Das Essen der Anderen, Gefundenes Fressen

Keine Veggie-Wurst in Frankreich und was die Wissenschaft dazu sagt: nichts. Wie eine falsche Meldung ohne Recherche durchkommt

Pfanne mit Würsten, Sauce, Etikett "Like Meat"
In Frankreich darf Veggie-Wurst nicht mehr „Wurst“ heißen. Angeblich kritisieren Wissenschaftler und Gesundheitsexperten die Entscheidung und empfehlen Fleischimitate. Das tun sie aber gar nicht – deutsche Redaktionen fallen auf eine Falschmeldung rein.

Eigentlich sollte diesmal die Industrie dran sein, seit Wochen arbeiten wir an einem Beitrag zu Zuckerzeug.

Aber dann kam die Meldung zum französischen Wurst-Urteil und bei Quarkundso.de schrillten die Alarm-Glocken.

Was ist passiert? Nun, das französische Wirtschafts- und Finanzministerium verbietet ab 1. Oktober 2022, dass Hersteller vegetarische Produkte und Fleischersatz als Steak, Schnitzel oder Wurst bezeichnen.

Diese Namen sind Fleisch und Fleischwaren vorbehalten, und wo es um Fischimitate geht, eben dem Fisch.

Schluss mit Veggie-Schnitzel?

Pflanzliche Produkte müssen anders heißen, verordnet das Ministerium und beendet damit eine seit Jahren schwelende Debatte um Veggie-Marketing.

Den Antrag auf Klärung hatte ein französischer Landwirtschaftsverband gestellt, auch die Fleischindustrie hat darauf gedrängt. Die neue Regel gilt ab Oktober 2022 in Frankreich und nur für französische Waren, aber die Befürworter des Urteils möchten jetzt, dass die ganze EU nachzieht.

Damit wäre auch in Deutschland Schluss mit Veggie-Wurst und Sojaschnitzel.

Bisher gilt schon für Pflanzendrinks in der gesamten EU, dass sie nicht „Milch“ heißen dürfen, sehr zum Ärger der Hersteller von Hafer- und Soja-Drinks.

Lebensmittel und Juristen: Es geht um Geld

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Quarkundso.de hat das Thema natürlich längst erschöpfend behandelt: Wir verweisen auf den Beitrag zu Veggie-Wurst und Fleischersatz von 2017, dieser ist durchzulesen, wird abgefragt.

In der Sache ist weiter nichts zu sagen. Das Kennzeichnen von Lebensmitteln ist eine juristische Angelegenheit, es gibt dicke Wälzer darüber. Jeder weiß, dass es mit Hausverstand dabei nicht getan ist.

Stattdessen schreiben die Juristen seitenlange Vorschriften über Inhalts- und Zusatzstoffe, zu Allergenen, Verkehrsbezeichnung, Hersteller- und Herkunftsangabe.

Klar ist auch, dass in jeder Branche Akteure um Markennamen, Patente, Rechte, Lizenzen, Bezeichnungen, Produktklassen kämpfen. Die Konkurrenz schläft ja nicht, Wettbewerb und Wettbewerbsverzerrung sind die Stichworte.

Hersteller von pflanzlichen Ersatzprodukten, die den guten Ruf von Wurst, Schnitzel und Steak ausnutzen wollen, sind also schlicht auf die Härte des Marktes gestoßen.

Einer der wichtigsten Grundsätze dabei ist aber die Transparenz, die besonders Verbraucherschützer einfordern: Es muss drin sein, was draufsteht. Ende der Diskussion.

Identischer Text in vielen Berichten – nanu?

Rund um den Erlass des französischen Ministeriums vom 29. Juni 2022 gab es nun Resonanz aus den betroffenen Kreisen: Die Fleischindustrie feiert und triumphiert, die Vegetarier ärgern sich und quengeln.

Dabei ist die Abteilung Dokumentation von Quarkundso.de über eine – sogar viele –  Meldungen zu dem Urteil gestolpert, die Erstaunliches berichten: Nach dem Urteil hätten sich in Frankreich Forscher und Gesundheitsexperten zu Wort gemeldet.

Diese hätten erklärt, dass zum Wohle der Gesundheit die pflanzlichen Alternativen nicht geschwächt werden dürften. Das Urteil stärke nur die Fleischindustrie.

Das liest sich so:

Onav, eine Vereinigung von Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten, die sich auf Fleischalternativen spezialisiert hat, kritisierte hingegen, die Maßnahme diene eindeutig dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Fleischindustrie. Zugleich gefährde sie in Frankreich den Übergang zu nachhaltigeren und gesünderen pflanzlichen Alternativen zu Fleisch, dessen Produktion als höchst klimaschädlich gilt.

 

In diesem Wortlaut erschien diese Passage unter anderem bei STERN.de, bei FOCUS online und im Portal der Rheinischen Post, die Deutsche Welle schickt die Passage um die Welt, T-Online setzte noch eine gewichtige Überschrift drüber:

Wissenschaftler sehen Schutz der Fleischindustrie

Onav, eine Vereinigung von Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten, die sich auf Fleischalternativen spezialisiert haben, kritisierte hingegen, die Maßnahme diene eindeutig dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Fleischindustrie. Zugleich gefährde sie in Frankreich den Übergang zu nachhaltigeren und gesünderen pflanzlichen Alternativen zu Fleisch, dessen Produktion als höchst klimaschädlich gilt.

 

Schön auch RND, das Redaktionsnetzwerk Deutschland im Teaser, hier fett gedruckt:

Eine Wurst ist nur dann eine Wurst, wenn sie aus echtem Fleisch besteht. Das legt in Frankreich eine neue Verordnung zur Namensgebung von pflanzlichen Ersatzprodukten fest. Während die Fleischindustrie den Beschluss feiert, erntet er von wissenschaftlicher Seite Kritik.

(…) Kritik kommt dagegen vom ONAV, einem Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Angehörigen der Gesundheits­branche, die auf pflanzliche Lebensmittel und menschliche Ernährung spezialisiert sind. Das Dekret sei nur zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Fleischbranche gedacht und behindere den Übergang zu einer gesünderen und nachhaltigeren Ernährung der Franzosen, schreibt das Bündnis auf seiner Website.

Fleischersatz und Kunstkäse sind nicht gesünder

Beim Detektor von Quarkundso.de sprang fast die Nadel aus dem Zähler, so schlug sie aus. Wissenschaftler und Gesundheitsexperten halten pflanzlichere Alternativen zu Fleisch für gesünder? Kritik von „wissenschaftlicher Seite“?

Das wüssten wir.

Bisher hat die Wissenschaft noch nicht festgestellt, dass Fleischersatz, Sojaklopse oder Kunstkäse voller Zusatzstoffe gesünder sind als echtes Essen aus Fleisch und Milch.

Nirgendwo, weder in Frankreich noch sonst auf der Welt.

Welche angeblichen Gesundheitsexperten in Frankreich sich zu der neuen Kennzeichnungsvorschrift wirklich geäußert haben, sagen die Meldungen aber nicht oder nur verschlüsselt. Waren es Leute aus dem INSERM, dem staatlichen Gesundheitsinstitut? Oder vielleicht vom weltberühmten Institut Pasteur?

So, wie es in dem vielfach kopierten Absatz klingt, etwa bei der Deutschen Welle, T-Online und beim RND, müssten es jedenfalls unabhängige Wissenschaftler sein, die sich auf die Seite der Veggie-Industrie schlagen.

Vegetarier sind auch eine Lobby

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Doch in Wahrheit ist die genannte ONAV ein Vegetarier-Verein – ein Interessenverband, der im Vorfeld der neuen Verordnung übrigens ebenso angehört wurde wie die Fleischindustrie.

Mit anderen Worten: Es sind interessierte Kreise, Teile einer Vegetarier-Lobby, die selbst an dem Prozess beteiligt waren.

Keine Stimmen aus der Forschung, die von dritter, neutraler Seite Bedenken äußern.

Wer sich auf der Homepage der ONAV umsieht, bekommt außerdem den Eindruck, dass es mit der Wissenschaft dort nicht allzu weit her ist: Die Mitglieder sind etwa Apotheker, Lehrer, einige sind Diätberaterinnen – Vegetarier, die gemischte Berufsabschlüsse im Gesundheitsbereich haben.

Sie propagieren ihre Lebensweise und geben Tipps zu veganer Ernährung, der Verband lebt nach den Angaben auf seiner Webseite von Spenden.

Geld von der öffentlichen Hand erhält man angeblich nicht, und auch nichts von der Industrie, wie es heißt. Wer für einen solchen Verband spenden sollte, bleibt offen.

Die Meldung hinter der Meldung

Gleichzeitig tritt die ONAV im Netz auf wie eine Behörde oder eine wissenschaftliche Institution. Das offiziöse Logo macht was her, und natürlich der Name: ONAV steht für „Observatoire national de l’alimentation végétale“, auf Deutsch so etwas wie: „Nationale Beobachtungsstelle für pflanzliche Ernährung“.

„National“ klingt immer wichtig und nach staatlichem Auftrag, vielleicht sind deshalb so viele deutsche Redaktionen darauf reingefallen.

Noch etwas fällt dabei auf: Der unbesehen übernommene Wortlaut weist auf einen einzigen Ursprung hin, nämlich eine Agenturmeldung. Und so ist es auch: die AFP,  Agence France-Presse, eine internationale Nachrichtenagentur, ist die Quelle.

STERN.de, Deutsche Welle, Focus online, T-Online.de und viele andere nennen sie.

Bei Le Monde ist die ONAV kein Wissenschaftsverein

Auch Le Monde, die große französische Tageszeitung, hat natürlich zum frischen Erlass berichtet und bezieht sich auf die AFP. Dasselbe tut TF1, der größte französische Fernsehsender.

Nur schreiben die Franzosen etwas anderes: Sie nennen die ONAV schlicht mit ihrem Namen – und nicht als „Vereinigung von Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten“.

Wieder findet sich bei Le Monde und TF1 eine Passage im exakt gleichen Wortlaut:

“A contrario, l’Observatoire national de l’alimentation végétale (ONAV) regrette que le décret publié jeudi « place la France dans une position conservatrice, à contre-courant des enjeux actuels et de la politique européenne sur ces questions ».”

Übersetzung: Dagegen bedauert die ONAV - die Nationale Beobachtungsstelle für pflanzliche Ernährung - dass das neue Dekret Frankreich in eine konservative Ecke rückt, gegen die aktuellen Entwicklungen und die europäische Politik in solchen Fragen.

 

Das lässt so etwas wie einen Transferfehler erahnen: Die AFP hat ihre Meldung für den deutschen Markt möglicherweise geändert und aufgehübscht.

Vielleicht hat man dazu den Namen der ONAV übersetzt, und zwar falsch. Oder die Selbstbeschreibung auf der Homepage des Vereins einfach mit in die Meldung genommen. Schließlich können sich Deutsche unter „ONAV“ kaum etwas vorstellen, in Frankreich kennt man den Verein vielleicht aus früheren Diskussionen.

Anders ist nicht zu erklären, dass in deutschen Medien reihenweise ein Absatz mit derselben verzerrten Bezeichnung eines Vegetarier-Clubs auftaucht.

Die Qualitätsblätter SPIEGEL und Süddeutsche Zeitung haben den Unsinn übrigens rausgelassen, was den Puls wieder etwas beruhigt.

Schlampig übernommen, keine Recherche

Dass in deutschen Redaktionen aber so viele nicht einmal stolpern, gibt schwer zu denken. Die eigenartige Passage mit angeblichen Wissenschaftlern, die sich um das Marketing von Veggie-Produkte sorgen, hätte auffallen müssen.

Und natürlich gibt es mehrere Gründe, weniger Fleisch zu essen. Aber die Gesundheit ist nicht darunter – und dass Fleischimitate besser oder gesünder sein sollen, ist schlicht ein Gerücht.

Jetzt aber geht die verzerrte Bezeichnung durch das Netz, mit einer riesigen Reichweite.

Das ist nicht ganz harmlos. Derlei verfestigt Fake News und diskreditiert nebenbei die seriöse Forschung, etwa in der Version der Deutschen Welle. Die suggeriert auch noch, man habe mit „Gesundheitsexperten“ gesprochen:

Aus für Veggie-„Wurst“ in Frankreich
Würste dürfen in Frankreich bald nur noch Würste heißen, wenn sie aus Fleisch hergestellt wurden. Die fleischverarbeitende Industrie ist entzückt. Gesundheitsexperten sind hingegen alles andere als begeistert.

 

Das sitzt – „Gesundheitsexperten sind alles andere als begeistert“. Dabei ist die Aussage so eine grobe Verfehlung gegen journalistische Grundsätze, knackiger Teaser hin oder her. Richtig wäre so etwas gewesen wie: „Vegetarier-Verbände sind enttäuscht“.

Viele unbefangene Leser lassen sich aber von „Kritik kommt aus der Wissenschaft“ beeindrucken.

Dann fängt die nächste Diskussion am Abendbrottisch an mit „Französische Wissenschaftler haben doch festgestellt, dass fleischloses Essen gesünder ist!“. 

Nein, das haben sie nicht.

©Johanna Bayer

T-Online.de zum Wurst-Urteil 

Die Deutsche Welle schickt die Wurst-Meldung um die Welt

Vorbildlich: DER SPIEGEL lässt den Unsinn einfach weg

Le Monde: Kein Wort von Wissenschaft und Gesundheit

Hinweis: Alle Zitate und die genannten Textpassagen sind per Screenshot und PDF gesichert, Stand 6.7.2022
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4 Kommentare

  1. Marco Tullney

    Ganz ehrlich, das Zeug schmeckt ja auch widerlich, diese ganzen Ersatzprodukte sind Mist. Fragt ihr euch auch, ob Veganer sich ihre Geschmacksnerven amputiert haben?

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Danke für den Kommentar, Marco Tullney. Es ist bekannt, dass 20 bis 30 Prozent der Menschen sehr wenig schmecken und wenige Aromen wahrnehmen. Die schmecken nur süß, sauer, salzig und bitter. Dazu passt, dass Vegetarier und Veganer stark auf süßen Geschmack abfahren und ihre Gerichte fast alle mit Honig, Agavendicksaft und Obst süßen. Sie schmecken sonst zu wenig. Meine Privatmeinung: Nur wer einen derart eingeschränkten Geschmackssinn hat, kann überhaupt Veganer werden. Da fehlt ja mindestens die Hälfte des Aromenspektrums. Wer das auf Dauer aushält, legt auf Geschmack keinen Wert.

  2. Borschti

    Ich bin beeindruckt. Keine Ahnung, wie groß dein Blog ist aber Mühe steckt hier drin allemal.
    Erstmal durch ein paar Beiträge wuseln. 🙂

    lG Borschti