Bad Taste - einfach schlecht gemacht, Das Essen der Anderen, Gefundenes Fressen

DIE ZEIT: Marcus Rohwetter über Sommeliers klingt wie Dieter Bohlen über Oper

Sommeliers machen einen Riesenzirkus, um ahnungslosen Gästen das Geld aus der Tasche zu ziehen, meint ein Kolumnist in der ZEIT. Für ihn sind sie die Wurzel alles Übels im aggressiven Lebensmittelmarketing. Außerdem treten Sommeliers jetzt überall auf, ob für Käse, Schokolade oder Mineralwasser. Quarkundso.de tritt zur Ehrenrettung an, denn die Kunst der Weinberatung darf man nicht missachten: Ohne Sommelier kann ein gutes Essen so richtig in die Hose gehen.

 

Weingläser, gedeckter Tisch, Mann schenkt Wein ein

Der Angeber mit seinem Getue – das ist der Sommelier.

 

Die „Quengelzone“ in der ZEIT ist eine echt gute Kolumne: Der Wirtschaftsredakteur und gelernte Jurist Marcus Rohwetter entschärft dort jede Woche „die größten Blendgranaten aus Werbung und Marketing“, so die eigene Beschreibung.

Er ätzt schön bissig über irreführende Produktaussagen, etwa bei Koffein-Shampoo oder Wohlfühl-Magneten, und entlarvt Verbrauchertäuschung und Mogelsprache. Dabei offenbart er sich als Schrecken der Verkaufsstrategen, denn er geht garantiert keinem auf den Leim.

Eine seiner Tiraden gilt auch den Sommeliers, Titel: „Die Retter der Ahnungslosen“. Es geht darin um Berater, die viel zu häufig Gäste und Kunden nicht nur zu Wein, sondern auch bei der Wahl von Käse, Brot, Bier, Fleisch oder Wasser belehren.

Als sei, schreibt Rohwetter, „niemand mehr in der Lage, einfachste Grundnahrungsmittel zu beurteilen.“

 

Die Leute kaufen zu viel Schrott

Das hat durchaus was. Denn dieses Gewese von „Sommeliers“ für Käse, Brot oder Wasser kann wirklich nerven, wenn die Berufsbezeichnung falsch verwendet wird. Denn manche dieser Titel kann man in einem Wochenendkurs erwerben und sie sind nichts als clevere Erfindungen von Marketing-Abteilungen.

Beim Fleischsommelier zum Beispiel spricht ein einschlägiger Industrieverband von der Hoffnung auf „deutliche Imagesteigerung“. Dabei ist jeder gelernte Metzger ein Fleischsommelier. Das Image steigert das aber weiß Gott nicht, in den heutigen Zeiten.

Doch gerade wenn man die Dinge klar sieht, muss man Herrn Rohwetter auch etwas entgegen halten: In der Tat ist heute kaum mehr jemand in der Lage, einfachste Grundnahrungsmittel zu beurteilen.

Deswegen kaufen die Leute ja so viel Schrott und fallen auf die Industrielügen rein, die Herr Rohwetter mit Recht kritisiert.

Das mal vorab. Tatsächlich haben wir mehr Ernährungs- und Küchenwissen bitter nötig, und zwar angefangen bei so wichtigen, komplexen Produkten wie Fleisch und Käse. Da ist die Grundidee einer kompetenten Beratung gar nicht schlecht.

 

Sommeliers: Pfleger für Geschmacksbehinderte?

Aber es geht Herrn Rohwetter eigentlich nicht um „einfachste Grundnahrungsmittel“. Seine Kritik zielt speziell auf Wein und Weinkellner. Daher stammt die Berufsbezeichnung „Sommelier“ eigentlich. Und dieser Experte für Wein und Getränke erscheint dem wackeren Aufklärer Rohwetter als die Wurzel allen Übels im aggressiven Lebensmittelmarketing.

Der Weinkellner nämlich, so Rohwetter hämisch, ist einer, der hilft, wenn man nicht weiß, ob einem „der Wein schmeckt oder nicht“.

Also eine Art Pfleger für Geschmacksbehinderte.

Das Ganze sei ein „Riesenzirkus“, den Händler und Verkäufer um ihre Produkte – den Wein – veranstalten: Wein sei zwecks Verunsicherung der Kunden zu einem komplexen und unverständlichen Produkt hochgejazzt worden, damit Gastronomen ängstlichen Trinkern die teuersten Flaschen andrehen können.

Und das nur, weil der kleine Mann völlig zu Unrecht fürchte, bei Wein „unheimlich viel falsch machen“ zu können.

 

Hauptsache Alkohol

Tja. Wenn Herr Rohwetter wirklich sicher ist, dass man bei Wein nichts falsch machen kann, ist er entweder ein ausgesprochener Experte und spricht gerade nur von sich.

Oder, was wahrscheinlicher ist: Er ist Biertrinker.

Und weder Weinkenner noch Gourmet. Vielleicht gehört er überhaupt zu den Leuten, die alles trinken, Hauptsache, es ist Alkohol drin. Denen ist es meistens auch egal, was sie dazu essen, Hauptsache, es ist billig.

Das ist okay, das kann jeder halten wie er will.

Aber irgendwie lässt der Text erahnen, dass Herr Rohwetter nicht wirklich weiß, wovon er spricht, denn er scheint nicht darüber informiert, was ein Sommelier, also ein professioneller, speziell ausgebildeter Weinberater, eigentlich macht.

 

Im Preis inbegriffen

Keine Sorge, hier folgt jetzt kein langer historischer Exkurs. Nichts über den Mundschenk, den es schon seit der Antike gibt und der im Mittelalter eines der höchsten Ämter bei Hofe bekleidete. Der wurde mitnichten von den armen Winzern gesponsert, sondern vom Fürsten bezahlt und von den Händlern gefürchtet.

Denn jeder anständige Mundschenk hat seinem Lieferanten für gepanschten Wein gnadenlos ein paar Stockschläge verpasst – und wurde seinerseits in den Kerker geworfen, wenn der Wein zum Essen dem König nicht bekam.

Also schnell zu den Fakten der heutigen Zeit: Abgesehen davon, dass die Dienste der Weinkellner im Restaurant im Preis inbegriffen sind, der Gast also nicht extra dafür bezahlen muss, treten Sommelier oder Sommelière nur auf Wunsch des Gastes an den Tisch.

Dann erklärt die Fachkraft aber nicht das „Produkt Wein“. Sondern kennt die Zubereitungsweisen und Zutaten des Menüs – im Gegensatz zum Gast.

Und kann diese mit den Eigenschaften der Weine vergleichen, um die optimale Kombination zu empfehlen, und zwar angepasst an den Geschmack des Gastes: „Sie wollen einen Weißwein zum Fisch, vertragen aber keine Säure, weil Sie einen empfindlichen Magen haben?“ „Rotwein, aber was Leichtes, und passend zu Trüffeln?“. „Sie mögen es fruchtig und aromatisch, aber nicht süß?“.

Alles kein Problem für den Sommelier.

Aber sehr wohl für den normalen Gast, es sei denn, er ist – wie Herr Rohwetter – ein ausgewiesener Kenner und kann nichts falsch machen.

 

Garantierter Genuss

Der Sommelier ist also dafür zuständig, dass der Wein zum Essen passt und nicht den Genuss der Speisen verdirbt, oder umgekehrt, dass die Speisen nicht den Wein ruinieren.

Das kann gerade in teuren Läden nicht einmal der Chefkoch garantieren. Sonst würden sich die Nobelschuppen mit besternten Künstlern keine teure Weinfachkraft extra leisten. Der Sommelier verhütet Unglücksfälle und garantiert den Genuss.

Von allen Seiten beleuchtet ist es so:

Ein Normal-Esser, der sich von seinem Durchschnittsgehalt vielleicht einmal im Jahr den Gang ins Sternerestaurant leistet, will auskosten, was Küche und Keller hergeben. Er will das optimale Geschmackserlebnis und seinen Horizont erweitern. Das geht in der Dorfkneipe in aller Regel nicht.

Der Wirt will, dass der Gast zufrieden ist und vor allen Dingen wieder kommt. Doch wenn der Gast zu seinem Sterneessen auch selbst den Wein aussucht und das obere Regal anvisiert – ist ja nur einmal im Jahr – kann er sich gewaltig vergreifen.

Lässt er einen repräsentativen Chateau Lafite zur Seezunge entkorken, geht das schlecht aus, und zwar für alle Beteiligten: den Gast, den Wirt, den Wein und die Seezunge. Daran hat niemand Interesse.

 

Wein ist ein Naturprodukt

Und genau davor bewahrt der Sommelier, der ein geschulter Sensoriker ist und alle Weine seines Kellers garantiert probiert hat. Denn auch das vernachlässigt Herr Rohwetter: Guter Wein ist ein Naturprodukt und nicht standardisierbar.

Wer einen Wein nicht vorher verkostet hat, kann nie wissen, was ihn erwartet.

Profis und Kennern ist das klar. Tumbe Supermarktkäufer versuchen dagegen, mit industriell gemischten Retortenbrühen wie Blanchet auf Nummer sicher zu gehen.

Wenn man den teuren Wein im Restaurant aber sicherheitshalber probieren will und eine Flasche öffnen lässt, muss man die Flasche bezahlen, ob der Inhalt einem schmeckt oder nicht.

Das weiß Herr Rohwetter, glaube ich, auch nicht, wie sein Text durchblicken lässt. Da spricht er davon, dass mancher Gast fürchtet, sich ob seiner „Ahnungslosigkeit rechtfertigen“ zu müssen. Muss er nicht.

Ob die Flasche mit dem prestigeträchtigen Etikett die subjektiven Geschmacksvorlieben trifft oder nicht, ist egal. Bestellt ist bestellt, es sei denn, der Wein hat wirklich einen Fehler. Und so eine Flasche kann alleine schon doppelt so viel kosten wie das ganze Menü. Da ist es doch besser, sich vorher vom Sommelier beraten zu lassen.

 

Ein frühes Sterneessen – mit Sommelier

Das alles ist aber von alters her bekannt, schon Karl der Große war diesbezüglich auf der Höhe: Er ließ bei seinen Banketten dem Mundschenk einen großen Auftritt. Sein Chronist berichtet: Nachdem „ein Schwarm von Köchen und Bäckern“ ihres Amtes gewaltet und die Speisen aufgefahren haben,

„kommt der mächtige Mundschenk Eppinus und bietet in schönen Gefäßen lieblichen Wein. Bald umsitzen sie, nachdem die Aufforderung ergangen, das königliche Mahl. Der Freude wird Raum gegeben. Fort mit euch, so ruft man, ihr Massen von Brei und dicker Milch; heute seien die Tische gewürzter Speisen voll!“

Das wäre heute wohl ein Sterneessen mit Sommelier.

© Johanna Bayer

Die „Quengelzone“ über Sommeliers von Marcus Rohwetter

 

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3 Kommentare

  1. daniel

    Wahre Worte. All das gesagte, gilt auch für handwerkliches Bier. Ein Naturprodukt! Mit Ablaufzeit!
    Leider noch immer sehr verpönt in der Spitzengastronomie. Wobei insbondere Sauerbiere und fassgelagerte Biere, oft jahrelang gelagert, bzw geblendet, bzw. verschiedensten Hefen, ua Weinhefen absolut „weinartig“ sind. Man schaue sich Brauereien wie Jester King, Texas, Hill Farmsteadt, Vermont oder natürlichen die belgischen Sauerbiere Produzenten an – Auch hier bedarf es eines „foodpairings“!
    Wie traurig, wenn ein tolles Menu für viel Geld und Kochkunst mit Warsteiner & Co begangen wird, statt zb ein feines Bier zum Durstlöschen am Anfang, vorm Wein und am Ende ein feines Fassgelagertes zum Dessert. Auch hier herrscht bei Kunde und Küche noch sehr viel Nachholbedarf.
    Genau deswegen „Bier Sommeliere“ (die im übrigen einen genauso steinigen Weg mittlerweile haben, da anglegt an Master of Wine etc… siehe Master Cicerone, von den es nur 8 weltweit gibt im Moment)

  2. Da hat wohl der Herr Rohwetter nicht verstanden, was ein Sommelier oder ein Sommelière macht. Denn natürlich kann der Sommelier nicht wissen, welcher Wein einem Gast schmeckt. Vielen Dank für diese Klarstellung.
    Selbst studiere ich zwar gerne umfangreiche Weinkarten und versuche, selber das Passende herauszufinden. Gerne lasse ich mir meine Wahl dann aber vom Sommelier bestätigen. Auch wenn ich mal gleich den Sommelier um eine Empfehlung gebeten habe, bin ich noch nie enttäuscht worden und meistens stand dessen Empfehlung auch für ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis und keinesfalls für den Verkauf teurer Weine.
    Übrigens: wer ein umfangreiches Menü wählt, ist häufig mit der empfohlenen Weinbegleitung zu den einzelnen Gängen vorzüglich beraten – das Menü wird so zum Gesamtkunstwerk. Diese Mühe hat sich ein Sommelier vorab gemacht.
    Und schließlich ist der Sommelier kein Verkäufer, sondern ein kompetenter Gesprächspartner. Ich kann jeden nur ermutigen: diskutiert mit dem Sommelier über eigene Vorlieben, das Essen und die Weine.

  3. DirkNB

    Da habe ich doch auch wieder was dazu gelernt. Weinflaschen, die man öffnen lässt, aber nicht trinkt, weil sie einem nur nicht schmecken, muss man auch bezahlen. Insofern ist man ggf. voll in der Hand des Sommeliers, ist er derjenige, der passend zum Menü die Weine empfehlen kann, und der Gast seine Geschmacksvorlieben möglichst eindeutig definiert, so dass der Sommeliere das alles unter einem Hut bringt.
    Aber das ist nicht der Hauptgedanke, der mir beim Lesen des Artikels durch den Kopf ging. Die Quengelzone kannte ich bisher auch nicht, klingt aber danach, dass ich mal gucken müsste. Scheint interessant zu sein. Woran ich aber dachte, war die große Verantwortung, die wir Foodblogger eigentlich haben. Das scheint einigen gar nicht so bewusst zu sein. Ist es nicht auch an uns, die wir uns etwas intensiver mit dem Essen beschäftigen, unsere Leser über gutes Essen aufzuklären? Mir kräuselten sich neulich mal die Nackenhaare, als ich in einem Blog eine Besprechung eines Fertigessens las, dass schon auf dem amateurhaften Bild einfach nur schrecklich aussah (ich kenne es leider auch in natura, da war es nicht besser, wenn der Test aber schon ewig her ist). Zweimal Matschepams in reudiger Farbgebung durch Überlagerung und Oxidation mit in viel Soße unbekannter Herkunft ersäuften Fleisch (ich hoffe mal, dass es wenigstens kein zusammengesetztes war) wurde da als „So angerichtet auf einem Teller sieht es sogar fast schon festlich aus! Mir gefällt es.“ Und dahinter war kein Ironiezeichen!
    Das Fazit fiel dann auch noch positiv aus. So einen Mist als solchen zu erkennen und zu geißeln, sollte zu den Aufgaben nicht nur der Foodblogger, sondern aller Esser gehören.