Das Essen der Anderen, Gefundenes Fressen

WDR, SPIEGEL, SZ – ach was, alle zu Essen bei Hitze: Tipps, bis der Arzt kommt.

Deutschland stöhnt unter dem heißen Wetter und im Netz wimmelt es von Tipps zum „Essen bei Hitze“: „Leicht“, „bekömmlich“ und „kreislaufschonend“ soll das Essen sein, am besten kalte Suppen, Salat, Obst. Doch ist das wirklich das richtige Essen bei Hitze? Quarkundso.de blickt dafür in den heißen Süden. Und meldet Zweifel an.

Beitrag von 2015, aktualisiert 2018 – 2023 noch aktuell

 

Es ist heiß, diesen Sommer.

Es ist so heiß, dass manche Leute wegen der Hitze weder essen noch schlafen können. Andere wissen gar nicht, was sie bei der Hitze tun sollten, außer essen und schlafen.

Ich zum Beispiel. Wenn ich nicht müsste, würde ich nicht arbeiten.

Ich würde am See im Schatten liegen und nur aufstehen, um mich ab und an ein wenig im Wasser abzukühlen oder was zu essen.

Aber ich muss ja arbeiten. Folgerichtig habe ich Hunger.

Und wie an jedem Tag des Jahres fordert mein Körper am Mittag gebieterisch seine warme Mahlzeit ein.

Ich beeile mich, ihm die zu liefern. Schließlich arbeitet mein System auch bei Hitze äußerst zuverlässig. Sommer- und Reise-Durchfall, Darmgrippe, Noro-Viren, Blähungen und Verstopfung sind ihm fremd, der Kreislauf ist stabil, und mein Magen ist eher das Modell Betonmischer.

Das Ganze bei Normalgewicht – da geht so einiges. Deswegen soll das System auch belohnt werden und bekommen, wonach es verlangt. So denke ich.

Gegen die Gesetze der Natur

Ich führe der Maschine also auch an heißen Tagen die nahrhaften Speisen zu, die sie verlangt.

Davon gibt es in unseren gesegneten Breiten ja reichlich: Tafelspitz mit Salzkartoffeln, Wirsinggemüse und Meerrettich, gegrilltes Schweinskotelett mit Pommes Frites und Gemüse, Braten von Lamm, Schwein oder Rind, in Butter gegarten oder gegrillten Fisch, Nudeln aller Art, Tintenfisch, Reis, Steaks, Lasagne, Kartoffelgratin, vielerlei Gemüsebeilagen, ich wechsele gerne ab.

Den Salat vorher und den Nachtisch hinterher muss ich hier ja nicht extra erwähnen. Kurz und gut, ich esse was Ordentliches, wie immer halt. Mein Körper will das so.

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Aber damit liege ich total daneben. Ich verstoße gegen Naturgesetze, die Schöpfungsordnung und die Biologie des Menschen.

„Wir“ haben „bei der Hitze“ nämlich keinen Hunger.

Schon gar nicht auf was Warmes, und auf keinen Fall mittan am Tag.

„Wir“ haben allenfalls Lust auf Obst, Kaltschalen, Rohkost und Salat. Bloß nichts „Schweres“, bitte kein Fett und um Himmels Willen nicht sowas wie Schmorbraten, nicht einmal Gegrilltes. Denn „unser Körper“ macht bei Hitze instinktiv das Richtige und will nur Früchte, Limo, Eis und ähnliche Kinderbelustigungen, weiß der SPIEGEL:

Zu träge, um aufzustehen und etwas zu trinken? Appetit auf Früchte, aber keine Lust auf ein zünftiges Schweineschnitzel mit ordentlich Soße? (…) Im Sommer gibt es viele Dinge, die wir im Hinblick auf unsere Ernährung automatisch richtig machen.

Ein Fall für die Wissenschaft

Teller mit geschmorten Ochsenbäcken und Kartoffelpüree

Ganz was Leichtes: Geschmorte Ochsenbäckchen und Kartoffelpüree. Temperatur: 36 Grad im Schatten. Gegessen: vor Zeugen am 22. Juli 2015 in München. System: läuft.

Ehrlich, seit ich das im SPIEGEL gelesen habe, bilde ich mir viel auf mich ein: Ich bin ein Sonderfall der Natur!

Wer ist das schon? Wer läuft schon wartungsfrei mit einer Maschine, die total falsch bedient wird?

Ich möchte mich der Wissenschaft zur Verfügung stellen.

Und zwar sofort, nicht erst, wenn ich tot bin.

Sondern jetzt, wo ich noch unter Aufsicht essen kann. Sonst hat die ja nichts davon, die Wissenschaft. Denn die Studienlage zum Essen bei Hitze ist schlecht.

Dafür wiederum gibt es harte Beweise, also für die Nicht-Wissenschaft. Für die mangelhafte Studienlagen, die fehlende Forschung.

Man sieht es an den vielen Artikeln, Berichten und Ratgeberbeiträgen, in denen es Tipps zur angeblich total richtigen Ernährung bei Hitze gibt: Die Autoren haben keine wissenschaftlichen Quellen zu bieten.

Egal, wo man hinschaut, bei SPIEGEL und STERN, beim WDR, der SZ und anderswo – eigentlich überall: keine Studien, keine Quellen, keine Literatur, nicht einmal irgendein Handbuch für Familien oder so.

Woher haben die das?

Trotzdem sind die Tipps erstaunlich einheitlich, ein festgelegter Kanon: Bloß kein fettes Essen. Bei der Hitze lieber viele kleine Mahlzeiten statt wenige große, das ist besser für den Organismus.

Und am Mittag kalt, das erfrischt.

Warm ist „zu schwer“, Fleisch und Fett ebenfalls. Das belastet nur den Kreislauf.

Salat ist die ideale Hauptmahlzeit, oder Obst, Rohkost, Jogurt. Ganz was Leichtes. Damit man den Kreislauf nicht zusätzlich überfordert, das tut ja schon die Hitze.

Ach ja, Kreislauf: Keinen Kaffee oder Tee, also nichts mit Koffein. Das belastet bekanntlich ganz besonders den Kreislauf. Lieber Saftschorlen trinken, sind auch Vitamine drin.

Letzteres stand im SPIEGEL, das mit dem Saft und den Vitaminen.

Sowas macht stutzig. Und wenn man einmal misstrauisch ist, fällt einem immer mehr auf. Zum Beispiel der Hinweis ganz am Ende des SPIEGEL-Artikels auf eine „ältere Version“. Aha, der Text wird wohl öfter mal wiederbelebt?

Logisch. Man muss ja nicht jeden heißen Sommer dasselbe recherchieren. Nimmt man einfach das, was vom letzten heißen Sommer übrig ist.

Irrte die Evolution?

Gut, die einen oder anderen haben jemanden gefragt. Mal einen Hausarzt, mal eine Ökotrophologin, mal einen Koch.

Die SZ zum Beispiel hatte 2015 Holger Stromberg interviewt, einen Koch, der schon mal für ein paar Fußballer auftischen durfte. Auch Stromberg arbeitet den Kanon ab: „Grundsätzlich“ empfiehlt er im Sommer

…viel Salat, Rohkost, Obst und Gemüse, da sie neben vielen Mineralstoffen auch viel Flüssigkeit liefern. Je frischer, bunter und abwechslungsreicher, desto besser.

Was die Wissenschaft angeht, verlässt sich Stromberg sicherheitshalber auf die Traditionelle Chinesische Medizin. Er rät bei Jogurt und Gurken zu, von Gegrilltem aber ab.

Vor Grillfleisch („zu schwer, zu fett“) warnt auch der Arzt Dr. Thomas Kurscheid bei WDR.de. Er empfiehlt stattdessen „gekühlte Suppen“.

Kein Gegrilltes im Sommer? Dafür gekühlte Suppen? Man stelle sich den Aufstand vor, den es gäbe, wenn man Millionen Deutsche im Sommer am Grillen hindern und ihnen stattdessen kalte Suppe einflößen wollte.

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Wissenschaftsblog 2015: Sonderpreis der Redaktion „Wissenschaft kommuniziert“

Vor allem stellt sich jetzt die Frage: Irrte die Evolution?

Müssen wir die Lehrbücher umschreiben, weil sich der am offenen Feuer grillende Homo erectus in der heißen Savanne heimlich von kühlen Süppchen ernährt hat?

Haben Kaltschalen sein Gehirn wachsen lassen, unter der sengenden Sonne Afrikas?

Wohl nicht.

 

Irgendwie verwirrend, der SPIEGEL

Nun aber zum SPIEGEL. Da hat man sich abgesichert. Die Autorin hat für die SPIEGEL-Tipps die Herkunftsvariante „Ökotrophologin“ gewählt. Zumindest erweckt die Redaktion diesen Anschein.

Die Ökotrophologin arbeitet bei der ehrwürdigen DGE, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Der SPIEGEL zitiert sie so: Generell gilt, dass viele kleine Mahlzeiten besser vertragen werden, Obst ist in der Mittagshitze gut als Snack, zum Beispiel wasserreichen Melonen. Von Fett rät die Ökotrophologin natürlich ab, auch von Kaffee.

Bei Salaten rät sie zu. Und sie sagt, die Orientierung an den „Ernährungsgewohnheiten der Südeuropäer“ könne helfen.

Jetzt werde ich vollends misstrauisch. Die DGE hat doch ihr Dogma von den vielen kleinen Mahlzeiten schon vor Jahren fallen lassen müssen und aus ihren Regeln komplett gestrichen?

In den berühmten „10 Regeln für gesunde Ernährung“ der DGE gibt es überhaupt keine Empfehlung zur Häufigkeit von Mahlzeiten, weil sich die Behauptung mit den kleinen Mahlzeiten schlicht als nicht belegbar entpuppte. Stattdessen hat sich herausgestellt, dass viele kleine Mahlzeiten bei Erwachsenen dem Stoffwechsel eher schaden.

Und das mit Südeuropa ist irgendwie verwirrend. Da schwimmt doch alles in Fett, ob in Schmalz oder Olivenöl. Gegrilltes und Geschmortes sind an der Tagesordnung, warmes Essen mittags und abends selbstverständlich.

Dagegen gehen Salat und Obst auf keinen Fall als Hauptmahlzeit durch, ebenso wenig wie Jogurt und kalte Suppen.

„Viele kleine Mahlzeiten“ oder „Snacks“ gehören auch nicht zur Esskultur. Das heißt: Die Tipps, die allerorten vergeben werden, orientieren sich offensichtlich nicht an der Lebensweise der Südländer.

Frau Gahl von der DGE macht es kurz: Da ist nichts

Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich rufe da an, bei der DGE. Ich verlange die Frau, die der SPIEGEL zitiert. Ich will es wissen: Studien? Belege? Forschung? Lehrbücher der Biologie und Physiologie? Was belegt solche Tipps, wer sagt, dass wir instinktiv nach Früchten, Salat und Obst verlangen, wenn es heiß wird, wer sagt, dass Gegrilltes und Fett im Sommer nicht gut verdaulich sind?

Die Ökotrophologin hat Urlaub. Aber ihre Chefin, die Leiterin der Pressestelle, ist da. Auch gut.

Und Antje Gahl von der DGE-macht es kurz und knapp: Es gibt keine Studien, die beweisen, dass Kaltes im Sommer besser ist als Warmes. Dass fettarmes Essen im Sommer besser ist als Essen mit Fett, oder dass Essen mit Fett im Winter leichter zu verdauen wäre.

Es gibt auch keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Rohkost bei Hitze besser und bekömmlicher ist als im Winter. Oder dass Gurken, Obst, Jogurt und Saftschorlen das ideale und naturgegebene Essen des Menschen bei hohen Temperaturen ist. Oder dass der Körper „automatisch“ nach „Früchten“ verlangt, wenn es heißt ist.

Nein, Empfehlungen zum Essen bei Hitze gibt die DGE nicht. Sie hat dazu auch selbst nichts im Netz. Nein, sie selbst, die Leiterin der Pressestelle, kann sich nicht vorstellen, dass ihre Kollegin derlei gesagt habe. Sie werde sie nach dem Urlaub fragen. Aber vielleicht ist da was ganz Altes recycelt worden?

Nein, das mit den vielen kleinen Mahlzeiten, das raten sie auch nicht.

Sie empfehlen zu Essen bei Hitze – nichts. Denn das ist nicht nötig, und die Studienlage, sagt sie, ist da ganz dürftig. Jeder kann und soll das essen, was er mag, bei Hitze.

Was die Herkunft solcher Ratschläge angeht, vermutet sie, dass da einiges zusammengeschrieben wird, aus viel älteren Publikationen, zum Beispiel einem Uralt-Papier der DGE von 1998. Das steht bei der DGE schon gar nicht mehr im Netz.

Oder dass man sich die Tipps aus gewissen Prinzipien herleitet, eher: aus den Fingern saugt, die aus der Senioren- und Krankenkost kommen. Wenn Menschen Leberschäden oder eine gestörte Gallenfunktion haben, im Krankenhaus liegen oder im Pflegeheim, zum Beispiel.

Ein Wort reicht

Sicherheitshalber rufe ich noch jemanden an. Es ist Prof. Dr. Johannes Erdmann, er hat den Lehrstuhl für Ernährungsmedizin an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.

Ich schildere ihm alles, ich frage: Woher kommt das? Warum geben so viele Blätter solche Tipps? Gibt es wissenschaftliche Belege, Literatur? Sagt die Ernährungsmedizin, wie wir bei Hitze essen sollen, was die menschengemäße Nahrung bei Hitze ist – und dass es Obst, Jogurt und Rohkost sind?

Herr Erdmann schont seinen Kreislauf, bei der Hitze.

Und antwortet, auch weil er Schwabe ist, äußerst sparsam.

Er sagt: „Nö.“

Gefühltes Wissen

Ich lege auf. Ich bin erschüttert. Jetzt ist es klar: Ein multimediales Komplott will meinem funktionierenden System kalte Schonkost aufzwingen.

Journalisten, Köche, zweifelhafte Ernährungsberater haben sich verschworen, nach gefühltem Wissen allen Menschen den Speiseplan von Magersüchtigen vorzuschreiben – Rohkost und Jogurt. Ohne echte wissenschaftliche Information immer dasselbe voneinander abzuschreiben und jeden Sommer neu aufzulegen.

Bei der Service-Redaktion des WDR ist das nett anzusehen. Die Tipps stammen nämlich schon aus dem Jahr 2013 und wurden im Juni 2015, als es heiß wurde, wieder online gestellt – und 2018 schon wieder.

Bild und Text sind weitgehend identisch, auch so hübsche Patzer wie diese Liste hier, unter Tipp Nr. 7:

Um den Kreislauf möglichst wenig zu belasten, stehen auf dem Speiseplan am besten leichte Kohlenhydrate: Pasta, Reissalat, Salate, Obst, Käse, Fisch, mageres Fleisch. (WDR, fett im Original)

Diese Liste ist an sich schon nicht satisfaktionsfähig. Deshalb kein Kommentar dazu, welche Lebensmittel der Reihe dort oben hauptsächlich Kohlenhydrate enthalten und welche nicht.

Lohnender ist die Frage, ob es sowas wie „leichte“ Kohlenhydrate gibt. Die Antwort ist: nein.

Kohlenhydrathaltiges ist nicht „leicht“, zumindest nicht, was die Kalorien angeht: 100 Gramm Nudeln haben dreimal mehr Kalorien als mageres Fleisch oder magerer Fisch, und selbst fetter Fisch wie Aal kommt weder an Nudeln noch an Brot dran. Kalorientabellen geben Auskunft.

Oder was war jetzt mit „leicht“ gemeint? Verdaulichkeit? Verwertbarkeit im Organismus? Beides Fehlanzeige. Fett ist genauso leicht verdaulich wie Kohlenhydrate, es verbrennt fast rückstandslos im Körper. Kann man auch nachlesen.

Die Südländer: ein unberechenbarer Menschenschlag

Das mit dem Fett hatten wir schon geahnt, instinktiv. Ich meine, die Menschen am Mittelmeer, deren Essen in Öl schwimmt, und ich. Aber überhaupt machen diese Südländer Sachen, mit denen eine Service-Redaktion im WDR keinesfalls rechnen kann.

So warnt der Sender geflissentlich unter Tipp Nr. 4 vor Koffein, unisono mit allen anderen Tippgebern. Denn Koffein putscht den Kreislauf angeblich erst auf und lässt ihn dann absacken, weswegen koffeinhaltige Getränke in der Hitze nicht empfehlenswert seien, beim WDR warnend fett gedruckt.

Dann gibt es aber noch Tipp 8. Da geht es um die passende Kleidung bei Hitze: keine engen Hosen oder Oberteile, lieber weite, lässige Stücke. Das leuchtet ein.

Den Beleg bietet ein Foto, auf dem ein Beduine mit seinem Kamel zu sehen ist. Der Mann ist eingehüllt in blaues Tuch, eben die angeratene lose sitzende Kleidung. Die kennen sich ja aus, diese Wüstenvölker und machen garantiert alles richtig. Deshalb zeigt der WDR den Beduinen in der heißen Sonne.

Doch halt – die machen alles richtig? Das kann nicht sein. Denn der Beduine sitzt nicht einfach so da. Er macht etwas, auf dem Bild.

Er macht sich einen Kaffee.

Gerade gießt er kunstfertig aus einiger Höhe den heißen, schwarzen Sud mit dem kreislaufschädigenden Nervengift in eine Tasse.

Der Mann ist sichtlich stolz auf seine Kultur. Und es dämmert der naiven Betrachterin, dass tatsächlich irgendwelche Wilden in sehr warmen Gegenden das mit den koffeinhaltigen Heißgetränken anders sehen als der deutsche WDR. Sie haben die köstlichen Getränke ja auch erfunden.

Weil es so schön ist – hier ist der Beleg im Bild, Stand 6.8.2015, 2018 immer noch – und neu – online, hier der Screenshot als Zitat: Der Beduine braut sich, mitten in der Wüste, einen Kaffee  – ausgerechnet!

Beduine trinkt Kaffee – bei der Hitze! Screenshot vom WDR-Beitrag 2015, Quelle: WDR

Was sich aber die WDR-Service-Redaktion dabei gedacht hat, also bei den Tipps, dem Bild, den Menschen im Süden, dem Kaffee, dem Kreislauf und dem Koffein, liegt nun nachweislich schon seit mehreren Jahren im Dunkeln.

Ich will daran nicht weiter rühren. Aber amüsiert habe ich mich nicht schlecht, was übrigens sehr anregend auf den Kreislauf wirkt.

Was isst man dort, wo es heiß ist?

Widmen wir uns noch ein wenig den Südländern. Mit denen ist es so eine Sache. Seit eine der größten Wissenschaftsfälschungen unserer Zeit aufgeflogen ist, nämlich die über die angeblich fleisch– und fettarme mediterrane Diät und den Herzinfarkt, wissen wir: Das, was Leute im Norden für die Essgewohnheiten der Südeuropäer halten, essen die da unten nicht. Die essen ganz anders.

Zum Beispiel essen sie zweimal warm, insbesondere mittags.

Da schreckt der Deutsche zurück. Das ist ungehörig. Der Deutsche isst, wenn man mittags oder abends warm isst, ansonsten Brot: Brot auf Brettchen, Wurst, Käse, saure Gurke. Wenn es modern sein soll, einen „knackigen Salat“.

Aber doch nicht zweimal warm!

Es kommt noch dicker: Das Mittagessen, mitten in der größten Hitze, ist in südlichen Breiten die Hauptmahlzeit.

Das gilt für alle heißen Länder – Italien, Spanien, Mexico und ganz Südamerika, Griechenland, Marokko, die Türkei, ganz Arabien, Indien, Südostasien – überall, wo es warm ist.

Ja, das Mittagessen ist traditionell die Hauptmahlzeit. Das heißt: Mittags wird von alters her im Süden die größere Kalorienmenge eingefahren, es gibt mehr als abends oder morgens, zum Beispiel Fleisch und Fisch, gegrillt und öfter noch geschmort, dazu sättigende Beilagen. Abends gibt es nochmal warm, aber meist ein kleineres Menü.

Richtiges Essen, mittags, bei der Hitze! Das kann man sich hierzulande buchstäblich nicht vorstellen. Erstens geht es ja, wie wir gesehen haben, gegen die Gesetze der Natur. Und was wissen diese Südländer schon von der Biologie des Menschen.

Wichtiger ist aber vor allem, dass so ein warmes Mittagessen in Deutschland schwer den Betriebsablauf stört. Vor allem bei Hitze, im Sommer.

Das weiß der Ingenieursgeist des blassen Nordmenschen. Und mit Missvergnügen sieht er zu, wie dieses verlotterte südländische Pack, wenn die Sonne am höchsten steht, sich in die Hängematte der Evolution fallen lässt – ins physiologische Mittagstief.

Sie schließen ihre Geschäfte, essen ihre heißen, schweren Schmorgerichte und ihr fettiges Grillgut, und dann halten sie Mittagsschlaf. Siesta. Il sacro pisolino, wie es auf Italienisch heißt, „das heilige Nickerchen“.

Die schlafen! Mitten am Tag! Nach einem warmen Essen! Skandal!!!

Deshalb arbeiten die reichen, kühlen Länder bekanntlich energisch daran, den faulen Griechen und allen anderen Südländern ihren Schlendrian auszutreiben.

Leben und Essen bei Hitze – die ultimativen Tipps

Trotzdem möchte man zaghaft anmerken, dass am Süden nicht alles schlecht ist. Man fährt wegen der Lebensweise und des Essens auch gerne da hin. So falsch kann das nicht sein.

Und vielleicht ist das Leben dort an die Hitze sehr gut angepasst?

Wenn mich jemand um Tipps bitten würde, und ich endlich auch mal der ganzen Welt vorschreiben dürfte, was sie bei Hitze zu tun hat, dann wüsste ich, was ich sagen würde.

Ich würde – gefühlt – herleiten, was die Evolution bei großer Hitze für Menschen vorgesehen hat.

Wobei Quarkundso.de aus Prinzip keine Tipps gibt, das soll an dieser Stelle deutlich gesagt werden.

Das Folgende ist also nur für den Fall, dass im Ressort „Gefühltes Wissen“ mal eine der gut bezahlten Stellen frei wird, beim SPIEGEL, beim WDR, bei der SZ oder einem anderen Qualitätsmedium.

Wenn man also die Menschen in heißen Ländern nicht alle für faul und ungebildet hält, kommt so ungefähr das raus:

  • Weite, lockere Kleidung für alle, also für Männer und Frauen, sowas wie Sarongs oder flatternde Beduinenkutten. Offene Schuhe ohne Socken, Flip-Flops auch im Büro. Das passt zur Hitze, wie schon die alten Römer und Griechen wussten. Die trugen Toga und Sandalen, sogar im Senat.
  • Nicht oder nur wenig arbeiten und bewegen bei großer Hitze. Geeignet sind der Vormittag und der Abend nach 18.30 Uhr. Das reicht auch.
  • Bei starker Hitze im Schatten oder im Haus bleiben. Bei unvermeidbaren kurzen Aufenthalten im Freien sind Sonnenhüte Pflicht.
  • Keine körperliche Anstrengung in der Mittagshitze. Das ist so ungefähr von 12.00 bis 17.00 Uhr, bei der – unsäglich dummen – sogenannten Sommerzeit: 12.00 bis 18.00 Uhr.
  • Keine Mittagspause unter zwei Stunden.
  • Mittags normal essen. Gerne warm. Das ist leichter verdaulich, hochwertiger, vielseitiger und nahrhafter. Dazu Wasser trinken.
  • Danach schlafen. Mittagsschlaf für alle. Erst in der Abendkühle wieder ausgehen oder arbeiten. Keine Snacks. Keine Zwischenmahlzeiten.
  • Die Lebensweise der Südländer aufmerksam studieren und davon lernen. Für die Hitze. Schließlich steht uns der Klimawandel bevor.

 

Ich finde, dieser Tipps sind mindestens so gut wie das Verbot von Kaffee, der Zwang zu Rohkost und Kaltschalen, oder der Versuch, uns das Grillfleisch madig zu machen. Für mich zumindest. Nach bestem gefühlten Wissen. Oder hat jemand bessere Quellen?

 ©Johanna Bayer

Dieser Beitrag  von 2015 ist 2018 aktualisiert worden, alle Links sind geprüft, Screenshots gesichert. 2022 hat der WDR seine Hitzetipps gelöscht. 

Links

Seltsame Tipps im SPIEGEL

Stand 2018: Die Tipps im WDR sind tatsächlich, zu aktuellen Hitzewelle, online. Nur ist der Beduine jetzt unter Tipp 9 zu sehen, mit seinem heißen Kaffee (Screenshot siehe oben)

Die Süddeutsche Zeitung mit den chinesischen Tipps von Holger Stromberg

Neuerer Beitrag aus dem Hitzesommer 2022: Wieder wirres Zeug zu Essen bei Hitze – Quarkundso.de mahnt: Langsam wird es gefährlich

Und noch ein Link: In heißen Ländern isst man scharf, fettig, geschmort, würzig. Chili con Carne  in Mexiko, deftige Eintöpfe aus der Tajine, dem Schmortopf Nordafrikas, perfekt für das Wüstenklima, gibt von Marokko bis Tunesien. Auch die Ungarn können es, in der heißen Puszta: ein feurig-heißes Kesselgulasch! Hier noch ein Tipp von Peter Posse auf seinem Blog Reisewege-Ungarn.de, ein schönes Rezept für gefüllte Paprikaschoten. Mit ordentlich Schweineschmalz und Schweinehack, versteht sich, und aus einem ungarischen Kochbuch.

 

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  1. guter Artikel, ich werde es nun wie die Südländer halten und einen Mittagsschlaf machen – bei dieser Hitze ist auch eher leichtes Essen angesagt

  2. Liebe Johanna,

    ich esse auch gerne warmes Mittagessen – egal, was das Thermometer sagt. Allein im gerade beendeten Urlaub verging mir zeitweilig der Appetit. Ich glaube aber, das lag nicht an der Hitze, sondern eher daran, dass man den ganzen Tag im Bikini unterwegs war und die potentiellen Fettpölsterchen direkter vor Augen hatte. Da fühlt sich etwas ‚Leichtes‘ irgendwie richtiger an als ein ordentlicher Teller Pasta mit Sahnesoße. Vielleicht nicht gerade eine wissenschaftliche Erklärung zum Thema, aber logisch, oder?

    Danke für die nette Analyse und liebe Grüße
    Gabi

  3. Hihi. Danke. Wunderbarer Text. Hab sehr gelacht. 🙂

    Ich esse im Sommer ja am liebsten Berge von Gemüse. Am liebsten in Olivenöl gebraten. Gerne begleitet von gegrillten Fleischstücken. Weil: wann sonst im Jahr liegt eine solche Auswahl an Grünzeug auf dem Markt und zirpt: „Nimm mich mit“?

  4. Habe beim Lesen (leicht) irre gekichert, immer ein gutes Zeichen. 😉 Vielen lieben Dank für das gekonnte Sezieren von Ernährungsmythen und -glaubenssätzen.
    Btw.: Berlin, 30° – nach dem Artikel bin ich jetzt von immenser Sehnsucht nach geschmorten Ochsenbäckchen und Kartoffelbrei befallen. Werde mich jetzt in mein persönliches Beduinenzelt wickeln und mich mit einem frischen Kaffee trösten.

  5. Uwe Knop

    Klare Ansage, wunderbar. Und leicht erweiterbar auf ALLE Empfehlungen zum Essen & Trinken: denn Beweise gibt es in der Ökotrophologie KEINEN einzigen.

  6. Große Komplimente aus Frankreich! Als Genießerin, für die Essen außerdem ein kulturelles und soziales Ereignis ist, bin ich begeistert, dieses Blog und speziell diesen Beitrag entdeckt zu haben. Denn mir geht die moralinsaure Orthorexie vieler deutscher Medien schon lang auf den Geist!
    Über den Kaffeeverzicht kann ich nur den Kopf schütteln, während wir bei der Hitzewelle in Frankreich unseren Espresso noch stärker machen als sonst und lieber einen doppelten als einen einfachen trinken. Vor allem nach dem Essen, damit der Kreislauf nicht gleich im Magen versackt (bildlich gesprochen)!
    Allerdings stimmt auch das ursprüngliche Bild der Südländer nicht mehr so ganz … härtere Arbeitsbedingungen und globale Angleichungen haben dazu geführt, dass man sich die Siesta nicht mehr unbedingt leisten kann und häufig dann nach einem langen Arbeitstag doch abends mit der Familie lieber mehr isst als mittags im teuren Bistro. Ach ja … Südländer arbeiten abends länger, um die lange Mittagspause wieder reinzuholen. 😉
    Jedenfalls weiß ich jetzt wieder, warum ich gestern bei 39 Grad Heißhunger auf fettige Pommes Frites bekam, danke!

    • Kommentar des Beitrags-Autors

      Johanna Bayer

      Liebe Petra van Cronenburg,
      danke für den interessanten Kommentar. Ja, dass die Südländer – leider – unter dem globalen Druck auch ihre gesunden und menschengemäßen Angewohnheiten zunehmend einschränken sollen, sehe ich auch. Das ist tragisch und falsch.
      Liebe Grüße nach Frankreich
      Johanna

  7. Ein wunderbarer Text! Ich knie neben Dirk darnieder. Danke!

  8. Jana

    Hallo, ich freue mich auf jeden neuen Beitrag. Ich habe alle bisherigen gelesen. Ich möchte Ihnen für Ihre Mühe danken, die Artikeln sind einfach göttlich.

  9. JAWOLL … so isses (oder zumindest meistens) 😉
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

  10. DirkNB/Herdnerd

    Herrlicher Text! Ich knie vor dem Rechner und bete ihn an. 😉

    Bei allem Respekt vor den Menschen, die auf dem Gebiet forschen, aber solange die Ernährungswissenschaft eine statistische und keine biologische Wissenschaft ist, glaube ich ihr kein Wort.
    Wobei das nicht ganz stimmt: Es gibt zwei wesentliche Aussagen, denen man zustimmen kann.
    1. Wasser, in Maßen genossen, ist unschädlich.
    2. Jeder Körper reagiert anders, weswegen allgemeine Tipps nichts bringen.

    Punkt 1 stammt übrigens von Mark Twain. Kein weiterer Kommentar nötig. 😉

  11. Danke für diese prima Aufklärung.
    Bei den Ochsenbäckchen wäre ich gerne dabeigewesen. An dem Tag hatten wir aber Kesselgulasch mit Bohnen vom offenen Feuer – in der Nachmittagssonne zubereitet. Das hat niemand geschadet, sondern sehr gemundet. Gerade in der Sommerhitze kochen auch die Ungarn am liebsten im Freien deftige Gerichte auf offenem Feuer.
    Und noch ein Argument für kräftiges Essen bei Hitze: Gerade bei großer Hitze muss der Körper leistungsfähig sein und seine eigene Klimaanlage betreiben – das Schwitzen. Dafür wird nicht nur viel Flüssigkeit gebraucht (also ordentlich trinken), sondern auch eine ganze Menge Energie, also ein nahrhaftes Essen.
    PS: Gegen zusätzlich eine kalte Obstsuppe als Vorspeise ist natürlich nichts einzuwenden.
    Viele Grüße von Peter

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