Fettaktivistin Melodie Michelberger kritisiert die neue BRIGITTE-Diät scharf und wirft der Redaktion vor, Frauen zum Hungern zu bringen. Doch fragt sich, wer hier eigentlich das falsche Körperbild propagiert.
Neues Jahr, gute Vorsätze, Abnehmen, das Übliche. Natürlich ist auch die BRIGITTE dabei, wie immer seit 1969. Da brachte das Blatt die erste BRIGITTE-Diät, mit Fachleuten entwickelt. Jedes Jahr passt die Redaktion ihre Ratschläge an neue Erkenntnisse an, zum Zuge kamen unter anderem Low Carb, Intervallfasten, die Körperuhr und mehr.
2022 nun geht es um „Balance“, den Ausgleich zwischen Ernährung, Stress und Bewegung im Alltag, alles steht unter dem Motto: „Weniger ist mehr“.
Nett, mehrdeutig, so soll ein Titel sein. Die Redaktion druckte ihn groß auf das Diät-Sonderheft der Druckausgabe.
Prompt trat daraufhin eine Fettaktivistin auf den Plan.
Bitte, das ist kein Witz, auch keine der üblichen Sottisen von Quarkundso.de. Nein, es gibt wirklich Fettaktivistinnen, sie nennen sich selbst so, in ihrem Kampf gegen Schönheitsideale, Diskriminierung und Krankheitszuschreibungen bei Dicken.
Fettaktivistin Michelberger: Nicht weniger, sondern mehr
Eine solche Fettaktivistin, Melodie Michelberger, nahm sich die neueste BRIGITTE-Diät vor und schrieb auf Instagram einen flammenden Kommentar zu dem Leitsatz „Weniger ist mehr“:
„Warum signalisiert ihr Frauen IMMER NOCH, dass sie WENIGER sein sollen? Warum wird weniger Gewicht angepriesen, als wäre es die neue It-Bag?“.
Dabei habe sich diese Zeitschrift doch auf die Fahnen geschrieben, Frauen zu ermutigen und zu empowern – nun müssten Frauen aber „immerzu hungern“. Das befeuere das Narrativ, dass nur Schlankheit schön sei. Die BRIGITTE habe damit wieder die Chance verpasst, Frauen zu signalisieren, dass ihnen von allem mehr zustehe. Und nicht weniger.
Der Kommentar erhielt Tausende von Likes innerhalb weniger Stunden und die TAZ hob die Sache ins Blatt. Michelberger, berichtet die Autorin der TAZ, wehre sich gegen den „Diät-Wahn“ in der Gesellschaft und kämpfe für „die Akzeptanz verschiedener Körperformen“, kleine Werbeeinheit für das Buch der Fettaktivistin eingeschlossen.
Recht auf Stänkern
Ja, gut. Eine Aktivistin hat natürlich ein Recht darauf, zu stänkern. Das gehört zum Berufsbild. Es fragt sich nur, wer hier ein überzogenes Körperbild propagiert.
Denn der BRIGITTE kann man nicht viel vorwerfen, was das Fachliche angeht – und zum Hungern ruft sie gerade nicht auf, Quarkundso.de berichtete bereits über die Sympathien der Redaktion für dicke Models.
Die BRIGITTE-Diäten sind jedenfalls wissenschaftlich fundiert, von Anfang an lässt sich die Redaktion von Fachleuten beraten, es gibt saisonale, alltagstaugliche Rezepte, neue Erkenntnisse werden diskutiert und integriert. Das bescheinigt sogar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung DGE der BRIGITTE.
Schlanksein als Selbstzweck oder Schönheitsideal ist also nicht das Ziel der BRIGITTE-Diäten, es geht eher um Gesundheit, ums Wohlfühlen, um Normalgewicht – und die Sache ist freiwillig.
Denn ob die Zielgruppe damit abnimmt oder nicht, dafür ist die Redaktion nicht verantwortlich. Verantwortlich ist sie nur dafür, dass ihre Ratschläge seriös sind, und das sind sie.
Gesund ist das neue schlank
Sicherheitshalber wurde das Investigativ-Ressort von Quarkundso.de aktiv und fragte bei der BRIGITTE nach. Was zum Beispiel sei denn mit diesem Titel gemeint, „Weniger ist mehr“ – sollen Frauen weniger essen?
Nein, so die Antwort aus Hamburg. Es gehe nur um Rezepte mit wenigen Zutaten, also darum, es sich im Alltag mit dem Essen und Kochen leicht zu machen. Weniger Zutaten, weniger Stress. „Keep it simple!“ – halte es einfach, das sei das eigentliche Thema der neuen Rezepte, mit denen nebenbei noch ein paar Kalorien eingespart werden, für die, die das wollen.
Dazu führt eine Autorin ein ausführliches Interview mit einem prominenten Ernährungsmediziner, die Betonung liegt auf „Gesundheit“, der sogenannte Schlankheitswahn wird ausdrücklich kritisch hinterfragt: „Warum lassen wir das mit dem Abnehmen dann nicht einfach sein?“.
Der Arzt erklärt es: Weil Übergewicht nicht gesund ist, weil jedes Kilo zu viel dem Körper schadet. Um Hungern und Magerideale geht es dabei ausdrücklich nicht, es geht um Gesundheit und Wohlbefinden im Alltag.
„Nicht ein bisschen dick, sondern richtig dick“
Die schweren Geschütze, die die Fettaktivistin auffährt, zielen daher einerseits daneben: Michelberger hängt sich am Cover der Diät-Beilage und am Titel auf, den sie auslegt als Aufforderung zum Hungern. Das ist er nicht, die Aktivistin prügelt auf das Schillern des Titels zwischen mehreren Bedeutungen ein, verfehlt den Punkt und tut der BRIGITTE unrecht.
Andererseits zielt Michelberger aber auf den Kern der Sache – auf das Abnehmen überhaupt. Und auf das Prinzip Normalgewicht.
Das gibt es nach Vorstellung von Fett- und Körper-Aktivistinnen nicht oder soll es nicht geben: Jede Körperform sei als schön darzustellen, Dicke zum Abnehmen zu ermuntern sei diskriminierend, so das Programm.
Melodie Michelberger lebt das. Sie sei eben nicht nur dick, sondern „richtig dick“ (Michelberger über sich selbst im Schweizer Tagblatt.de). Sie hat vermutlich um die 40 Kilo Übergewicht und einen BMI über 35, das ergibt eine kurze Blickdiagnose von Quarkundso.de.
Damit wäre sie schwer fettleibig und weit entfernt von einem gesunden Körpergewicht. Ob sie dieses jemals hatte, ist die Frage. Denn in ihrer Jugend wog sie zeitweise nur 45 Kilo und litt nach eigenen Angaben an einer Ess-Störung. Dass sie jetzt ins andere Extrem umgeschlagen und dick ist, betrachtet sie scheinbar nicht mehr als Störung. Sondern als Befreiung vom Schlankheitsdruck, wofür sie sich Anerkennung wünscht,
Die will man Michelberger und anderen Fettaktivistinnen natürlich nicht verwehren. Und diskriminieren darf man Dicke so wenig wie alle anderen Menschen.
Doch mit der Vorstellung, dass schwere Fettleibigkeit eine natürliche Körperform unter anderen darstellt, liegen die Aktivistinnen so falsch wie Corona-Leugner mit ihren Verschwörungsmythen zu Mikrochips in Impfstoffen.
Dicke Mythen
Wie die Impfgegner ignorieren auch Fettaktivistinnen die reale Gefahr: schwere Gesundheitsschäden, sie ignorieren wissenschaftlichen Daten und Studien dazu oder leugnen den Stand der Forschung sogar offensiv.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat das schwere Übergewicht schon im Jahr 2000 als chronische Krankheit eingestuft, der Deutsche Bundestag zog im Juli 2020 nach.
Seitdem gilt das starke Übergewicht über BMI 30, die Adipositas, als Krankheit: Betroffene haben ein Recht auf Therapie, die Kassen müssen zahlen.
Gleichzeitig steigt der Frust von Politikern und Gesundheitshütern, denn die Deutschen sind so dick wie nie.
Die Welle des Übergewichts ist ungebrochen, fast jede zweite Schwangere ist zu dick. Das wirkt sich auf den Stoffwechsel und die Krankheitsrisiken der Neugeborenen aus, wie DGE-Präsident Helmut Heseker 2020 feststellte:
„Adipositas in der Schwangerschaft ist für die werdende Mutter unter anderem mit einem erhöhten Risiko für Gestationsdiabetes, Hypertonie und Präeklampsie verbunden und mit einem erhöhten Geburtsgewicht sowie einem späteren Übergewichtsrisiko des Kindes assoziiert. Eine zu hohe Gewichtszunahme in der Schwangerschaft erhöht auch das Risiko des Kindes für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck und das Metabolische Syndrom.“
Einfach normal
Normalgewicht zu halten und anstreben, ist dagegen kein willkürliches Schönheitsideal: Es ist vernünftig, ebenso wie das Impfen in Zeiten der Pandemie.
Es ist auch vernünftig, dazu aufzurufen, Übergewicht loszuwerden. Es hilft den Einzelnen, ihren Kindern, der Gesellschaft. Das impliziert aber weder Magerwahn noch ein Schlankheits- und Schönheitsideal.
Ein angeblich „normschlankes Ideal“, wie die Fettaktvistinnen es bekämpfen wollen, existiert nämlich nicht wirklich.
Unter Medizinern gibt es einen großen Spielraum für das Normalgewicht: Niemand wird in eine bestimmte Form gezwungen, oder gar zum Hungern. Eine Frau von 1,70 Größe kann laut BMI-Tabelle zum Beispiel zwischen 55 und 72 Kilo wiegen, eine Differenz von fast 20 Kilo. Ein Mann von 1,80 kann ein Lauch von 60 Kilo oder ein Sportler von über 80 Kilo sein.
Das lässt weiß Gott Raum für verschiedene Körperformen zu, von extrem schlank bis stattlich oder wie immer man das nennen will.
Übergewicht aber ist keine Körperform. Es ist ungesund, in schweren, chronischen Fällen eine behandlungsbedürfte Krankheit und man sollte es,, wo immer es geht, vermeiden.
©Johanna Bayer
Melodie Michelberger in der TAZ
Die DGE über die BRIGITTE-Diät
DGE-Präsident Heseker zu Übergewicht bei Schwangeren 2020
BMI-Rechner der Apotheken-Umschau