sie essen, desto geringer ist das Risiko einer
einseitigen Ernährung
Diese schöne Regel ist 2024 vollständig verschwunden, was ist falsch daran? Warum ist die rausgeflogen, was ist falsch daran? Wir wissen es nicht.
Framing: Irritieren ist Programm
Die Frage ist also, was sich die Arbeitsgruppe der DGE bei ihrer neuen Reihenfolge und der ersten Regel gedacht hat, und gedacht hat sie sich sicher was.
Erste mögliche Erklärung: das neue Framing.
„Gut“ in „gut essen und trinken“ soll ja offensiv, wenn nicht aggressiv, umgemünzt werden in Richtung Gesundheit, weg von lecker und üppig. Also geht es los mit einem kleinen Störer – mit Wassertrinken.
Darüber soll man stolpern, die kognitive Dissonanz ist Programm, geht ja nicht anders, wenn ein Begriff neu besetzt werden soll. Irritieren ist Absicht, es macht aufmerksam und motiviert zum Umdenken.
Derlei Gedankengänge haben BMEL und DGE vermutlich mit einem sechsstelligen Beraterhonorar bezahlt, bevor sie ihre Regeln aufgestellt und die Texte geklöppelt haben.
Wir hätten es natürlich billiger gemacht, aber nun ja.
Immer ganz unten anfangen
Vielleicht ist alles aber auch viel schlichter und die DGE ging nach Häufigkeit: Was nimmt man jeden Tag zu sich, in größerer Menge? Damit fangen die Regeln an, dann steigt die Reihe auf bis zur ganzen Mahlzeit.
Oder nach den Grundlagen: Was gehört alles zur Ernährung, vom Einfachen zum Speziellen? Was muss unbedingt sein, damit man überlebt?
Ein didaktischer Aufbau. Der ist für alle, die nicht wissen, dass man nach vier Tagen verdurstet, aber erst nach drei Monaten verhungert.
Allerdings dürfte man die große Mehrheit der Menschen damit mental unterfordern.
Die Reihenfolge könnte letztlich die gute alte Ernährungspyramide abbilden, da stand Wasser ganz unten, als breite Basis. An der Spitze sammelten sich Fett, die verpönten Süßigkeiten und unnötiger Knabberkram.
Das Geheimnis des Wassertrinkens
Weil Wassertrinken aber so selbstverständlich ist, dass es eigentlich gar nicht erwähnt werden muss, liegt noch eine Erklärung nahe, nämlich die Analogie zu Gesetzen.
Der Staat verbietet und regelt eine Menge Dinge, obwohl alle wissen, dass man sie nicht tun darf: Steuern hinterziehen, Abhauen, wenn man einen Unfall gebaut hat, dem lärmenden Nachbarn die Scheiben einschmeißen.
Doch die Bürger tun genau diese Dinge, wenn man ihnen nicht mit Gesetzen kommt.
Übersetzt heißt das: Wassertrinken muss in den DGE-Regeln neuerdings prominent stehen, weil die Deutschen zum Durstlöschen literweise Säfte, Schorlen, Limo, Cola, Milchmixe, Kakao oder viel Schlimmeres trinken, zum Beispiel Bier.
Diesen Getränken ist gemeinsam, dass sie Kalorien enthalten, Wasser aber nicht. Wir vermuten, dass es der DGE genau darum geht, ums Kaloriensparen.
Also ums Übergewicht.
Das will die DGE aber nicht offen sagen.
Heißes Eisen: Übergewicht
Die Frage ist, warum. Die Gesundheitsgefahr Übergewicht ist in den neuen Regeln allenfalls dürftig und nur sehr indirekt genannt: Zu einer klaren Warnung oder einer eindeutigen Empfehlung können sich die Ernährungshüter in ihren offiziellen Regeln nicht aufraffen.
Die letzte Regel, Nr. 11, umgeht das heiße Eisen so:
In Bewegung bleiben und auf das Gewicht achten
Ernährung und körperliche Aktivität gehören zusammen. Tägliche Bewegung und ein aktiver Alltag fördern die Knochengesundheit und senken das Risiko für die Entwicklung von Übergewicht sowie für viele weitere Krankheiten.
Quelle: DGE
Warum adressiert die DGE das Problem nicht direkt? Warum fordert sie nicht dazu auf, Normalgewicht zu halten, Übergewicht zu meiden, aktiv nach Normalgewicht zu streben?
Übergewicht ist eine reale Gefahr für die Gesundheit, warum nicht sagen, was Sache ist und Übergewicht gefährlich nennen, als Risikofaktor?
Warum stattdessen das unbestimmte Gerede über Bewegung, und dass man mit weniger Fleisch und mehr Hülsenfrüchten seine „Gesundheit schützen“ kann?
Noch dazu, wo Hülsenfrüchte gar nicht besonders „gesund“ oder viel gesünder sind als andere Lebensmittel. Sie sind nur als Ersatz für Fleisch interessant. Mehr nicht.
Und auch das ist klar: Weniger Fleisch, jetzt nur noch 300 Gramm pro Woche, garantiert keineswegs Gesundheit.
Auch mit mehr Fleischanteil im Essen, überdies mit mehr Milch, Eiern, Butter und Schmalz, kann man gesund bleiben und alt werden.
Das Wichtige steht im Kleingedruckten
Das hat die DGE selbst schon oft festgestellt.
Man sieht es auch daran, dass die neuen, angeblich so gesundheitsschützenden Regeln gar nicht für alle gut sind: Ausdrücklich gelten sie nur für „gesunde Erwachsene zwischen 18 und 60 Jahren“.
Das bedeutet: Für Babys, Kinder, Jugendliche, Schwangere, Stillende, Alte und Kranke sind die neuen Ratschläge nicht geeignet.
Anders gesagt Ernährung nach den neuen Regeln ist nicht allgemein „gesund für den Menschen“.
Allerdings schreibt die DGE diese Einschränkung nur unauffällig ins Kleingedruckte, und zwar in ihre Pressemitteilung zum 5.3.2024. Direkt unter den neuen 11 DGE-Regeln – für die breite Masse, unter dem Menüpunkt „Gesunde Ernährung – steht dieser bedeutsame Disclaimer nicht (Screenshots sind gesichert).
Auf diesem Hintergrund ist das offensive Gesundheitsframing der DGE in ihren neuen Regeln mindestens fragwürdig, wenn nicht fahrlässig. Oder Schlimmeres.
Denn bei der Zielgruppe, dem Volk, den Laien, die bei der DGE unter „Gesunde Ernährung“ nachsehen, bleibt nur hängen: Obst und Nüsse sind gesund, ungesund sind Fleisch, Eier, Milch und Butter.
Für Kinder und Kranke nicht geeignet
Schon für Kleinkinder und Kinder im Wachstum ist das aber falsch. Sie brauchen unter anderem mehr Protein, aber auch Eisen und weitere Nährstoffe, die aus tierischen Lebensmitteln besser verfügbar sind.
Alten, Kranken, Schwangeren und Rekonvaleszenten kann eine Ernährung aus Obst und Nüssen ohne tierische Produkte sogar schaden.
Dass die DGE irgendwo auf ihrer weitläufigen Webseite einen Menüpunkt „Gezielte Ernährung“ stehen hat, unter dem Regeln für Kinder oder Kranke einzusehen sind, hilft da nicht.
Falls man überhaupt auf die Idee kommt, unter dem abstrakten, unverständlichen Titel „Gezielte Ernährung“ nach Empfehlungen für Familien oder Kinder zu suchen, stellt man fest: Auch dieser Part ist schlecht betextet, schlecht verpackt und für die Zielgruppe – das Volk, die breite Masse, Laien – nicht transparent.
Die eine gesunde Ernährung für alle gibt es nicht
Wichtig ist vor allem: Wer liest die 11 Hauptregeln, ohne sich auch über die eigene Familie, Kinder, Ältere, Krankenkost Gedanken zu machen? Der Fehlschluss, dass das darin vorgestellte Ernährungsmodell für alle Menschen gesund ist, ist geradezu unvermeidlich.
Ja, aber, werden die Verantwortlichen bei der DGE sagen, unsere Zielgruppe sind doch in erster Linie Wissenschaftler, Multiplikatoren Fachverbände, Fachmedien und überhaupt Fachleute. Doch keine einfachen Leute!
Ok. Dann macht bitte auch keine angeblich einfachen Regeln für einfache Leute, die ihr unter „Gesunde Ernährung“ einstellt.
Übergewicht ist der entscheidende ernährungsbedingte Risikofaktor
An Kommunikation und Web-Strategie wollen wir uns jetzt aber nicht weiter festbeißen.
Kommen wir auf das Übergewicht zurück – Übergewicht und Fettleibigkeit sind nachweislich gesundheitsschädlich, das ist harter wissenschaftlicher Konsens seit Jahrzehnten. Sie sind auch die größten Risikofaktoren für ernährungsbedingte Krankheiten.
Umgekehrt ist Normalgewicht und das, was man „schlank“ nennt, eindeutig ein Schutzfaktor für die Gesundheit.
Das haben die wichtigsten und größten Ernährungsstudien bewiesen, darunter die Nurses Health Study und die großen europäischen die EPIC-Studien.
Übergewicht hängt aber ebenso wenig wie Normalgewicht von einzelnen Lebensmitteln oder Lebensmittelgruppen ab, haben die großen Studien eindeutig belegt.
Fleisch jetzt „ungesund“ – wegen der Klimastrategie
Das hat die DGE seit vielen Jahren selbst bekräftigt.
Doch jetzt ist damit Schluss.
In ihren neuen Regeln von 2024 verabschiedet sich die DGE von diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihrer bisherigen Doktrin: dass es keine „gesunden“ und „ungesunden“ Lebensmittel gibt und dass man Menschen nicht im Einzelnen vorschreiben muss, was sie essen dürfen.
Mit den neuen 11 Regeln der DGE wird „gut“ als „gesund“ gedacht – im neuen Framing.
Dabei ist in „gesund für den Menschen“ automatisch der Klimafaktor eingerechnet: gut für den Planeten. Irgendwie.
Denn transparent ist das nicht: Was wie zählt, für das Klima oder die Umwelt, und wie hoch der Faktor ist, wird in den 11 neuen Regeln nicht thematisiert.
Fleisch zum Beispiel ist eindeutig ein ebenso gesundes Lebensmittel wie alle anderen auch (alte Doktrin).
Jetzt aber ist Fleisch nicht mehr so „gut“ – also nicht mehr gesund für den Menschen, da bei Massenproduktion nicht so gut für die Umwelt.
Neues Framing, neue Bewertung.
Hidden Agenda: Bloß nicht die Wahrheit sagen
Im Klartext: Durch das Einrechnen, was das Klima weniger belastet, werden Lebensmittel und ganze Lebensmittelgruppen als „ungesund“ gelesen, die gesundheitlich neutral oder sogar ganz besonders wertvoll sind, wie Fleisch, Milch, Käse und Butter.
Andere werden als „gesund“ gelesen, die keineswegs besonders „gesund“ sind, sondern neutral oder in großen Mengen ungünstig für viele Menschen. Zum Beispiel Obst.
So schaffen das neue Framing und die populistischen Jubeltexte der DGE wie im oben zitierten Teaser eine, ja, ungute Mischung.
Wäre die Wahrheit nicht besser?
So, wie es die DGE seit Jahren eigentlich gehalten hat – was man isst, ist weitgehend egal. Nicht jeden Tag Fleisch, Portionen kleiner machen, keine überflüssigen Milchmixe und Spaßprodukte, dafür öfter mal ein Linsengericht, das ist besser für Klima und Umwelt.
Die Argumente müssen klar getrennt werden, sonst sind sie irreführend.
Dass man für das Klima beim Essen umdenken muss und nicht jeden Tag schlemmen kann, ist dabei gut vermittelbar.
Unbedingt aber, fordert Quarkundso.de, ist die Gefahr durch Übergewicht klar zu benennen. Gerade erst hat eine brandaktuelle Studie gezeigt, dass es inzwischen eine Milliarde fettleibige Menschen auf der Welt gibt: mehr Fette als Hungernde, die nur Übergewichtigen gar nicht erst mitgezählt.
Das Problem ist gigantisch.
Und das verschämte Schweigen der DGE für uns nicht mehr nachvollziehbar.
Andere Länder, andere Regeln
Dabei wäre die DGE mit Regeln für das einfache Volk die erste Adresse für den Kampf gegen Übergewicht: Wer soll sonst etwas dazu sagen, wenn nicht eine nationale Ernährungsfachgesellschaft, die öffentlich gefördert wird?
In anderen Ländern sieht man das so: Die Italiener zum Beispiel stellen den Rat, das Gewicht unter Kontrolle zu halten und sich viel zu bewegen, gleich ganz nach vorne.
Erste Regel, vorbildlich. Warum die DGE nicht?
Auch Saudi-Arabien spricht das Problem direkt an. Bei den von einer Fettleibigkeits- und Diabetes-Welle überrollten Arabern verlangt eine Regel klipp und klar, ein „gesundes Körpergewicht“ anzustreben und zu halten.
Auch die Polen wagen eine deutliche Ansage: „Halten Sie Normalgewicht“ steht explizit in ihren Empfehlungen.
Die DGE versucht es stattdessen mit dem Wassertrick. Eine klare Ansage an das dickleibige Volk der Deutschen fehlt.
Im internationalen Kontext innovativ
Dass Wassertrinken an erster Stelle der deutschen Regeln steht, vermutlich wegen Übergewicht, ist übrigens durchaus speziell, wie eine Sichtung unserer Abteilung Dokumentation & Recherche ergeben hat.
Die emsigen Arbeitsameisen haben die Ernährungsregeln in anderen Ländern durchgekämmt, darunter Frankreich, Italien, Polen, England, Irland, Belgien, Schweiz, Norwegen, Schweden und Dänemark, dazu ein paar Länder auf anderen Kontinenten, wie Kanada, USA, Mexico, Indien, Saudi-Arabien und Marokko.
Ergebnis: Die Empfehlung, Wasser zu trinken, und zwar viel, kommt bei einigen vor. Aber nicht bei allen.
An erster Stelle steht das Wassertrinken nur noch in Österreich. Sonst nirgendwo. Ohne Zweifel ist das im internationalen Rahmen besonders innovativ. Wir können stolz auf unsere DGE sein.
Doch es lassen sich auch andere Schlüsse ziehen. Zum Beispiel der, dass Wassertrinken ganz oben nicht gut platziert ist, aus verschiedenen Gründen.
Macht euch ehrlich
Denn wenn es ein versteckter Weg ist, das Übergewichtsproblem anzusprechen, wäre das direkte Adressieren möglicherweise besser als von hinten durch die Brust ins Auge zu zielen.
Warum die DGE in diesem Punkt so zögerlich ist, dafür gibt es wohl eine ganze Menge Gründe, über die wir nicht spekulieren wollen, jedenfalls nicht in diesem Beitrag. Vielleicht in einem anderen – und es könnte eine lange Serie werden.
Jedenfalls hat Quarkundso.de schon vor Jahren die entsprechende Eingabe gemacht und ist mit gutem Beispiel vorangegangen: Wir haben den Text für eine Regel zum Übergewicht 2018 auf dem Silbertablett serviert, in einem Beitrag über die wahren Dickmacher und die damals aktuellen 10 Regeln der DGE, Titel: „Die große Serie bei Quarkundso.de: Was wirklich dick macht – und wo die DGE kneift“. Hier unser Vorschlag für die Regel gegen Übergewicht:
Halten Sie Normalgewicht und bewegen Sie sich viel!
Vermeiden Sie Übergewicht. Wenn Sie zunehmen, steuern Sie aktiv gegen. Sprechen Sie bei Übergewicht mit Ihrem Arzt. Auch Untergewicht ist gesundheitsschädlich. Gut ist auf jeden Fall Bewegung – vollwertige Ernährung und Bewegung gehören zusammen.
Original aus Beitrag von 2018 "Was wirklich dick macht und wo die DGE kneift" LINK hier
Die Einzelheiten samt Begründung können unsere Qualitätsleser im Beitrag von 2018 einsehen, wird natürlich abgefragt.
Den Ratschlag stellen wir weiterhin zur Disposition und zur Diskussion, natürlich für einen angemessenen Anteil an den öffentlichen Millionen, den die DGE erhält.
Dafür würden wir auch diese irreführenden Texte im Webangebot der DGE aufräumen und die neuen 11 Regeln in eine vernünftige Reihenfolge bringen.
Wir verlangen ansonsten auch für das Aufräumen der Homepage kein sechsstelliges Beratungshonorar, fünfstellig im oberen Bereich plus unser gerechter Anteil am DGE-Fördergeld reicht völlig aus.
Es ist ja für einen guten Zweck.
@Johanna Bayer
Die neuen 11 Regeln der DGE im Netz
Die Angst der Fachleute vor dem Klartext – unser Beitrag vom 11.8. 2017 mit der neuen Regel zum Wassertrinken, danach, am 30.98.2017 von der DGE geändert
Unser Artikel zu den wahren Dickmachern von 2018, mit dem Vorschlag für eine klare Ansage zum Übergewicht an die DGE
Die große Serie bei Quarkundso.de: Was wirklich dick macht – und wo die DGE kneift
Ulrike Gonder
Sehr schön zerpflückt liebe Johanna! Man traut ja manchmal seinen Augen nicht, was da so publiziert wird. Gut, dass die DGE im Bewusstsein des „einfachen Volkes“ nicht sehr präsent ist 😉
Johanna Bayer
Danke, liebe Ulrike! Rückmeldungen von Dir lese ich besonders gerne …
Herzliche Grüße!