Gefundenes Fressen

Geschmack? Egal, Hauptsache billig! Warum das ZDF Discounter-Würstchen empfiehlt

Journalisten haben dieser Tage eine ausgesprochen schlechte Presse, korrupt und verlogen sollen sie sein. Am ehesten können sie beim Publikum noch mit Nutzwert und Ratschlägen punkten, besonders im Fernsehen steigert nichts die Quote mehr als Verbrauchertipps. Deshalb besteht das Programm zunehmend aus Stiftung-Warentest-Formaten, so will es das Volk der Schnäppchenjäger: Marken-Check beim WDR, Lebensmittel-Check beim NDR, Gesundheits-Check beim BR.

Also wurde auch das Weihnachtsfest dem großen Check unterzogen, nämlich beim ZDF: Der „große Test zum Fest“ nahm sich am 16. Dezember das Weihnachtsessen vor, gemacht von einer internationalen Produktionsfirma mit Riesenaufwand: Auslands-Dreh in Ungarn, aufwendige Kamera, viele Statisten, ein Wettkochen von Hausfrauen aus allen Ecken der Republik, deutschlandweite Verkostung auf Weihnachtsmärkten. Kern war das von Sternekoch Nelson Müller kunstvoll zubereitete Weihnachtessen – Gans vom Biozüchter, von Hand geriebene Klöße – gegen ein Gericht aus Tiefkühlware, mit Knödeln aus der Fertigpackung.

Gourmet-Angeber, Bio-Fuzzis und der harmlose Verbraucher

Man sitzt fassungslos davor. Was soll das? Besteht für irgendjemanden der geringste Zweifel daran, dass ein frisch und handwerklich auf höchstem Niveau von einem Sternekoch zubereitetes Festessen dem Zeug aus der Packung überlegen ist? Oder umgekehrt: Ist wirklich jemand der Meinung, dass industrieller Fertigfraß besser wegkommen kann?

Scheinbar schon. Ganze ZDF-Etagen müssen es so sehen, sonst hätten sie das Geld für diese Hochglanz-Produktion nicht bewilligt. Ja, es sieht so aus, als ob die Nation tief verunsichert ist: Kann es sein, dass frisch gekochtes Essen aus teuren Rohstoffen wirklich besser schmeckt? Dass man es überhaupt herauskennen kann, im direkten Vergleich? Oder wollen diese Sterneköche, Gourmet-Angeber und Bio-Fuzzis den harmlosen Verbraucher nur über den Tisch ziehen? Muss nicht endlich bei einem professionellen Test die Wahrheit ans Licht kommen – dass es gar keinen Unterschied gibt zwischen kulinarisch perfektem Essen und Billig-Fertigware?

Anders als unter diesen Leitfragen lässt sich die Sendung der Reihe „ZDFzeit“ nicht erklären. So kommt es auch mehrfach im Sprechertext: „Schmeckt das Fertiggericht genauso gut?“ „Lohnt sich das aufwändige Selberkochen?“ Die meinen das wirklich so, in Mainz. Und es tritt ein mit Rotwein angesetztes, raffiniert mit Portwein, Orangensaft, Zimt, Nelken, Wacholder und Lorbeer gewürztes und in köstlichem Gänseschmalz angeschwitztes Delikatesskraut von Nelson Müller gegen gemeinen Kohl aus dem Glas an. Derlei wird oft mit billigem Essig, Aromastoffen und Zucker ins Glas gepresst.

Beim Testessen im Studio gewinnt das Kraut des Sterne-Profis. War klar. Könnte aber neben Volksverdummung auch eine Verschwendung von Gebührengeldern sein, wenn man mich fragt. Dazu darf man sich kurz vor Augen führen, wie das ZDF selbst seine Sendereihe beschreibt, und wie viel Geld es im Schnitt pro Folge ausgibt:

Unter dem Label „ZDFzeit“ laufen am Dienstag um 20.15 Uhr große Primetime-Dokumentationen. Neben investigativen und analytischen Stoffen gibt es verbrauchernahe und informative Themen. „ZDFzeit“ bietet rund 35 Produktionen pro Jahr bei Durchschnittskosten von zirka 240.000 Euro.

Supermarkt-Wurst schlägt Metzger- und Bioware – sagt das ZDF

Für diese stattliche Summe ist dann auch ein Test mit vier Sorten Wiener Würstchen drin, da am Heiligen Abend bei vielen Deutschen Würstchen mit Kartoffelsalat auf den Tisch kommen. Testsieger: die Wiener aus dem Discounter, die billigste Massenware von Netto. Und das nicht etwa, weil sie den Testessern im Studio am besten schmecken.

Wie bitte? Ja, richtig gelesen. Nochmal zum Mitdenken: Es gewinnen die billigen Supermarkt-Wiener, die nicht einmal besonders gut schmecken. Geschmacklich am besten schneiden nämlich die Würste vom Metzger ab. Das erscheint logisch, da sie wohl handgemacht, individuell gewürzt und abgeschmeckt sind. Aber die Kunst des Metzgers landet nur auf dem zweiten Platz, vor den Wienern aus teurem Biofleisch, die Platz 3 bekommen. Schlusslicht sind die Würste aus dem Glas.

Was aber bewegt das ZDF zu seinem Urteil? Die Supermarkt-Würstchen enthalten minimal mehr Muskelfleisch im Fleischanteil als die Metzger-Wiener, rechnet ein Lebensmittelchemiker vor laufender Kamera aus. Und obwohl der Mann selbst diesen Unterschied im O-Ton als „gering“ bezeichnet, zieht er den Schluss, dass die Fleischqualität der Discounter-Würstchen am höchsten war. Dann präsentiert das ZDF die Zahlen: 79,5 Prozent Muskelfleisch im Metzger-Würstchen, dann geht es aufwärts zu 84 Prozent bei den Bio-Wienern und 86 Prozent Muskelfleisch im siegreichen Discounterwürstchen.

Was heißt hier eigentlich Qualität?

Es ist also wirklich nur ein geringer Unterschied, und alle getesteten Würste erfüllen mit einem Muskelfleischanteil von über 75 Prozent die Qualitätsanforderungen aus den Leitsätzen des Lebensmittelhandbuchs. Minimal mehr davon im Discounterprodukt heißt aber nicht, dass das Fleisch, das drinsteckt, das allerbeste Muskelfleisch war. Da kommt es ja auch auf das Tier und die Haltungsbedingungen an. Oder dass überhaupt ein möglichst hoher Muskelfleischanteil bedeutet, dass das ganze Würstchen automatisch gut ist. Hat nicht doch eher der Metzger die beste Qualität geschaffen, weil seine Würste nicht nur die Material-Vorgaben des Handwerks erfüllen, sondern auch richtig gut schmecken? Er hat vielleicht im vorgeschriebenen Rahmen andere Fleischteile genommen, echte Gewürze und etwas mehr Speck – das nämlich gibt den besseren Geschmack! Und darauf, auf den Geschmack, kommt es beim Essen schließlich an. Nicht umsonst zählt die Bewertung des Geschmacks üblicherweise am meisten bei solchen Prüfungen, etwa bei der Stiftung Warentest.

Billiger als eine Kugel Eis oder ein Überraschungs-Ei

Nicht aber beim ZDF. Denn der Sender kommt mit dem Preishammer: Die Supermarkt-Würste sind unschlagbar billig, 49 Cent pro 100 Gramm, also für ein Paar Wiener. Das ist weniger als eine Kugel Eis oder ein Überraschungs-Ei. Die Wiener vom Metzger und die Bio-Würste kosten mehr als das Doppelte, 1,19 und 1,39 Euro pro 100 Gramm. Was absolut gesehen nicht die Welt ist, vor allem zu Weihnachten. Aber für das ZDF schon – billig punktet.

Jetzt drängt sich die Frage auf: Was glaubt das ZDF-Team, warum die Supermarkt-Ware so billig ist, und die mühsam in Handarbeit gewursteten Metzger-Wiener oder die Bio-Würste teurer? Kein Wort verlieren die Macher der Sendung über den gnadenlosen Preiskampf der Discounter und seine Folgen. Dabei sind die ekelhaften Bilder aus dem Schweineknast von Adriaan Straathof in Sachsen-Anhalt kurz zuvor durch die Medien gegangen. Das ist der holländische Großmäster, dem Amtstierärzte am 10. Dezember 2014 in Sachsen-Anhalt den Laden geschlossen haben, wegen kranker Schweine, Kadaver im Hof und zu schlechter Bedingungen für die Tiere.

Fleisch von Straathof und Konsorten

Betriebe dieser Art und Größe gibt es in Deutschland viele, vor allem im Norden und im Osten. Sie liefern ihr Fleisch über große Fleischvermarkter an Wurstfabriken, die für Discounter daraus die immer geschmacksgleiche Ware machen. Und dann singt das ZDF ein Loblied auf die Supermarkt-Wurst und empfiehlt sie ausgerechnet zu Weihnachten. Wie blind. Im Ankündigungstext zur Sendung versteigt sich die Redaktion sogar zu der Aussage: „In Sachen Fleischqualität schlägt Billigwurst die Bioqualität.“ Das ist schon allerhand, wenn man bedenkt, dass die Discounter ihre Würste mit Fleisch aus den Monster-Mästereien à la Straathof machen. Und Biobetriebe nicht.

Natürlich kann man nicht ausschließen, dass der Metzger sein Fleisch ebenfalls von Straathof und Konsorten bezieht. Aber man kann seinen Metzger fragen. Jeder Metzger, der etwas auf sich hält, wird Wert darauf legen, dass sein Fleisch von anständigen Schlachtereien und Bauern kommt. Die Bio-Verarbeiter sowieso. Man kann sich die Lieferanten und den Schlachthof auch mal ansehen. Und wenn einem die Antworten des Metzgers nicht gefallen, kauft man halt woanders ein. Sofern es noch eine Alternative gibt – wenn nämlich alle die Billig-Wurst im Supermarkt kaufen, sterben die kleinen Metzger aus. Das ist in Nord- und Ostdeutschland flächendeckend schon im Gange, sagt der Bundesverband der deutschen Fleischwarenindustrie. Schöne Aussichten: Fragwürdige Massentierhaltung und Billigware mit Einheitsgeschmack für alle.

Die heimliche Hauptbotschaft: Billig ist auch sehr lecker

Bei den Gänsen für den Weihnachtsbraten ist dem ZDF die tierfreundliche Haltung immerhin eine teure Dreh-Reise nach Ungarn wert, wo es, wie überall, gute und nicht so gute Gänsehalter gibt. Viel Erhellendes kommt beim anschließenden Testessen aber nicht heraus. Denn die Studiogäste erkennen zwar alle, dass auf dem rechten Teller die teuren Bio-Produkte und das Handgemachte liegen. Und auf dem linken das Rotkraut aus dem Glas, die aus der Packung angerührten Knödel und die Frostgans. Aber auch dieses Ergebnis war, siehe oben, eigentlich von vorneherein klar, und rechtfertigt vielleicht nicht unbedingt 240.000 Euro aus Gebührengeld.

Was rechtfertigt sie dann? Vielleicht die Schlussbotschaft, die dem ZDF wichtig genug war, um eine aufwändige Produktion darum herum zu konstruieren. Die Studio-Testesser landen nämlich am Ende bei einem versöhnlichen Unentschieden: Kann man alles essen. Einer sagt: „Wenn ich den rechten Teller nicht kennen würde, fände ich links sehr lecker!“

Und das ist die Aussage, die nach dem ganzen Aufwand übrig bleibt: Es ist in Ordnung, Wiener Würstchen im Supermarkt zu kaufen, eine Tiefkühl-Gans zu nehmen und dazu Rotkraut aus dem Glas und Knödel aus der Tüte zu servieren. Auch wenn es nicht so gut schmeckt – aber wir sind das ja eh gewöhnt und können es kaum unterscheiden! Außerdem ist es viel billiger und kostet viel weniger Zeit. Und das ist gut so. Also kaufen Sie ruhig beim Discounter und machen Sie sich keinen Stress, ist ja Weihnachten.

Wenn nicht zu Weihnachten – wann dann?

Aber Leute, ganz ehrlich, ist das die richtige Botschaft? Natürlich ist es in Ordnung, wenn es absolut nicht anders geht. Und natürlich kann man das alles essen. Im ersten Weltkrieg haben die Leute Kitt aus den Fensterrahmen gekratzt und Mehl mit Sägespänen gestreckt. Ging auch. Aber als journalistische Schlussfolgerung, als Sendungsaussage eines anspruchsvollen Formats ist so etwas irrelevant, farblos, zahnlos und so unter Niveau wie nur irgend denkbar. Es klärt nicht auf, hilft nicht weiter, bewegt nichts, bringt keinen Mehrwert und keine neue Information.

Im besten Fall ist dieses Fazit eine Nullaussage. Eigentlich aber ist der „Billig schmeckt auch“-Freifahrtschein in mehrfacher Hinsicht ethisch fragwürdig. Und zwar bezogen auf die eigene Esskultur, das eigene Konsumverhalten, den Umgang mit Gästen, mit den Tieren und der Umwelt. Wenigstens einmal im Jahr könnte man sich doch, zu Weihnachten, zum Fest der Liebe, ein bisschen mehr Mühe geben, und zum Beispiel echte Qualität kaufen. Dazu selbst kochen – und sich im neuen Jahr vornehmen, beides öfter zu tun. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt.

©Johanna Bayer

Link zur ZDF-Sendung „Der große Test zum Fest“ Video und Ankündigungstext

Beschreibung des ZDF-Formats auf der ZDF-Seite

Nach dem Fest ist vor dem Fest – wer wirklich Erhellendes über Gänse erfahren und für nächstes Jahr planen will, kann auf Peter Posses Ungarnblog reisewege-ungarn.de nachlesen. Er hält ein Plädoyer für Frischware aus dem Osten.

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  1. Liebe Johanna,

    danke für diesen Beitrag!! Zum Glück hab ich die Sendung nicht gesehen, ich hätte vermutlich Bluthochdruck bekommen. Wenn ich denke, dass dafür mein Rundfunkbeitrag draufgeht, könnte ich weinen. Wünsche ein quark-und ideenreiches neues Jahr! Ich fürchte, es gibt auch in 2015 viel zu tun!!

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