Gefundenes Fressen

Essen mit Kindern: Erzählt mehr von zuhause! In der SZ tobt der Wahnsinn am Familientisch

Ein Familienessen wird zum Desaster, weil die Kinder nörgeln und die gestressten Eltern nicht anders können als entnervt zu reagieren – normaler Alltag, findet eine Autorin in der SZ. Quarkundso.de findet das nicht. Wir finden: Weder mit Kindern noch mit Essen noch mit der kostbaren Familienzeit geht man so um.

(Beitrag von 2015)

Kind hält sich Teller vor das Gesicht, um ihn abzulecken.

Wenigstens schmeckt’s: Essen mit Kindern

 

Kinder tarnen sich nur als unfertige Erwachsene – in Wahrheit kommen sie von einem anderen Stern: Ihre Körper funktionieren nicht normal, deshalb können und mögen sie die natürlichsten Dinge nicht, schlafen, zum Beispiel. Oder auf den Topf gehen und sich erleichtern.

Lieber ärgern sie die Mutter. Dann halten sie bösartig ein, wie Psychoanalytiker genau wissen. Vor allem aber befriedigen sie einen der elementarsten Triebe des Menschen nicht: Sie wollen nicht essen.

Natürlich stimmt das alles nicht. Davon bin ich zutiefst überzeugt, nicht nur aus eigener Erfahrung. Es ist sogar genau umgekehrt: Ein normales, gesundes Kind ist müde, schläft und geht gerne aufs Töpfchen, weil letzteres überaus interessant ist.  Außerdem isst es gerne, weil es Hunger hat, denn sein Körper wächst rasant.

Nur wenn Mutter, Vater und sonstige Erziehungsberechtigte es dabei stören, etwa mit Beschimpfungen, Strafen und schlechtem, lieblos serviertem Essen, klappt es nicht mit den natürlichen Trieben. Oder das Kind ist krank.

 

Eindrucksvoller Unterschied zwischen Mensch und Tier

Wie sollte es anders sein? Warum sollten Kinder die Bedürfnisse ihres Körpers nicht erfüllen wollen? Warum sollte ausgerechnet der Nachwuchs allesfressender Großaffen mit Attrappen und Ritualen zum Essen getrickst werden?

Wo doch in der gesamten Tierwelt die Eltern von dem Moment an, in dem die Jungen auf der Welt sind, kaum damit hinterher kommen, den Kalorienbedarf der gefräßigen Brut zu befriedigen?

Aber natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Das bezeugen Regale voller künstlicher Kinderprodukte im Supermarkt unwiderlegbar: Wurst mit Gesicht, Käse mit bunten Flecken, Fruchtzwerge. Ebenso eindrucksvoll ist das Heer von Vorschlägen, wie man Kindern Gemüse, Fisch, Fleisch, Salat, Obst, Rohkost oder Käse unterjubelt. Also alles außer Pizza, Pommes und Nudeln mit Soße, den erklärten Lieblingsgerichten vieler Kinder.

Diese Tipps reichen von albern über ekelhaft bis ungehörig: Geben Sie Gemüse lustige Namen, lassen Sie die Kinder mit dem Essen spielen, ruhig auch mal werfen (!), empfiehlt zum Beispiel DER SPIEGEL.

 

Ist das wirklich normal?

Wie es dann beim Essen zugeht in der modernen Durchschnitts-Familie, beschreibt Katja Schnitzler in der Süddeutschen Zeitung. Da hat sie eine Kolumne „Der ganz normale Wahnsinn – Leben mit Kindern“, und sie klagt: „Essen mit Kindern könnte so schön sein!“.

Wenn es nicht so traurig wäre, würde man darüber lachen und rufen: „Hey, erzähl doch mehr von zuhause!“. Aber leider ist die Szene ein Lehrstück für den entwertenden Umgang mit Kindern – und mit Essen.

Ein Fall für die Super-Nanny: Die Tochter im Schulkindalter möchte Nudeln ohne Soße. Weil sie aber Nudeln mit Soße bekommt, fängt sie an, mit den Fingern die Soße von den Nudeln abzustreifen, der kleine Bruder springt vom Stuhl auf, um der Schwester zuzusehen, der Vater herrscht beide Kinder an, vor Schreck verschluckt sich die Tochter, beim Krampfhusten stößt sie ein Glas Wasser um, der Sohn kippt vom Stuhl, sein Nudelteller zerschellt, die Eltern müssen die Scherben aufkehren und die Mutter ist am Ende so entnervt, dass sie den Kindern den Nachtisch wegreißt und einen sehr unappetitlichen hysterischen Anfall bekommt.

Das mal als Abriss. Ich verstehe die Eskalation in keinem einzigen Schritt. Der Kern ist: Die Tochter will ihre Nudeln ohne Soße – normal. Warum klatscht die Mutter ihr trotzdem Soße drauf? Und warum zwingt sie das Kind, diese Nudeln mit Soße zu essen, warum macht sie nicht einfach einen neuen Teller? Wieso weiß eine Mutter nicht, was ihre Tochter mag?

Und wenn sie es schon nicht weiß – was ist schwer daran, vor dem Servieren zu fragen: „Wie möchtest Du Deine Nudeln, Schatz?“ Vor allem: Warum darf sich ein Schulkind, das mindestens 7 Jahre alt ist, nicht selbst am Tisch bedienen?

 

Eltern am Rande der Ess-Störung

In dieser Familie hätte ich auch nichts gegessen.

Wobei der Fisch natürlich vom Kopf her stinkt, denn die Eltern haben selbst eigenartige Essgewohnheiten. Das beschreibt die Autorin am Anfang ganz offen: Die Mutter macht bei der Arbeit keine Mittagspause, sondern verdrückt schnell ein Brot am Schreibtisch. Der Vater haut sich in der Kantine ohne Besinnung etwas rein und schmeckt nichts davon.

Beide Eltern halten das für den ganz normalen Alltag: nichts oder achtlos essen, sich nicht entspannen, nichts schmecken. Aber wenn die Eltern keinen Wert aufs Essen und auf sich selbst legen, was erwarten sie dann von ihren Kindern?

Kein Wunder also, dass es in dieser modernen Musterfamilie normal ist, einem Kind, das sich verschluckt hat, vorzuwerfen, man müsse jetzt seine „Sauerei“ wegwischen. Oder den Kindern das Essen wegzureißen, wenn sie sich – altersgemäß – um Süßigkeiten zanken. Da fegt die Mutter das ganze Dessert vom Tisch.

Bei uns in der Familie gab es einmal sonntags Eistorte zum Nachtisch. Als die geteilt werden sollte, herrschten verschärfte Bedingungen – meine Schwester und mein Bruder verdächtigten sich gegenseitig der Gier und des Betrugs. Ich bin die Mittlere und galt als etwas neutraler, deshalb haben die beiden mich damit beauftragt, zu teilen. Ich zog mit dem Messer Linien ins Eis – sofort haben die anderen mit dem Lineal nachgemessen, ob die Stücke gleich groß sind. Sie waren es nicht, ich musste nachjustieren.

Übrigens haben wir das unter uns in der Küche erledigt. Meine Eltern saßen derweil am Esstisch, tranken noch ein Glas Wein und amüsierten sich darüber, mit welcher Ernsthaftigkeit wir verhandeln. Als wir mit den geometrisch abgemessenen Stücken auf den Tellern wieder rauskamen, war alles geregelt.

 

Einblick in die Esskultur: amerikanische Verhältnisse

Aber zurück zur modernen Musterfamilie, in der die Mutter den Kindern das Dessert wegreißt. Nicht, dass der Nachtisch an sich das wert gewesen wäre – denn es gibt eine Handvoll Gummibärchen.

Wie bitte, Gummibärchen? Dieser künstlich gefärbte und aromatisierte, durch Düsen gedrückte Industrieschaumstoff?

Ich meine, jetzt mal ehrlich, es ist schon okay, dass Kinder ab und zu Gummibärchen essen. Aber so etwas hat doch bei einem Familienessen nichts zu suchen? Wie sollen Kinder lernen, echte, gute Speisen von Industrieimitaten zu unterscheiden, wenn die Eltern nicht imstande sind, zum Nachtisch einen Quark anzurühren? Wie sollen Kinder Geschmack entwickeln und Freude am Essen haben, wenn die Familie solches Zeug aus der Tüte frisst und die Mutter es sich händevollweise in den Mund stopft, wie im Beitrag der SZ?

Da sollte vielleicht doch mal das Jugendamt vorbeischauen. Wobei – natürlich ist ein einziges Abendessen nur eine Momentaufnahme. Sicher machen Mutter oder Vater sonst immer köstliche Nachspeisen aus guten Grundstoffen: Milch, Sahne, Eier, Vanille, Schokolade, reifen Früchten.

Leider sprechen die „Nachtischvorräte“ dagegen, die die Familie offensichtlich für den ständigen Gebrauch gleich kistenweise lagert. Gezuckerter Bauschaum ist also fester Bestandteil der Esskultur in der modernen Familie.

Amerikanische Verhältnisse. Die Folgen sind bekannt.

 

Vom Umgang mit den wichtigsten Dingen

Wer also wissen möchte, wie man es nicht macht, sollte sich jetzt aufmerksam den lustigen Artikel in der SZ-Erziehungskolumne durchlesen. Ich empfehle ihn allen Eltern mit Kindern zur Abschreckung: Das ist weder normal noch natürlich.

Und wenn so etwas trotzdem mal vorkommt, sollte man nicht um Verständnis heischen und das eigene Niveau runterschrauben. Sondern lieber massiv gegensteuern, und zwar bei sich selbst und dem eigenen Verhalten: Weder mit Kindern noch mit Essen noch mit der kostbaren Familienzeit noch mit dem eigenen Körper geht man so um.

 

Erziehungskolumne in der SZ:  „Der ganz normale Wahnsinn“ über Essen mit Kindern 

 

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4 Kommentare

  1. Grit Gonté

    Hmmmm, also Essen mit Kindern kann schon eine Herausforderung sein…und da kann man Kindern noch so sehr vorleben, wie man ausgewogen und gesund isst, keine Fertigkost, viel Gemüse, die lieben Kleinen stehen trotzdem auf Gummibärchen, Wienerwürstchen und Co.
    Die Mutter, die ihrem Kind trotz Protests Sosse auf die Nudeln klatscht, bin ich auch manchmal, wenn ich einfach die Nase voll davon habe, dass Kind Nr. 1 nur Nudeln, Reis und Couscous ohne alles isst. Völlig kontraproduktiv, ist mir schon klar. Wenn das Essen zum Machtkampf wird, hat man als Eltern verloren. Nur gerät man da leichter hin als man denkt.

  2. Ingrid Lommer

    Okay – die SZ-Kolumne ist jetzt nicht gerade ein Musterbeispiel für gelungene Satire, das hätte man sicher besser machen können. Trotzdem darf man auch in der Rezension die Kirche im Dorf lassen: Der SZ-Text ist ironisch gemeint (wenn auch nicht gemacht) und keine bierernste Zustandsbeschreibung. Und deshalb sollte man ihn auch nicht bierernst nehmen. Und wer gleich das Jugendamt informieren will, weil Kinder zum Nachtisch Gummibärchen serviert bekommen, sollte vielleicht erstmal den eigenen Blutdruck kontrollieren – oder mit Yoga-Übungen anfangen. Sorry, Deine bisherigen Beiträge fand ich klasse, aber hier hast Du Dich ein bißchen vergallopiert, finde ich.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Johanna Bayer

      Och – da gibt es jetzt zwei Möglichkeiten. Erstens: Der SZ-Artikel war ironisch und Satire? Na, dann ist alles, was ich geschrieben habe, von Jugendamt bis Bauschaum, natürlich auch ironisch und Satire.
      Zweite Möglichkeit: Die SZ will beschreiben wie es ist und häufig auftretende Problemlagen benennen, die alle kennen, ganz ernsthaft? Die Autorin schreibt aus eigener Erfahrung und verbrämt es nur ein bisschen auf lustige Weise? Sehr gut, ich bin ohnehin für das Seriöse. Dann habe ich beschrieben, dass das keine Probleme sein müssen, dass es auch anders geht und dass man mit Essen und mit Kindern auf keinen Fall so umgehen sollte.

  3. Richard

    herrlich, dieser Blick auf den täglichen, normalen Wahnsinn. Ich genieße Deine Blogbeiträge und kann sie nur wärmstens weiterempfehlen (echt, keine ultimative Lobhudelei