Das Essen der Anderen, Gefundenes Fressen

STERN: Im Ressort Genuss weiß man es gerne besser – klappt aber nicht.

Beim STERN belehrt man tumbe Deutsche, die international tun, aber die Namen ausländischer Gerichte falsch aussprechen, wie bei „Zutschini“ oder „Latte mattschiato“. Dabei patzt die Redaktion selbst ganz dick – der Spott von Quarkundso.de ist daher verdient.

(Beitrag von Mai 2015, Update: Der Stern hat reagiert, siehe unten)

Haha, der Stern. Da haben sie im Genuss-Ressort mal sehr lieb, nur ganz wenig hämisch, durchaus nachsichtig und humorvoll darüber aufgeklärt, wie ausländische Speisen wirklich heißen.

Denn der ungeschlachte Teutone, so die Genuss-Fachautorin Sonja Helms, müht sich vergebens, mit seiner schweren Zunge der fremden Laute Herr zu werden: Wo Italiener und Franzosen elegant die Schultern zucken, drauflos reden und einfach essen, will der Teutone es ganz, ganz genau machen, und besser als andere.

So auch Frau Helms.

Gutmütig und gönnerhaft macht sie sich an die Arbeit und erklärt, wann und wie im Italienischen der Laut „k“ geschrieben wird, nämlich – unter anderem – mit „ch“.

Dann beschreibt sie noch tückische Stellungsprobleme vor Vokalen, und zwar vor hellen und dunklen. Und gibt am Ende der Wirren die erlösende Auskunft, dass es eben „Latte makkiato“ heißt und nicht etwa „mattschiato“ oder „matschato“; und schon gar nicht „Sutschini“, „Knocki“ oder „Tackliatelle“.

 

Wer ist da eigentlich vom Fach?

Jaja, schon gut. Mal davon abgesehen, dass es albern ist, Regeln aus dem Volkshochkurs herzubeten, wenn man beschreiben möchte, wie etwas klingt, ist Frau Helms irgendwie nicht so richtig vom Fach. Und in ihrer ganzen Redaktion wohl auch keiner (Redaktion! Bitte kommen!).

Denn einer der G&J-Journalisten hätte doch mal im Aussprachewörterbuch oder im Duden nachschauen können – nein, müssen. Und auch verstehen sollen, was da steht.

Wobei – Fakten sind ja bekanntlich Müll, gerade heute, im Zeitalter des Storytellings.

So verhaut sich Frau Helms selbst ganz nett, wenn sie die Aussprache von Gelatine verschlimmbessert – „Dschelatine“ -, oder die der Worcestersauce wiedergeben will – mit „Wuustersoße“.

Was sie da schreibt, ist falsch, und schließlich gilt: „Immer, wenn man etwas besonders richtig machen will“, läuft man Gefahr, dass „es besonders falsch wird“, wie es im Vorspann heißt.

Das ist an sich nicht schlimm, sehr verbreitet und daher völlig normal, also wurscht.

Es kann, schreibt die Autorin, sogar „sehr lustig“ werden. Finde ich natürlich auch. Nur – wenn man so von oben runterspuckt wie die Frau Helms und die STERN-Redaktion, hat man ein wenig Spott verdient. Vor allem, wenn es ums Essen geht, aber auch um die Sprache.

Und ich gebe zu, dass ich bei beidem zwar tolerant tue, es aber überhaupt nicht bin. Da stehe ich ganz auf der Seite von Frau Helms.

 

Das müssen sie abkönnen

Auf keinen Fall will ich aber so hämisch oder gemein sein. Ich bin nur ein Opfer, weil, weil… das Konzept dieses Blogs es eben so vorschreibt. Konzept ist alles. Auch das gehört heute zum Storytelling.

Also nix für ungut, liebe Kolleginnen und Kollegen, das hier geschieht quasi gegen meinen Willen. Es schreibt aus mir raus. Diese Hamburger Steilvorlage ist einfach zu gut, mit ihrer herablassenden Attitüde. Daher haben die vom STERN sich alles selbst zuzuschreiben. Und damit die Lektion richtig wirkt, mache ich es ganz genau wie die Kollegin.

 

Falsch: die „Dschelatine“ von Frau Helms. Es heißt „Schelatine“ mit einem weichen, stimmhaften „sch“. Das ist ein Laut, den es im Deutschen eigentlich nicht gibt, aber im Französischen. Daher ist das Wort auch mal eingewandert.

Weil der weiche Zischlaut hierzulange aber nicht heimisch ist, fällt es vielen schwer, ihn zu erkennen und routinemäßig zu produzieren. Leichter geht das etwa in Wörtern wie „Dschungel“ oder „Dschunke“. Sie sind exotischer Herkunft, aber für Teutonen besser auszusprechen, weil das d davor steht.

Nun fühlt sich der Deutsche heute dem Englischen näher als dem Französischen. Das war früher mal anders, inzwischen sagen aber etwa 70 Prozent der Menschen, die so normal reden wie Frau Helms und ihre Redaktion, „Dschornalisten“ und „Dschüri“ zu Journalisten und Preisrichtern. Leider falsch, wenn man es ganz, ganz genau nimmt. Was Frau Helms ja tut. Aber dazu hätte sie im Duden nachschauen müssen. Man nennt das unter Dschornalisten „Recherche“, kommt übrigens auch aus dem Französischen.

 

Falsch: die „Wuustersoße“ von Frau Helms. Denn es heißt im Englischen so ähnlich wie „Wusstersoße“. Es ist also ein kurzes, offenes u. Kein langes u wie im deutschen „Wust“.

Das lernt man, wenn man im Duden oder im Ausspracheduden nachgelesen und diese Lautschriftzeichen irgendwann mal durchgenommen hat, etwa auf der Journalistenschule, die nach Henri Nannen benannt ist.

Oder schon im Englisch-Unterricht in der Schule. Wahlweise natürlich auch, wenn man das Wort schon mal gehört hat, von einem versprengten Engländer auf dem Oktoberfest, oder im Kino. Wer nichts gehört hat und nicht nachschlägt, könnte die Soße auch im Internet bei Google eingeben, also googeln. Das gilt heutzutage selbst unter Profi-Journalisten schon als Recherche – sprich: „guugeln“, einem langen, geschlossenen u.

Man kann sich im Netz dann die Aussprache von „Worcestersauce“ im Original, von Briten gesprochen, anhören. Das ist das Beste, schließlich kommt Sprechen vom Hören, so wie gutes Essen vom Schmecken kommt, und Besserwissen von Wissen. Aber was jeweils hinten steht in den letzten drei Gegenüberstellungen, ist immer sehr schwierig.

 

Exotisches Essen leicht gemacht

Das wäre es mal fürs erste. Mehr auf Anfrage. Das Thema an sich ist uferlos, besonders in seinen kulinarischen Implikationen. Und um diese geht es letztlich immer bei Quarkundso. Man kann die Sprachschwierigkeiten nämlich übertragen auf das, was Deutsche wie Frau Helms zum Beispiel für italienisches oder „asiatisches“ Essen halten.

Das fällt ähnlich aus wie ihre Versuche, es ganz, ganz genau und total authentisch zu machen:

– Dose Mandarinen ins Geschnetzelte gekippt – Hähnchen-Pfanne indisch. Von wegen.

– Karottenbrei mit Kokosmilch versetzt – Thailändisches Karotten-Kokos-Süppchen. In Südostasien würde man diese Tinktur wohl eher als Gesichtsmaske auftragen.

– Klebrig-süße Marmelade über den Teller gespritzt (als ob ein besoffenes Huhn mit Dünnpfiff darüber getorkelt wäre, wie es bei Wolfram Siebeck mal hieß) – echt italienische Bruschetta mit Tomaten und Balsamico-Creme. Clevere Marketingfuzzis haben die Tuben mit einer  angeblich original italienischen Universalzutat namens Balsamicocreme für den deutschen Markt designt. Denn ihnen ist aufgefallen, dass die Deutschen Süßes am Salat lieben – ganz anders als die Italiener. Die verabscheuen derlei, völlig zu Recht. Aber sie sind schon ziemlich schlau, und verraten sich nichtmal mit einem Wimpernzucken, wenn sie in ihren Pizzerien in ganz Deutschland verführerisch mit der großen Pfeffermühle den Zampano machen und die süße Creme auf jeden Teller geben: Das wird man in Italien nie sehen.

 

Bitte nach deutschem Geschmack

Die Beispiele sind Legion, es reihen sich Kreationen wie die Vapiano-Pizza mit Birne und Camembert ein, die Spadschetti Carbonara mit Sahne (eine kleine Hommage an Frau Helms), oder das Couscous mit Granatapfelkernen bei meinem Lieblings-Araber.

Letztere Kreation habe ich nach dem ersten Reinfall empört verweigert und ein ordentliches Couscous ohne Süßkram verlangt. Nach einem Kreuzverhör hat mir der Araber dann beschämt gestanden, dass das mit den Granatapfelkernen natürlich kein arabisches Rezept ist.

Sondern der Wunsch seiner deutschen Kundschaft.

Die findet es toll, wenn Obst im Essen ist, und zwar in jedem Gericht, ob pikant, herzhaft, sauer oder herb, ob Vorspeise oder Hauptgang, beim Dessert sowieso.

Erst recht beim Araber, da müssen es dann Granatapfelkerne sein: Echt orientalisch, wie in 1001 Nacht. Seitdem streut der Wirt die roten Perlen überall rein, die Kundschaft ist zufrieden und er macht ein gutes Geschäft.

Das gönne ich ihm. Aber ich zwinge ihn jedes Mal, mir eine Extra-Schüssel zu machen, ohne Obst im Salat.

Ja, der Deutsche. Wenn schon, dann richtig. Sprachlich wie kulinarisch. Das ist der Beginn einer langen Serie.

 

Schale aus Glas, nah, mit roten Granatapfelkernen, Löffel

In Amers Frischsaftbar stehen die Granatapfelkerne schon bereit. Denn der Kunde ist König.

 

©Johanna Bayer

Beckmessern im STERN am 12. Mai 2015 – Update: Der STERN hat die Fehler tatsächlich nachträglich korrigiert, und zwar ohne Kommentar oder Hinweis auf Quarkundso.de. Zwecks Dokumentation hier der Screenshot der Originalpassagen mit den Ausspracheregeln von Frau Helms.

Hier der neu eingestellte Artikel bei STERN online

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  1. Dagmar

    Ich mag Deinen Blog – und trotzdem Obst im Essen 🙂
    Was wäre Heringssalat ohne Äpfelchen?! Aber Mandarinen aus der Dose sind wirklich bäh.

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Johanna Bayer

      Freut mich, dass Du meinen Blog gut findest, liebe Dagmar! Und natürlich kann man Obst im Essen mögen, dagegen habe ich nichts – also nichts gegen die Menschen. Gegen das Obst schon… 😉 aber das gilt ausschließlich für mich persönlich. Was mich stört ist nur das: Wenn man Obst ins Essen tut, kann man nicht behaupten, dass das dann die echte, traditionelle italienische/spanische/portugiesische/arabische/indische Küche sei. Es ist nur das, was ich kritisiere. Ansonsten kann jeder ins Essen schnetzeln, was er will. Da bin ich ganz undogmatisch (sag ich jetzt mal… ;-). LG!

  2. Mit herrlich spitzer Feder geschrieben – wunderbar!

    Übrigens hatte ich immer viel Spaß, wenn die Gäste der Cafeteria, in der ich als Studentin gejobbt habe, ein Pizza-Bagü und eine Miranda bestellt haben. Und zum Nachtisch ein Pastizieneis 😉

  3. Ich liiiiebe Deinen Blog. Und Besserwisser, die es wirklich besser wissen. 🙂

  4. Bravo! Weiter so! Und nur ganz am Rande werde ich gestehen, dass ich noch immer „Schelandinn“ sage, schon meine Oma hat das so ausgesprochen, sozusagen Familientradition. Liebe Grüße

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Johanna Bayer

      Danke, liebe Nadja! Das mit der „Schelandinn“ ist völlig in Ordnung, so lange keiner von euch „Dschelandinn“ sagt… 😉 Nein, im Ernst, es kommt nur auf den Anspruch an. Wer Profi ist und sich öffentlich äußert, muss sich halt messen lassen, das ist alles. Sonst ist sprachlich – und kulinarisch – unter Gottes Himmel viel Platz. Mein Beitrag ist nur eine kleine Retourkutsche, sonst nix. Meine Oma sagte immer „Neckartine“ statt „Nektarine“, weil dieses neumodische Obst ihr irgendwie nicht einleuchtete und sie etwas Verwandtes suchte, nach dem es klingen könnte. Da wurde es der Neckar. Mein fränkischer Vater spricht „Ungarn“ wie „Hungern“ aus, und meine englischsprachige Mutter kann nach 60 Jahren Deutschland immer noch das Wort „Salz“ nicht richtig aussprechen, sie sagt immer „Sssals“ vorne mit scharfem s und hinten mit weichem, stimmhaften s. Weil das im Englischen so ausgesprochen würde, wenn. Das ist sehr lustig. Und wer bin ich, da zu beckmessern? Was an dem Stern-Artikel wirklich ärgerlich ist und worauf ich nicht im Einzelnen eingehen konnte, sind die falschen Erklärungen zu den falschen Erklärungen. Dazu könnte ich jetzt noch mehrere Meter schreiben, weil, das hab ich gelernt…. aber das sprengt jetzt echt den Rahmen.

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