Küchenzeile

Küchenzeile: Ernährungsregeln und die Stunde Null – was passiert beim Regierungswechsel?

Hülsenfrüchte statt Fleisch ist die neue Linie. Reicht das zum Wohlfühlen?

2021 hat der grüne Landwirtschaftsminister Özdemir die Ernährungswende ausgerufen – weg vom Fleisch, hin zu Linsen und Erbsen. Auch die neuen DGE-Regeln von 2024 geben „pflanzenbasiert“ vor. Aber wer isst so? Und was passiert unter der neuen Regierung? Quarkundso.de sondiert.

2021 im Koalitionsvertrag verankert, 2024 erst richtig verabschiedet: Die neue Ernährungsstrategie des Ernährungsministeriums BMEL unter dem grünen Minister Özdemir sollte Essen in Deutschland gesünder, leckerer, günstiger und umweltschonender machen, und zwar für alle.

Özdemir, gelernter Sozialpädagoge und von der Taz schon als „kiffender Vegetarier“ bezeichnet, hatte beim Veranstaltungscatering seines Hauses Fleisch verboten und gleich bei Amtsantritt bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, DGE, neue Regeln in Auftrag gegeben: weg von Fleisch und Milch, hin zu Linsen und Erbsen.

Dann platzte die Ampel.

Und jetzt 2025, ist für das Landwirtschaftsminister der Chef der bayerischen Bauern und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes im Gespräch, Günther Felßner.

„Fleischessen für das Klima“

Die Personalie ist pikant – ein Interessenvertreter und Lobbyist als Minister, da grummeln nicht wenige.

Schon gibt es Petitionen und Unterschriftensammlungen gegen einen Minister, der als Landwirt schon ein Strafverfahren wegen Boden- und Gewässerverunreinigung am Hals hatte. Ein Umweltdelikt, ausgerechnet.

Felßner schert sich darum nicht. Bei den Bauernprotesten 2024 empfahl er Fleischessen „für das Klima“, im Interview mit der ARD erklärte er, die Landwirtschaft beeinträchtige weder Artenschutz noch Klima.

Ob dieser Aussagen hält ein Agrarwissenschaftler der Universität Rostock, zitiert vom ARD-Magazin Panorama, Felßner für den Bewohner eines „Paralleluniversums“: Solche Aussagen hätten „nichts mit dem naturwissenschaftlichen Fakten zu tun“.

Unbeirrt von solchen Einschätzungen erklärte Felßner in derselben ARD-Sendung, er wolle als Minister die Landwirtschaft in Deutschland „entfesseln“ und „die Ernährung sichern, ohne dass der Staat in den Teller reinregiert“.

Das wird spannend: Entfesseln, ist das Gülle ohne Grenzen? Und ganz viel Fleisch für freie Bürger? Endet die Agrar- und Ernährungswende der Grünen, von der Schweizer Weltwoche als „Tugendterror“ bezeichnet?

+++UPDATE zu Felßner siehe ganz unten+++

Mit viel Geld ausgeklügelt

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Noch sagt niemand was Genaues.

Die Chefin erfuhr jedoch aus gut unterrichteten Kreisen, dass Behörden und Fachleute durchaus mit einer Rolle rückwärts rechnen. Angeblich werden von der CSU dazu schon flächendeckend Gespräche geführt.

Wie der Backlash konkret aussehen soll, weiß aber niemand.

Natürlich muss man schon aus finanziellen Gründen fragen, ob Ernährungsregeln, die jahrelang und für viel Geld ausgeklügelt wurden, von einem neuen Ministerium umgeworfen werden können.

Vielleicht würde das die Steuerzahler verunsichern.

Bürger könnten auch an der Wissenschaftlichkeit der von den Grünen beauftragten Empfehlungen zweifeln. Oder am Wissenschaftsverständnis des neuen Landwirtschaftsministers, was ein nicht unbeträchtlicher Flurschaden wäre.

Den Klimawandel und die ökologischen Grenzen des Planeten gänzlich zu ignorieren wird auch einem Bauernvertreter nicht möglich sein, CSU hin, Schnitzel her.

Schließlich stehen hinter den neuen DGE-Regeln und der grünen Ernährungsstrategie auch Gremien wie der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz WBAE.

Andererseits hat kaum jemand durchblickt, wie diese neuen Regeln der DGE genau umzusetzen sind.

Wer hat das verstanden?

So stehen Milch, Käse und Eier auf der Streichliste, wegen der Umwelt, der Kühe und des Fettgehalts: Nur eine Scheibe Käse pro Tag erlaubt die DGE, plus ein Glas Milch. Alternativ zwei Scheiben Käse, ohne Milch.

Denkt man an Bauarbeiter oder Putzkräfte, die körperlich schuften, gehen zwei Scheiben Käse am Morgen allerdings schon auf einem einzigen Brötchen weg.

Auch andere verstehen nicht, warum so wenig Fleisch, Eier und Würste gut für sie sein sollen – darunter Menschen, die wenig Geld haben. So zitierte der Deutschlandfunk aus einer Studie zum Thema Ernährungsarmut:

„Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Januar 2024 spart fast ein Drittel der Menschen in Deutschland aus finanziellen Gründen regelmäßig beim Essen. Demnach essen 23 Prozent häufig und 7 Prozent sogar sehr häufig eine günstigere Mahlzeit als ursprünglich geplant.

Auf die Frage, wie oft sie in der Woche eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder entsprechenden Ersatzprodukten essen, gaben 11 Prozent an, dass sie nur etwa einmal pro Woche ein solches vollwertiges Essen zu sich nehmen. 6 Prozent der Befragten sagten, das sei lediglich mehrmals im Monat der Fall – 2 Prozent sogar nur etwa einmal im Monat sowie jeweils 1 Prozent noch seltener oder in der Regel nie.“

„Nur einmal“ Fleisch oder Fisch in der Woche – warum das anklagende „nur“? Genau das hat die DGE doch in ihren neuen Regeln empfohlen, gerade Fleisch sollen wir gar nicht öfter essen:

„Im Rahmen einer Ernährung mit Milch und Milchprodukten sowie Käse und Eiern reicht 1 Portion Fleisch (ca. 120 g) und 1 Portion Wurst (ca. 30 g) pro Woche aus, um mit allen Nährstoffen versorgt zu sein.“ Quelle DGE 2024 / Abruf 2025

Aha – also reicht ein kleines, dünnes Schnitzel, sagen wir, am Sonntag, und zwei Scheiben Salami, etwa am Mittwoch, aus, laut DGE.

Ja, sagen die Ernährungshüter, und generell gelte bei Fleisch und Wurst „Weniger ist mehr“.

Sechs fleischlose Tage in der Woche

Doch selbst laut DGE funktioniert das nur, wenn genügend Milch, Käse und Eier auf den Teller kommen – und da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Wenn nämlich idealerweise ganze sechs Tage ohne Fleisch vergehen sollen, müssen nach herkömmlichem Verständnis Käse und Milch für das Vollwertige sorgen.

Dann darf aber an den Milchprodukten kaum so gespart wird, wie die DGE es möchte. Sollen es nur zwei Scheiben Käse am Tag sein wie oben zitiert, wird es ganz eng.

Nochmal zusammengefasst: Am besten sechs Tage in der Woche Hauptmahlzeiten ohne Fleisch, dabei nur morgens zwei Scheiben Käse und weder Milch noch Quark oder Jogurt, macht das satt? Nicht von ungefähr haben sich schon Fachleute aus der Ernährungsszene geäußert, dass die neuen Empfehlungen den Nährstoffbedarf selbst normaler Erwachsener nicht wirklich decken.

Vor allem: Klingt das nach gutem, vollwertigem Essen? Oder grenzt es schon, mit Blick auf die zitierte Befragung von Yougov, an Ernährungsarmut?

Aus der Sicht Betroffener und mit dem Thema befasster Ämter schon. 2023 hat das Sozialministerium Baden-Württemberg eine Erhebung zum Essen armer Menschen gemacht und zitiert die Ergebnisse so:

„Materielle Ernährungsarmut liegt vor, wenn Menschen ihren Nahrungsmittelbedarf quantitativ nicht decken können und/oder die verfügbaren Lebensmittel ernährungsphysiologischen und hygienischen Standards nicht entsprechen.

2021 konnte sich ein Zehntel der Bevölkerung in Baden-Württemberg (10,1 Prozent) und in Deutschland (10,5 Prozent) nicht jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Geflügel oder Fisch oder eine hochwertige vegetarische Mahlzeit leisten.

Quelle: Ministerium für Soziales Baden-Württemberg 2023, „Armut als Ernährungsrisiko in Baden-Württemberg“

 

Einmal in der Woche Fleisch, wie es die DGE für ausreichend hält, fällt hier klar als ungenügend durch. Gut, das mit den 120 Gramm ist nur die Idealversion, vielmehr: der Minimalbedarf.

Zur Not erlaubt die DGE noch maximal 300 Gramm Fleisch in der Woche. Das reicht aber auch nicht für „jeden zweiten Tag“.

Gut Essen: Geschmack und Wohlfühlen

Für die fleischlosen Tage der Woche sollte es nun laut Sozialministerium Baden-Württemberg was Hochwertiges sein – in Schwaben versteht man darunter gemeinhin reichlich Eier und Käse. Einen überbackenen Auflauf zum Beispiel. Oder Käsespätzle.

Diese traditionelle Esskultur passt nur nicht zu den neuen Regeln – oder umgekehrt: Die raffiniert ausgerechneten Rationen der DGE passen nicht zur Esskultur. Sie sind eher am Mindestbedarf orientiert und nicht an traditionellen Rezepten, die gelegentlich von Fett, Sahne und Butter nur so strotzen und Fleischportionen vorsehen, die über 100 Gramm hinausgehen.

Dabei spielen Wohlbefinden, Lust und Sattheit eine Rolle – und Menschen erwarten das, wenn von „gut essen“ die Rede ist: vertraute Speisen, Aromen, Zutaten und Geschmäcker. Zumindest gelegentlich, nicht so oft wie früher – Klima, Umwelt, Tiere. Aber an den Rezepten und Gerichten hängen die Leute.

Diese traditionelle Esskultur aber als „ungesund“ zu framen, war das Ziel des BMEL unter Özdemir. Dazu musste ein neues, mehr oder weniger vegetarisches Modell nicht nur als klimagerecht, sondern auch als gesund gelten, mehr noch: als „gut“.

Wir haben die dazugehörigen Texte der DGE schon analysiert, als 2024 die neuen Regeln herauskamen, bitte hier nachlesen, wird abgefragt. 

Reinregieren, aber raffiniert

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Mit dem Framen ist es aber nicht getan.

In allen Äußerungen zur grünen Ernährungswende schimmert mehr durch. Es ist der Wunsch, die Essensauswahl der Bürger konkret zu lenken, um nicht zu sagen: zu bestimmen.

Für die CSU-Männerriege vom Schlage Söders und Felßners ist das der Alptraum – allerdings stammt die Idee dazu keineswegs von den Grünen.

Es sind Ernährungsforscher, die schon lange vom Reinregieren in die Teller fantasieren, ob der Fresslust des übergewichtigen Volkes. Schon vor 20 Jahren war in diesem Zusammenhang ungeniert von Steuerung und Lenkung die Rede.

Legendär dafür ist das Eingeständnis des früheren DGE-Präsidenten und Ernährungspsychologen Volker Pudel zur Wirkungslosigkeit von Ernährungsempfehlungen. Er schrieb 2006:

„Weder Ernährungsaufklärung noch Ernährungsberatung haben in den letzten 50 Jahren ihr Ziel erreicht. Ernährungsabhängige Erkrankungen sind nicht rückläufig, die Inzidenz von Übergewicht nimmt weiterhin zu … (Deshalb) muss gefragt werden, ob es sinnvoll ist, die bekannten Strategien der Verhaltensprävention, die die letzten fünf Jahrzehnte dominiert haben, auch in Zukunft zu verfolgen. Wie sollte sich eine Wirksamkeit ergeben, die sich über eine so lange Zeit nicht herausgestellt hat? Es stellt sich überhaupt die Frage, ob eine Intensivierung der kognitiven Aufklärung den gewünschten Erfolg haben kann.“

Prof. Dr. Volker Pudel in der Ernährungsumschau 53 (2006), Heft 3

 

Zugleich mit dieser Bankrotterklärung der Ernährungspädagogik schlug Pudel vor, andere Saiten aufzuziehen: Nicht das Verhalten, sondern die Verhältnisse, also Umfeld und Angebote müssten sich ändern.

Von oben angeordnet, versteht sich.

Dass nicht bis in die Teller auf dem Familientisch reinregiert werden kann, war dem Psychologen klar. Aber alles andere lässt sich steuern, mit Vorschriften, Gesetzen, Anreizen und Anstößen, mindestens mit guten Beispielen, etwa in Kantinen, Schulmensen und Supermärkten.

Dort könnten Auswahl und Angebote bestimmt werden: mehr Gemüse und Obst, weniger Fleisch und Fett, höhere Hürden für Süßes und anderweitig Unerwünschtes.

Meldepflicht für Fleischesser

Die Idee der Umfeldveränderung hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt, besonders in der Form des sogenannten Nudgings.

Das Prinzip stammt aus der Verhaltensökonomie und soll Menschen durch gezielte Anreize dazu bringen, sich für eine bestimmte Sache zu entscheiden ohne dass Zwang ausgeübt wird.

Dieses Nudging als Form der Lenkung ist inzwischen in der Ernährungsszene geradezu ein Hype, ganze Tagungen und Fortbildungen drehen sich darum.

Praktisch sieht das so aus: An der Nachtischtheke in der Kantine stehen Obstkörbe mit Äpfeln und Bananen vorne, fette Cremes und Puddings aber ganz hinten.

Auch höhere Hürden sind möglich: Am Frühstücksbuffet in Hotels könnte es Butter nur auf Nachfrage geben, während Pflanzenmargarine für alle auf dem Tisch steht.

Oder man wird bei Lust auf Fleisch meldepflichtig, wie ein Sozialökonom im Gespräch mit der Krankenkasse AOK aus einem Beispiel aus Belgien berichtet:

„Dort gab es einen Nudge in den Schulkantinen, der weitreichend vorab kommuniziert wurde: Am Donnerstag wurde ein vegetarisches Gericht das Standardangebot. Wer an dem Tag für seine Kinder ein Fleischgericht wollte, musste kurz per Telefon oder schriftlich Bescheid geben. Betroffene haben also die Möglichkeit sich die Veränderung bewusst zu machen (…).“

Tatsächlich hat sich gezeigt, dass Menschen öfter vegetarische Gerichte bestellen, wenn diese ganz oben auf der Speisekarte stehen und dass sie kleinere Fleischportionen auch klaglos essen, wenn diese ihnen einfach vorgesetzt werden.

Was bringt Nudging in der Ernährung wirklich?

Der Witz ist nur, dass mehr oder weniger subtiles Lenken der Speisenauswahl nichts über die Folgen für die Gesundheit sagt: Nehmen die gesteuerten Konsumenten dann auch ab oder wenigstens nicht zu?

Sind sie gesünder, leben sie länger? Essen sie fortan auch ohne Anstupser anders, lernen sie etwas? Das weiß niemand.

Um derlei zu erfassen, müsste es Langzeitstudien zu Nudging-Versuchen geben. Die könnten zeigen, ob sich Essverhalten, Gewicht oder Einstellungen der Menschen ändern.

Wir melden allerdings grundsätzliche Zweifel an.

Denn es ist nicht gesagt, dass jemand, der mittags zu Magerkost gedrängt oder verführt wird, insgesamt weniger Fleisch isst, zum Beispiel. Eher im Gegenteil. Plausibel ist eine Art Alibi-Effekt: Mittags war schon Gemüse, also her mit der Wurst zum Abendbrot!

Solche Phänomene gibt es zum Beispiel im Zusammenhang mit Sport und Abnehmen: Leute, die Sport treiben, um abzunehmen, neigen dazu, nach dem Training mehr zu essen, um sich für die Anstrengung zu belohnen – und weil ja viele Kalorien weg sind.

Rindfleischfreie Wochen in Regensburg

In Zahlen fassen kann man beim Nudging eigentlich nur, ob in der Kantine mehr Obst weg geht. Oder weniger Fleisch verbraucht wird. Letzteres würde die Kosten für den Betreiber verringern und könnte nachhaltiger sein. Immerhin.

Trotzdem setzen die Ernährungshüter und Wohlmeinenden wie Özdemir begeistert auf Nudging, weil sie sich damit nicht der bösen schwarzen Pädagogik verdächtig machen, die mit Strafen und Verboten arbeitet.

Dafür redet man sich auch gerne mal Maßnahmen schön, wie bei einem Versuch an der Uni Regensburg. Dort gab es 2024 „rindfleischfreie Wochen“, dem Klima zuliebe. Über zwei Monate bot die Mensa also weder Rinderbraten noch Gulasch an, auch keine Currywurst aus Kalbfleisch.

Das Bundeszentrum für Ernährung, BZfE erkennt darin Nudging und berichtet vom Erfolg:

„Ergebnis: Kein Gast hat sich in irgendeiner Form dazu geäußert, sprich keiner und keine hat’s gemerkt. Das ist erstaunlich, (…) weil frühere angekündigte Aktionen, wie eine „vegane Woche“, bei den Studierenden durchaus negative Reaktionen hervorgerufen hatten. Der Tenor war „Einschränkung der Entscheidungsfreiheit“.

Dieses Ergebnis ist kein Einzelfall. Die Wirkung vom sogenannten Nudging, also dem „Anstupsen“ zu einem etwa nachhaltigeren Verhalten, ist auch in anderen Zusammenhängen messbar. Am Beispiel der rindfleischfreien Wochen erklärt der Regensburger Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Gunther Hirschfelder, dass es dabei nicht darum ginge, den Menschen etwas zu verbieten, sondern das eigene Verhalten im Hinblick auf die Umwelt zu reflektieren und Stellschrauben für eine nachhaltigere Zukunft zu finden.

Die Zahlen sprechen für sich: Pro Kilogramm erzeugtem Rindfleisch fallen laut WWF 25,5 Kilogramm Kohlendioxid (CO2)-Äquivalente an. Dahinter kommt Fleisch vom Schwein und Geflügel mit 10,3 und 9,2 Kilogramm CO2-Äquivalenten.“

Quelle: BZfE, Pressetext vom 19.02.2025

 

Was genau hier der Erfolg ist, erscheint uns unklar. Wenn niemand etwas gemerkt hat, was bedeutet das?

Wie ändert sich zum Beispiel die Einstellung zum Essen, zu Rindfleisch oder zum Klima? Würde man später, wenn Rindfleisch wieder auf der Karte steht, keines essen? Wirft man zuhause kein Steak mehr auf den Grill?

Und schließlich sollte geklärt werden: Hat niemand was gemerkt oder hat sich nur niemand beschwert?

Verbieten ist nicht Nudging

Das Streichen von Rindfleisch als Nudging zu bezeichnen, ist überhaupt fraglich. Per definitionem bedeutet der Begriff ja, dass die Angestupsten wählen können und nur Anreize zu einer bestimmten Entscheidung erhalten.

Gibt es jedoch kein Rindfleisch, gibt es auch keine Wahl.

Und daher keinen Nudge. Das inkriminierte Produkt ist einfach nicht im Angebot. Fleisch, Süßigkeiten oder Fettgebäck verschwinden zu lassen, ist also kein Anreiz oder Anstoß zu irgendetwas – sondern ein Verbot.

Verbote aber gehören nicht ins Konzept: Ausdrücklich soll Nudging eine sanfte Alternative zu Zwang, Verboten und Strafen sein – die homöopathischen Globuli unter den Erziehungsmethoden.

Und genau wie diese wirkt es wohl nicht: So sagt ein Kritiker des Konzepts, der Psychologe und prominente Max-Planck-Forscher Gerd Gigerenzer in einem Podcast der WELT, dass die Studienlage keine Wirkung von Nudging auf das Verhalten hergibt oder eine nachhaltige Einstellungsänderung beweist, Link steht unten.

Landwirtschaft gegen Ernährung: ein Dilemma

Was auch immer ein neuer Minister oder eine neue Ministerin also an der Ernährungsmisere ändern will: Da gibt es nicht viel. Nudging wäre ideal, aber wie Felßner tönt, will er nichtmal das. Verbote wiederum, zwecks Eindämmung der Übergewichts- und Diabeteswelle, will schon gar keiner, vielmehr: Keiner will sie wollen oder darüber reden, ob schwarz, rot oder grün.

Leider zwingen die Aufgaben im BMEL bei dieser Misere zu einem schmerzhaften Spagat: Der Minister oder die Ministerin muss sich für Erhalt und Förderung der Landwirtschaft einsetzen – im Grunde aber die Bürger am Essen der landwirtschaftlichen Produkte hindern.

Angesichts dieses Dilemmas stellen wir jetzt frech die Frage, ob man das Problem nicht ganz anders lösen könnte.

Denn ist es sinnvoll, dass ein Landwirtschaftsminister, welcher Couleur auch immer, sich mit so etwas wie Übergewicht oder den Gesundheitsaspekten der Ernährung befassen soll?

Politikberatung: Quarkundso.de macht das

Davon versteht er – oder sie – schließlich erstmal nicht so viel. Die Ernährung durch eine gute, umweltgerechte Landwirtschaft zu sichern, ist aber die wichtige Kernaufgabe.

Und für Gesundheit gibt es ein eigenes Ministerium. Warum sollten also Ernährungsempfehlungen nicht dort angesiedelt sein?

Man macht ja auch kein Ministerium, sagen wir mal, für Verkehr und zugleich für Umweltschutz. Die Themen beeinflussen sich gegenseitig, sogar massiv. Aber sie sind konträr, die Kompetenzen getrennt, gesellschaftliche Interessengruppen sind Gegner, Konflikte wären vorprogrammiert.

In dieser Lage und mit der Absicht, die exorbitant hohen Beraterhonorare aus der Politszene auf diesen Blog umzulenken, bieten wir daher der neuen Regierungskoalition Unterstützung an.

Die Chefin übernimmt gerne selbst das Ernährungsministerium. Gut, das lässt sich vielleicht nicht mehr in dieser Legislaturperiode durchsetzen.

„Gesund Essen“ gehört ins Gesundheitsministerium

Dann machen wir wenigstens einen Vorschlag zur neuen Arbeitsteilung zwischen den Ministerien: Das BMEL sollte zum Ministerium für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit werden – nicht mehr und nicht weniger.

Es hat dann nur noch damit zu tun, den Bauern bei ihrer Arbeit zu helfen, natürlich dabei Klima- und Umweltbelange zu beachten und die Versorgung mit Lebensmitteln zu garantieren, also Ressourcen. Das ist wichtig, gerade in den heutigen Zeiten.

Allenfalls können dort noch Werte zum Bedarf an Nährstoffen erstellt werden. Aber keine Ratschläge.

Diese, samt allen Gesundheitsaspekten rund um Ernährung, übernimmt besser das Gesundheitsministerium BMG.

Die können das, anders als die zögerlichen und ängstlichen, herumlavierenden Ernährungshüter unter dem Druck der Bauernlobby einerseits und der Klima- und Grünfraktion andererseits.

Im BMG arbeiten Ökonomen und Mediziner, hier schaut man bekanntlich genau aufs Geld. Außerdem scheut man sich nicht, Verbote auszusprechen und Verhalten zu reglementieren, Gesetze durch den Bundestag zu jagen, Dutzende von Verordnungen zu erlassen und zu ändern oder die Bürger auch mal zu  ermahnen.

Man würde bei der Ernährung auch nicht ständig Klima- und Umweltaspekte mit der „gesunden Ernährung“ vermischen, sondern streng auf die Fakten schauen.

Schließlich ist Gesundheit doch das höchste Gut, warum also nicht kompetente Leute ranlassen?

Der Landwirtschaftsminister wiederum müsste sich dann auch kein Genörgel von Bauern anhören – und im BMG hätten Ärzte das Sagen, die sich wirklich mit den Studien zu Ernährung und ihren Folgen von Ernährung auskennen.

Soweit unser konstruktiver Vorschlag zur Lage, mehr gerne gegen Vorkasse. Ach so, ja, der Link zum Sparschwein steht unten.

©Johanna Bayer

+++UPDATE+++25.3.2025+++Felßner wirft hin+++

Am 25.3.2025 hat Günther Felßner sich als Kandidat für das Ministeramt zurückgezogen. Er fühlte sich und seine Familie von Tierrechtsaktivisten bedroht, die auf den Dach seines Stalls in Franken geklettert waren und Feuerwerk gezündet hatten.

ZDF-Nachricht vom 25.3.2025

Tja. Politik ist ein hartes Geschäft. Angela Merkel sah sich am Galgen hängen, Robert Habeck wurde im Urlaub von Bauern (!) körperlich bedrängt und genötigt. Sie waren wohl härter im Nehmen als Herr Felßner – wie auch immer: Wir machen, da das Amt ja wichtig ist und alle nach vorne sehen müssen, beherzt neue konstruktiven Vorschläge.

Denn falls Ernährung nicht ans BMG übergeht, sollte eine wirklich geeignete Person das BMEL führen sollte, jemand, der sich mit Ernährung und Wissenschaft wirklich auskennt. Und wir nominieren eine international berühmte und hochdekorierte Forscherin, die großartige Prof. Dr. Hannelore Daniel. Sie hat an der TU München gelehrt, engagiert sich in zahlreichen Gremien, berät Institutionen, Politik und Unternehmen, sie berücksichtigt beide Seiten, ist praktisch und pragmatisch, kann reden, diskutieren und auch mal pointiert formulieren. Den Vorschlag haben wir übrigens über Twitter und LinkedIn schon lanciert und an Markus Söder, CSU und SPD geschickt – bitte mitmachen!

In der ARD-Mediathek, NDR-Panorama vom 27.02.2025, Beitrag: Bauernpräsident als Minister?

Die Ökotrophologin Ulrike Gonder kritisiert die neuen Regeln der DGE von 2024 in der Sportärztezeitung 

Pressemitteilung zum Bericht über Armut als Ernährungsrisiko in Baden-Württemberg von 2023

BZfE-Pressemitteilung vom 19.02.2025 zum Experiment mit rindfleischfreien Wochen in Regensburg

Prof. Gerd Gigerenzer im Wissenspodcast der WELT: „Aha – Was ist Nudging und wie beeinflusst es unser Verhalten?“ vom 19.3.2025

 

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  1. DirkNB

    Jede Ernährungspyramide muss sich dahingehend zerlegen lassen, dass man mit halbwegs regional und biologisch erzeugten Lebensmitteln ohne „Ersatzprodukte“ seine benötigten Nährstoffe bekommt und alle Lebenwesen, die zur Ernährung beitragen, vernünftig aufwachsen.
    Sehe ich bei kaum einem Konzept.

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