Gefundenes Fressen

STERN.de: „Schlanker Bauch“, gute Vorsätze und eine Story ohne Ende

Bauchfett stört und ist gefährlich

Im STERN erscheint pünktlich zum neuen Jahr eine Abnehm-Story. Mal wieder. Es geht ums Bauchfett. Mal wieder. Viel Neues gibt es nicht, obwohl die Autorin das Thema als ihre persönliche Mission betrachtet und immer wieder neue Tricks ausprobiert. Aber Erfolg hat auch sie nicht.

Wir müssen über gute Vorsätze reden. Also darüber, dass Leute sich zum neuen Jahr vornehmen, endlich Sport zu treiben, abzunehmen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und überhaupt alles zu ändern.

Zu den richtigen Vorsätze und den richtigen Strategien – also gegen den inneren Schweinehund, schlechte Gewohnheiten, Stress – gibt es Unmengen gefühliger Texte samt Selbsttest, Kalender und Adressen von Selbsthilfegruppen.

Ende 2024 hat sich allerdings herausgestellt, dass gar nicht alle diese guten Vorsätze fassen, nicht einmal die Mehrheit.

Das ergab eine Umfrage des NDR, bei der immerhin fast 16.000 Norddeutsche mitgemacht haben: Nur knapp mehr als ein Viertel, 28 Prozent, nimmt sich bei Böllerkrach zum neuen Jahr wirklich etwas vor.

Gut, es war nur eine offene Online-Umfrage, keine repräsentative Erhebung mit ausgewählten Teilnehmern. Aber aufschlussreich ist das Ergebnis bei dieser Masse an Stimmen trotzdem: Die Deutschen wollen sich gar nicht verändern.

Warum auch – wenn es eh nicht klappt: Kaum jemand schafft es, gute Vorsätze einzuhalten.

Es funktioniert eh nicht

Von den NDR-Teilnehmern, die welche hatten, waren in der Umfrage nur 21 Prozent sicher, dass sie ihre Pläne verwirklichen können. Und die 2023 gefassten Entschlüsse dieser kleinen Gruppe von Willigen wurden 2024 nur knapp zur Hälfte erfüllt.

Aber man muss Menschen wenigstens Hoffnung machen, und so hat unter vielen anderen auch der STERN im Januar eine Story zum Abnehmen gebracht. Schon wieder.

Das steht hier bewusst, denn sowohl das Anliegen – Abnehmtipps nach Neujahr – als auch das Thema des Jahres 2025, Bauchfett, wiederholen sich auf ermüdende Weise.

Und leider alles ohne Erfolg – von „Leichter schlank“ (2016) und diversen weiteren Titeln über die richtige, endlich wirksame Methode hat bisher nichts funktioniert: Die Deutschen werden immer dicker.

Diäten könnten zwar funktionieren, theoretisch, und unter Laborbedingungen oder strenger Aufsicht. Aber im echten Leben hält niemand sie durch, selbst wenn man sich das zum neuen Jahr auferlegt hat.

Und so ist ab dem 50. Lebensjahr Übergewicht inzwischen erschreckend normal.

Content ist King – und jetzt so billig

DER STERN aber gibt nicht auf. Das ist an sich löblich.

Jetzt, unter dem Dach von RTL, geht auch alles leichter, denn es gibt so viele Texte und Bilder, die sich schnell produzieren, vielmehr: reproduzieren lassen.

Zum Beispiel für eine Story zum schlanken Bauch. Seit Jahren kursiert das Thema in der STERN-Gruppe.

Die Beiträge stammen überwiegend von einer bestimmten Autorin, Alexandra Kraft. Sie hat das böse Bauchfett zu ihrer Mission gemacht und 2021 hat sie darüber ein Buch geschrieben, einen populären Ratgeber.

2022 kam ein großer Report von ihr im Stern-Blatt „Hirschhausens gesund leben“, Titel: Schlanker Bauch, gesunder Bauch“.

Und im ersten Heft von 2025 steht sie wieder im STERN mit „Schlanker Bauch“.

Wer sich veräppelt fühlt, ist zu empfindlich. Denn neben dem Recyceln von Texten ist auch die Aufmerksamkeitsspanne der Leser inzwischen gering. Medienverwirrung, Informationsflut, wer weiß schon, was 2021 oder 2022 dazu schon irgendwo stand?

Da macht es nichts, wenn man die Basics wiederholt und den Artikel nur mit ein paar neuen Experten aufhübscht.

Todsichere Tipps und die richtige Antwort

Die vollmundigen Versprechen bleiben gleich, so verkündete Redaktion 2022 bei Hirschhausen im Vorspann zu Krafts Bauch-Bericht:

„Fett ist nicht gleich Fett. Am Bauch ist es besonders ungesund und begünstigt Herzinfarkte, Schlaganfälle und Krebs. Das Gute: Man wird es wieder los. Neuen Studien zufolge sogar ohne Diät.“

Die neuen Studien ergeben aber nur die Empfehlung, mehr Obst und Gemüse zu essen. Zitiert wird dazu der „Genetische Epidemiologe Tim Spector vom King’s College in London.“

Er erklärt, dass „unsere Gene“ heute noch weitgehend denen „der früheren Jäger und Sammler“ ähneln. Sein Rat:

„Damals ernährten sie sich hauptsächlich pflanzlich mit viel Obst und Gemüse, Fleisch stand nur selten auf dem Speiseplan. Daran sollten wir uns orientieren.“

Als ob das keine Diät wäre. Und dass sich Jäger (!) von Obst und Gemüse ernährt haben sollen, erscheint schon auf den ersten Blick widersinnig.

Essen in kalten Regionen: vorwiegend tierisch

Wissenschaftlich lässt sich das mit Obst und Gemüse bei frühen Jägern und Sammlern nicht halten. Steinzeitliche Kulturen ernährten sich sehr unterschiedlich und in kälteren Breiten überwiegend von Fleisch.

Für Neandertaler in Europa ist das eindeutig belegt.

Die konnten nicht von Obst und Gemüse leben, weil es in der Eiszeit keines gab. Existiert haben sie trotzdem über 400.000 Jahre lang.

Und bis heute essen Menschen in kalten Regionen wie Nepal, Tibet, Sibirien oder der Mongolei fast wie damals: Ihre Mahlzeiten strotzen von Fleisch und Fett, von der Arktis mit Fisch, Tran und Robbenfleisch ganz zu schweigen.

Kraft hinterfragt Spector aber nicht, der wissenschaftlich übrigens schon mehrfach unter Beschuss geraten ist. Ihr Text mäandert weiter zum Darm-Mikrobiom, dann zu den guten Wirkungen einer irgendwie pflanzlichen Ernährung.

Vorher breitet sie alles aus, was es zum Bauchfett zu sagen gibt – es gilt als eigenes Organ, fördert Entzündungen und Erkrankungen, ist an Hüften oder Oberschenkeln weniger bedenklich, Fettzellen im Bauch schütten schädliche Botenstoffe aus.

Kein Zucker, wenig Fleisch: Ist es wirklich so einfach?

Mehr als Allgemeinplätze, die Empfehlung, sich „gesund“ mit viel Obst und Gemüse zu ernähren und Übergewicht zu vermeiden, kommt am Ende nicht heraus. Leider erfährt man auch speziell zum Bauchfett, Thema des Beitrags, nichts mehr.

Die Autorin selbst will es allerdings geschafft haben, erklärt sie am Ende:

„Vor drei Jahren entschied ich mich, Zucker zu meiden, von Fertigessen und Fleisch weitestgehend die Finger zu lassen. Seitdem stehen viel Obst und Gemüse auf meinem Speiseplan. Ich habe gelernt, dass in Olivenöl angebratene Shiitake-Pilze fast wie Fleisch schmecken. Aber vor allem verlor ich sieben Zentimeter Bauchumfang (…) ganz ohne zu verzichten und ohne zu hungern.“

Tja. Wenn das stimmen würde und ein Patentrezept wäre, müsste der Titel im Heft vom 2. Januar 2025 nicht schon wieder „Schlanker Bauch“ heißen.

 

Screenshot: Titel der Ausgabe 1_2022  Hirschhausens gesund leben


Screenshot 2025, STERN-Titel vom 2.1.2025

Man kann es wohl nicht oft genug sagen. Leider.

In der Neuauflage steht einfach alles nochmal drin, was 2022 auftauchte und ohnehin bekannt ist: Bauchfett als Risikofaktor, als eigenes Organ, das Hormone und Botenstoffe absondert, Fett ist nicht gleich Fett, Bauchfett ist böse und Fettleber, Herzinfarkt, Schlaganfall; abschreckende Beispiele sind in beiden Reports Horror-Operationen bei Extremdicken mit Absaugen von Bauchfett.

Auch die Jäger und Sammler müssen wieder herhalten, Textbausteine mit mahnenden Worten sind fast identisch.

2022: „Wir leben hierzulande im Überfluss, Nahrung steht rund um die Uhr zur Verfügung. Wir essen zu viel Zeug, das uns nicht guttut. Zu viel Zucker, schlechte Fette, Kohlenhydrate, Salz und hochverarbeitete Lebensmittel.“ Hirschhausens gesund leben, 1_2022

2025: „Wir leben heute im permanenten Nahrungsüberfluss. Im modernen Alltag kommen essensfreie Phasen fast nicht vor. Wir essen zu viel Zeug, das uns nicht guttut. Experte Grinspoon listet auf: „Ständig viel zu viel Zucker, zu viele Kohlenhydrate, zu viel schlechte Fette, zu viel Salz und zu viele industriell hoch verarbeitete Lebensmittel. Das alles geht durch die Leber – und die macht oft als Erstes schlapp.“ Stern, Ausgabe 2_2025

Ist ja gut.

Vielleicht kann man es wirklich nicht oft genug sagen. Doch was rechtfertigt so ein Recycling, gibt es Neues? Ja, verspricht die Autorin 2025 am Anfang:

„Es lohnt sich dranzubleiben. Denn die Wissenschaft vom Abnehmen macht gerade entscheidende Fortschritte.“

Mittelmeer-Diät und Entengrütze

Die entscheidenden Fortschritte bestehen aus Entengrütze, Das klingt lustig, Autorin Kraft baut diese Alge, auch unter dem Namen „Wasserlinse“ bekannt, deshalb auch in den Anfang ein. Die Alge ist als Nahrungsergänzungsmittel im Handel und wird gerade für die Gesundheit allgemein, aber auch als Abnehm-Booster gehypt.

Kleiner Spoiler: Am Ende erklärt Frau Kraft, dass sie – wieder im Selbstversuch  – ihren Bauch deutlich verschlankt und gestrafft hat. Diesmal mit Entengrütze.

Ach. 2022 hat es also doch nicht geklappt? Der Bauch ist wieder gewachsen oder hat immer noch gestört?

Egal, im letzten Abschnitt kommt nun eine israelische Ernährungsforscherin zu Wort, die dem Bauchfett zu Leibe rücken will, unter anderem mit Entengrütze.

Dazu entwickelt sie Abnehmprogramme mit Zusätzen dieser Alge und mit grünem Tee. Die sollen die gefährliche Plauze schneller schmelzen lassen. Grund sind möglicherweise gewisse sekundäre Pflanzenstoffe, die Polyphenole. Sie stecken auch in Walnüssen, Oliven und grünem Gemüse.

Ah, okay, naja.

Dass grünes Gemüse, Oliven, Walnüsse und grüner Tee als günstig für das Abnehmen und überhaupt die Gesundheit gehandelt werden, ist jetzt nicht rasend neu.

Seit Jahrzehnten forschen weltweit Gruppen dazu, besonders oft chinesische zu grünem Tee und amerikanische zu Walnüssen. Keine Überraschung.

Die Falle schnappt zu

Der aktuelle Trend aber läuft unter dem Schlagwort „grüne Mittelmeerdiät“ und stammt von eben der Ernährungsforscherin, die Kraft für den STERN interviewt, Iris Shai.

Sie ist gerade Gastwissenschaftlerin an der Universität Leipzig und hat schon mehrere Studien mit den grünen Zusätzen durchgeführt, und zwar in, Achtung, Diäten: Probanden oder Diabetiker mit bauchbetontem Übergewicht bekommen bei einer vorgeblich „mediterranen Ernährung“ mit wenig Fleisch und weniger Kalorien zusätzlich Wasserlinsen-Shakes und grünen Tee.

Ergebnis: Die Probanden mit den grünen Zusätzen nehmen am Bauch etwas mehr ab als die anderen. Die anderen Gruppen halten nur, Achtung, die angeblich mediterrane Diät ein und essen wenig Fleisch, dafür viel Obst und Gemüse.

Und hier schnappt die Falle zu: Es ist nämlich keineswegs so, dass das Bauchfett nur von den grünen Wundermitteln abschmilzt.

Der Weg geht über die Diät, also über die Ernährungsumstellung.

Sie geschieht in Shais Studien unter Aufsicht, die Probanden werden dabei unterstützt, anders zu essen und sich übrigens auch mehr zu bewegen. Es ist ein komplettes Abnehmprogramm plus die grünen Zusätze.

Das gilt auch für alle anderen Studien mit Algen, Walnüssen oder grünem Tee: Alleine etwas davon einzunehmen, auch in größeren Mengen, lässt das Fett nicht schwinden. Aber bei Diät oder  Ernährungsumstellung plus Sport mit dem Ziel, abzunehmen, können sie den Effekt etwas steigern.

Gute Vorsätze reichen nicht

Und damit kommen wir auf die guten Vorsätze zurück: Abnehmen muss man wollen.

Man muss dazu weniger essen, anders essen, Kalorien reduzieren und einiges andere am Leben auch ändern, sich zum Beispiel also mehr bewegen, weniger naschen, weniger Bier und Säfte trinken.

Sonst ist der Effekt jedweder Zusätze zu schwach: Eine Wunderdroge zum Abnehmen gibt es nicht.

Das Problem bleibt damit das alte. Menschen auf der freien Wildbahn ändern sich nicht. Sie essen nicht weniger oder anders. Sie treiben nicht mehr Sport. Und sie nehme nicht einfach ab.

Außerdem, so eine Presseerklärung zu Shais Studien von der Uni Leipzig, ist noch nicht bekannt, durch welchen Stoff und wie das Grünzeug wirkt. Möglicherweise, so vermutet Shai selbst in früheren Arbeiten, könnte das Grünzeug den Blutzucker senken.

Wenn das so ist, hätten Befürworter von Ernährungsformen, die den Blutzucker im Blick haben wie Low-Carb, Intervallfasten- oder die Ketogene Diät einen Punkt: Auch sie können reklamieren, über besser regulierten Blutzucker Erfolge zu erzielen.

Nur halt nicht dauerhaft.

Auch deshalb gilt das starke Übergewicht inzwischen als chronische, also unheilbare Krankheit. Und deshalb blüht nebenbei der Markt für die berüchtigte Abnehmspritze: Schnell schlank ohne Diät, das funktioniert mit Pharma. Aber nicht mit Entengrütze.

 

©Johanna Bayer

Umfrage des NDR zu Neujahrsvorsätzen: Die Mehrheit hat keine

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