Gefundenes Fressen

Hart aber Fair: Talk auf Augenhöhe – oder mal von ganz oben herab

„Hart aber fair“ prüft ja nach, was die Talkshow-Gäste hitzig in die Debatte werfen. Bei ihrem Faktencheck lässt die Redaktion Aussagen der Gäste gegenrecherchieren und stellt das Ergebnis ins Internet.

Tolle Sache, so gerät niemand in die Versuchung, Unsinn zu erzählen. Aber vielleicht wäre in der Sendung vom 10.11.2014 auch ein Faktencheck bei Anchorman Frank Plasberg ganz schön gewesen, und zwar zu seinem Filmmaterial und seinen Quellen.

Denn Plasberg spielt immer wieder vorbereitete Filmchen ein, das sind seine Joker, um die Diskussion zu lenken.

Frank Plasberg und die Vegetarier: PR-Material von der Lobby

Am 10.11.2014 ging es um Ernährung, und zwar unter der Fragestellung: „Wie korrekt muss unser Essen sein?“. Die Runde diskutierte, ob zu viele Menschen Essen unter dem Aspekt Bewusstsein, Politik, Weltanschauung oder Gesundheit sehen und das anderen vorschreiben wollen.

Und Plasberg zeigt einen Experten-O-Ton, der die Kombattanten auseinanderbringen soll, als sie sich gerade über die Frage ereifern, ob vegetarische und vegane Ernährung etwa „gesünder ist“ …. nein, das ist jetzt falsch ausgedrückt. Plasberg, dessen Motto „Talk auf Augenhöhe“ ist, zieht keinen Joker aus dem Ärmel – er verkündet ein Urteil, ex kathedra, im Wortsinne.

Sein Experte ist  gleich ein „Papst“, das sagt er wörtlich: „Ein Papst, ein Ernährungswissenschaftler“, habe diese Frage „wirklich auf großer Basis geklärt“. Also eher ein Machtwort statt Talk auf Augenhöhe. Es folgt: Ein Interview-Ausschnitt mit Claus Leitzmann.

 

Emeritierter Professor jetzt Aktivist der Vegetarier

Claus Leitzmann? Ja, Leitzmann! Der Gießener Vollwert-Leitzmann, jetzt auf dem Altenteil, überzeugter Vegetarier, wissenschaftlicher Beirat beim Vegetarier-Bund Deutschland, der auf Vegetarier-Veranstaltungen Vorträge hält, und im Fernsehen gerne mal krauses Zeug über die menschliche Evolution und den Unterschied zwischen fleisch- und pflanzenfressenden Tieren erzählt.

Er ist über 80 und lebt selbstredend seit Jahrzehnten samt seiner ganzen Familie vegetarisch. Stimmt schon – für seine früheren Verdienste hat er höchste Auszeichnungen empfangen und gilt als eine der „lebenden Legenden“ in der Ernährungswissenschaft. Aber das gilt nicht für sein Vegetarier-Engagement, sondern für andere Themen: Er hat die Ökologie in die Ernährungswissenschaft gebracht.

Das hat nichts damit zu tun, dass man automatisch gesünder isst, bleibt oder wird, wenn man auf Fleisch verzichtet. Und Leitzmann hat auch nicht „entschieden“, dass vegetarische oder gar vegane Ernährung die gesündeste oder sonst gesünder wäre – das konnte bisher keiner.

Nun kommt also bei Frank Plasberg ein O-Ton, in dem der professoral-glaubwürdig wirkende Leitzmann erklärt, dass Vegetarier und andere Menschen, die sich alternativ ernähren, bessere Cholesterinwerte haben und weniger an Zivilisationskrankheiten leiden.

Wer sich ein bisschen auskennt, weiß: Stimmt auch nur zum Teil – man muss schon genauer hinsehen. Und nachfragen. Denn dahinter stecken epidemiologische Hochrechnungen, die über die Ursachen und Faktoren nichts aussagen, und über die Wirkung von Lebensmitteln im Körper schon rein gar nichts.

Klar ist in der Fachwelt: Vegetarier leben eben nicht länger und sind auch nicht deshalb angeblich gesünder, weil sie kein Fleisch essen. Sondern weil sie weniger rauchen, weniger Alkohol trinken, vor allem aber seltener Übergewicht haben. Es liegt nicht am Fleischverzicht, so gerne die Vegetarier das hätten.

 

Interessierte Kreise liefern zu

Aber mit solchen Peanuts wollen wir uns hier nicht aufhalten, die wirkliche Story ist was anderes. Es ist dieses Interview – das Papst-Video.

Frank Plasberg spielt es ein, um vor allem Michael Miersch, Wissenschaftschef beim Focus, mundtot zu machen. Der arbeitet sich in der Sendung einsam an wissenschaftlichen Zahlen und Fakten ab.

Doch was ist das eigentlich für ein Filmschnipsel, den die investigativ arbeitenden ARD-Journalisten von „Hart aber fair“ zeigen? Haben die Claus Leitzmann persönlich befragt?

Leider nicht.

Dieser O-Ton von Claus Leitzmann ist ein Ausschnitt aus einem längeren Stück von 2012, das auf einem vegetarischen Kongress gedreht wurde. Von, sagen wir mal, interessierter Seite – nämlich den Veranstaltern des Kongresses, darunter der Vegetarierbund Deutschland (VEBU).

Es ist also ein PR-Video.

Deshalb steht es auch auf einer PR-Seite des VEBU zu diesem Kongress im Internet frei zur Verfügung, zum Runterladen. Die Fragen hat dann wohl schwerlich ein Journalist gestellt, sondern eher ein Öffentlichkeitsarbeiter des Vereins. Entsprechend hat auch kein Journalist kritisch nachgehakt: Spricht Leitzmann auf Grund von Studien? Welche sind das? Was sagen sie aus? Und liegt es wirklich am Fleischverzicht? Was sagen andere?

Finanziert hat den Kongress und das PR-Material unter anderem eine Stiftung, die den Verband sowie vegetarische Lobbyarbeit unterstützt. Es ist die einschlägig bekannte Carstens-Stiftung, die auch fragwürdige Studien zu esoterischen Heilverfahren fördert.

Leitzmann darf sich nun auf der VEBU-Seite in diversen „Experten-Clips“ ohne jede journalistische Nachfrage ausbreiten, es ist eine Aneinanderreihung von Statements. Der Professor erzählt dort unter anderem von seiner Oma, die sich in der Lüneburger Heide angeblich von Kartoffeln, Sauerkraut und Buchweizen ernährte. Außer ihm und seinen Adepten gibt es keine anderen Ernährungsexperten auf dieser PR-Seite des VEBU.

Und das ist kein Zufall.

„Hart aber fair“ nutzt nun dieses PR-Material, ordnet es jedoch nicht ein.

 

PR-Material ohne Quellenangabe

Die Redaktion lässt auch keinen weiteren Fachmann zu Wort kommen, um vielleicht andere Seiten zu hören – aber Frank Plasberg erreicht sein Ziel, die Diskussion zu beenden. Dem Papst kann man schließlich nicht widersprechen. Nur der arme Michael Miersch versucht zu protestieren und zitiert einen renommierten Mediziner mit Ahnung vom Fach. Aber Plasberg würgt ihn ab. Und Miersch landet später im Faktencheck:

Vegetarier, Veganer und Gesundheit

Michael Miersch war irritiert über Aussagen von Prof. Claus Leitzmann über den besseren Gesundheitszustand von Vegetariern, die „hart aber fair“ in einem Einspieler gezeigt hatte. Grund der Irritation: Der Wissenschaftsjournalist hatte irrtümlich geglaubt, der Ernährungswissenschaftler spreche über Veganer. Schließlich gebe es Erkenntnisse des Kinderarztes Prof. Berthold Koletzko, der vor teils gefährlichen Mangelerscheinungen bei Kindern, die vegan ernährt werden, warnt. Das Missverständnis hatte Miersch jedoch schnell erkannt und stimmte zu, dass Vegetarier durchaus gesünder leben.

Schön doof, Herr Miersch, passen Sie doch besser auf! Es spielt keine Rolle, dass es tatsächlich gerade um vegane Ernährung geht, bei genau einer Stunde Sendezeit, und dass Frank Plasberg die Verwirrung stiftet.

Es spielt auch keine Rolle, dass die Redaktion möglicherweise ein wenig oberflächlich recherchiert hat und sich Material von interessierter Seite hat andrehen lassen, das sie wahrscheinlich kostenlos bekommen hat.

Erst recht egal ist es, dass – wie raffiniert – im nachträglichen Faktencheck vom gesünderen Lebensstil der Vegetarier die Rede ist, während sich die Diskussion in der Sendung aber um die Ernährung drehte.

Und da gibt es einen Unterschied. Ganz vergessen wollen wir auf jeden Fall, dass ausgerechnet Leitzmanns eigene frühere Studien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) bis heute zur Warnung vor veganer Ernährung von Schwangeren, Stillenden und Kindern dienen. Und nicht nur das: Die vegane Ernährung gehört nicht zu den Kostformen, die die DGE empfiehlt. Im Klartext: Die DGE empfiehlt vegane Ernährung nicht.

Aber in der Sendung zählt das Machtwort – Plasberg spielt den Papst ein, und damit ist Ruhe. Wobei: Der Moderator hätte mindestens klarstellen sollen, woher das Zeug stammt, das er der Welt als Diktum von ganz oben verkauft.

Die Einblendung einer Quelle im O-Ton wäre an der Stelle durchaus angezeigt gewesen. Vor dem Namen Leitzmann steht jetzt im Einspieler nämlich das Sendungslogo „hart aber fair“ – und adelt das PR-Material zu einem journalistischen Produkt.

Korrekt wäre dazu diese Angabe gewesen: „Quelle: Vegetarierbund Deutschland“. Vielleicht hätte Frank Plasberg dann ein paar andere Nachfragen kassiert.

© Johanna Bayer

 

Nachtrag: Die Redaktion von „Hart, aber fair“ hat sich nach diesem Blogbeitrag für das kleine Versehen entschuldigt, nachzulesen unter 1x Nachschlag bitte!

Hart aber fair vom 10.11.2014 – Sendung und Faktencheck sind nicht mehr online.

Stellungnahme DGE zu veganer Ernährung bei Kindern

 

 

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  1. Ina Müller

    schön recherchiert und gut aufgepasst. Bitte mehr davon!

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